Süddeutsche Zeitung

Piraten stellen Pläne für 2012 vor:Viel reden, wenig wissen

Die Piraten wollen anders sein, basisdemokratisch, sie setzen auf Schwarmintelligenz. Doch zu wichtigen Fragen wie etwa der Euro-Krise haben sie keine Haltung. Ihr Jahresauftakt in der Bundespressekonferenz gerät deshalb zu einer Demonstration der Politikunfähigkeit.

Thorsten Denkler, Berlin

Zu Christian Wulff haben die Piraten eine erstaunlich klare Haltung. Der Bundespräsident müsse zurücktreten, schon allein weil Hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst bei ähnlichen Vorwürfen sofort ihre Stelle verlieren würden. Auch die Haltung zu der unfreundlichen Mailbox-Nachricht, die Wulff bei Bild-Chef Kai Dieckmann hinterlassen hat, ist klar: Nein, die müsse nicht vollständig veröffentlicht werden. Weil keine neuen Erkenntnisse daraus zu erwarten seien.

Dabei gibt es dazu gar keinen Parteitagsbeschluss. Zu dieser Haltung ist der Bundesvorstand der Piraten ausnahmsweise ganz alleine gekommen. Ohne die Schwarmintelligenz der 18.000 Mitglieder.

Berlin, Bundespressekonferenz. Die obersten Piraten treten an, um den Deutschen ihre Sicht auf das Jahr 2012 zu erklären. Die Aufmerksamkeit ist etwas zurückgegangen, seit die Partei mit einem überraschend guten Ergebnis in das Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen ist. Dennoch: Nach Umfragen würde sie derzeit sicher in den Bundestag einziehen. Und auch in Schleswig-Holstein, wo demnächst gewählt wird, stehen die Chancen nicht schlecht.

Die Lage sei so, dass "wir damit rechnen müssen, in den Landtag einzuziehen", sagt Torge Schmidt, Spitzenkandidat der Nord-Piraten. Das klingt ein wenig ängstlich. Wohl auch zu Recht. In Berlin darf er gerade beobachten, wie sich die neue Fraktion selbst auseinandernimmt. Streit und Selbstbeschäftigung sind an der Tagesordnung. Politische Inhalte: nicht erkennbar.

Keine Meinung zur Euro-Krise

Woher auch nehmen. Was in der Causa Wulff so leicht geht, daran scheinen die Piraten in den wirklich wichtigen politischen Feldern zu scheitern: eine klare Position erkennen zu lassen. Die europäische Euro- und Schuldenkrise, bei der Hunderte Milliarden Euro bewegt werden, über die Regierungschefs gestolpert sind, ganze Volkswirtschaften in Gefahr geraten und bei der täglich neue Hiobsbotschaften die Märkte erschüttern: Die Piraten haben dazu keine Meinung.

"Wir haben dazu noch keinen Parteitagsbeschluss", erklärt der Parteivorsitzende Sebastian Nerz. Als wäre das eine einleuchtende Erklärung.

Aber der Parteivorstand kann doch wenigstens eine Haltung haben. Zu Wulff hat er ja auch eine gefunden. Zumindest könnte Nerz als Bundesvorsitzender seine persönliche Meinung äußern. Es könnte vielleicht ein paar Sympathisanten draußen im Land interessieren, wie der oberste Pirat die Welt sieht.

Nerz will nicht. Und schiebt eine denkwürdige Begründung nach. "Meine persönliche Meinung ist völlig irrelevant. Ich bin niemand, dessen Meinung für den Bürger eine Relevanz hat." Fragt sich, warum er dann dieses Amt innehat.

Andererseits sind die Piraten überzeugt, dass sie mit Hilfe des Internets und der darüber organisierten Beteiligung von möglichst vielen Menschen an politischen Prozessen schneller zu besseren Lösungen kommen als der etablierte Politikbetrieb. Als "Schnellschüsse" bezeichnet Marina Weisband, die politische Geschäftsführerin der Partei, die Versuche der anderen Parteien, Lösungen zu finden. Eine gewagte Haltung für eine Partei, die kaum eigene Positionen hat.

Sorgen machen sich die Piraten da nicht. Sie haben ja Zeit, sagen sie. Bis zur Bundestagswahl 2013 sind es noch fast zwei Jahre. Und bis dahin werden sie schon eine Position gefunden haben, versichert Nerz.

Die Welt aber dreht sich schneller, als es die Piraten wahrhaben wollen. Das Internet verbreitet Informationen in wahnwitziger Geschwindigkeit. In der Politik müssen zuweilen im Minutentakt Entscheidungen getroffen werden. Basisdemokratie ist eine gute Sache, aber nicht hilfreich, wenn Beschlüsse sofort gefasst werden müssen.

Wer sich kurz vorstellt, ein Pirat wäre Bundesfinanzminister oder gar Kanzler und würde sagen, seine Meinung sei "irrelevant", der erahnt vielleicht: Die Piraten sind nicht nur strukturell regierungsunfähig. Sie sind auch nur bedingt politikfähig.

Die Piraten haben keine Idee, wie sie dieses Dilemma lösen können. Internetparteitage könnten Entscheidungsprozesse zumindest beschleunigen. Doch geheime Wahlen können im Netz auf absehbare Zeit nicht garantiert werden, sagt Nerz.

Die Piraten drohen an ihren eigenen Ansprüchen zu scheitern. Maximale Transparenz, kein Fraktionszwang, keine Koalitionsdisziplin. Jeder Pirat stimmt ab, wie es ihm gefällt. Damit sind die Piraten in Berlin angetreten. Damit treten sie auch in Schleswig-Holstein an.

Papier und Stift statt aufgeklappter Laptops

Die Piraten werden sich etablieren. Sie sind sogar schon fleißig dabei. In Berlin lernen die Piraten gerade, dass alles so einfach nicht ist. Schon jetzt ist nicht mehr jede Fraktionssitzung öffentlich. Manche Positionen werden schon vorab in Hinterzimmern besprochen, bevor sie im Fraktionsplenum auf den Tisch kommen. Die Piraten mögen das gegenwärtige System der politischen Entscheidungsfindung ablehnen. Dem System ist das aber herzlich egal.

Jetzt wollen die Bundespiraten gar mehr Konferenzen und Treffen organisieren, damit sich die Parteiaktivisten auch mal von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen. Im vergangenen Herbst, bei ihrem letzten Auftritt vor der Bundespressekonferenz, da saßen sie vorne alle noch mit aufgeklappten Laptops. Diesmal haben sie Papier und Stift mitgenommen. Die Piraten entdecken die analoge Welt.

Bisher haben die Piraten neue Wähler gewonnen, weil sie Politik anders machen wollten. Transparenter eben. Das aber ersetzt keine Inhalte. Mit Urheberrecht und Datenschutz alleine lassen sich keine Wahlen gewinnen.

Eine Partei aber, die auf akute Krisen keine Antworten geben kann, weil sie erst Monate, vielleicht Jahre für die Entscheidungsfindung braucht, die braucht kein Mensch. Echte Piraten fackeln nicht lange, die entern ein Schiff, wenn sie nah genug dran sind. Diese Piraten aber reden erst, wollen sicher sein, dass sie keine Fehler machen. Das ist nett. Aber auf Kaperfahrt sollten sie besser nicht gehen.

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