Piraten in Schleswig-Holstein:Mitreden ja, mitregieren nein

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Mehr als acht Prozent und sechs Sitze im Parlament. Die Piraten setzen in Schleswig-Holstein ihre Erfolgsserie fort. Auf Twitter gibt es zwar verschnupfte Kommentare, weil weder ARD noch ZDF die Partei bei den Rechenspielen für mögliche Koalitionen berücksichtigen, doch mitregieren wollen die Nord-Piraten ohnehin nicht. "Thematische Bündnisse", so umreißt der Chef die Strategie.

Claudia Henzler

Bei der Wahlparty im Saarland hatten die Piraten noch spontan gesungen, in Kiel spielten die Organisatoren nun bereits den Song "We are the champions" ein, als ARD und ZDF ihre ersten Prognosen zeigten. Für die Piratenpartei werden Wahlerfolge langsam Routine.

Mit 8,2 Prozent der Stimmen kann die Partei, die in Schleswig-Holstein erst Ende 2007 gegründet wurde, laut Hochrechnung der Forschungsgruppe Wahlen für des ZDF rechnen, sie würde mit sechs Abgeordneten in den Kieler Landtag einziehen. Mit dabei wäre damit die ehemalige Grünen-Parteivorsitzende Angelika Beer aus Neumünster, die auf Platz sechs der Landesliste kandidierte. Ob tatsächlich nur ein Mitglied der Familie Piepgras, nämlich der 23-jährige Spitzenkandidat Torge Schmidt, ein Mandat erringt, dürfte aber noch von der Zahl der Überhang- und Ausgleichsmandate im Parlament abhängen. Seine Mutter Birgitt Piepgras (Platz neun) geht wohl leer aus, Stiefvater Hans-Heinrich Piepgras, Vorsitzender der Landespiraten (Platz sieben), konnte am frühen Sonntagabend noch hoffen.

Kurz vor 18 Uhr brach der Livestream auf dem Piratensender www.piratorama.de zusammen, auf dem die Piraten in ganz Deutschland der Wahlparty im Kieler Kulturzentrum "Die Pumpe" beiwohnen sollten. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter überstürzten sich die Glückwunschnachrichten - darunter fanden sich aber auch ein paar leicht verschnupfte Kommentare, weil weder ARD noch ZDF die Partei bei den möglichen Koalitionen berücksichtigten.

"Thematische Bündnisse" statt Regierungsbeteiligung

Dabei hatte Spitzenkandidat Schmidt schon vor der Wahl angekündigt, "thematische Bündnisse" mit anderen Fraktionen eingehen zu wollen. Eine Regierungsbeteiligung strebten die Piraten aber nicht an, sagte er. Die Partei müsse erst parlamentarische Erfahrung sammeln. Am Abend bekräftigte er: "Zum jetzigen Zeitpunkt als Partei, in dem Status, in dem wir jetzt sind, wäre es wahrscheinlich unverantwortlich, in eine Regierungsverantwortung zu streben."

Im Landtag will Schmidt sich zu aller erst dafür einsetzen, Ausschusssitzungen live im Internet zu übertragen. Außerdem steht auf seiner To-do-Liste ganz vorne, die Hürde für Volksentscheide auf Landesebene zu senken und das Prinzip "Datensparsamkeit" in die Landesverfassung schreiben zu lassen.

Der Spitzenkandidat stand im Wahlkampf häufig vor der Kamera, in Interviews spricht er trotzdem immer noch sehr schnell und undeutlich. Er ist kaufmännischer Angestellter bei einer kleinen Firma für Baustoffhandel in Büdelsdorf, nebenbei studiert er Informatik an der Fernuniversität Hagen. Sein Chef rechne aber nicht damit, dass er wiederkomme, sagte Schmidt schon zu Wahlkampfbeginn. Damals lag die Partei in Umfragen noch bei fünf Prozent. Am 12. April waren die Werte auf elf Prozent gesprungen, um sich wochenweise auf zuletzt zwischen acht und neun Prozent abzukühlen.

Personell schwach aufgestellt

Die Piraten bemühten sich im Wahlkampf, dem Bild einer Ein-Themen-Partei zu begegnen. Neben Bürgerrechten, Transparenz und direkterer Demokratie stellten sie Bildung und Landwirtschaft in den Vordergrund. So solle Schleswig-Holstein etwa eine gentechnikfreie Zone werden.

Doch die klassischen Piratenthemen, das zeigt schon die Kandidatenauswahl, sind weiter der Schwerpunkt der Partei. Spitzenkandidat Schmidt war einer der Erstunterzeichner der Piratenabspaltung "Gruppe 42", die ihre Partei mahnte, das eigene Profil auf dem Weg zu einem Vollprogramm nicht aus dem Auge zu verlieren. Um die Grenzen der Überwachung geht es Wolfgang Dudda, einem 54-jährigen Ermittlungsbeamten der Zollfahndung, der auf Platz zwei kandidierte. Neu im Landtag ist auch Ulrich König, Jahrgang 1981. Der Informatiker arbeitet beim Landeszentrum für Datenschutz und hatte 2007 den Landesverband der Piraten gegründet. Auf Platz fünf trat der Urpirat und Jurist Patrick Breyer an, Jahrgang 1977, der eine Sammelklage gegen die Vorratsdatenspeicherung organisierte.

Piraten aus anderen Bundesländern haben beim Wahlkampf in Schleswig-Holstein kräftig mitgeholfen. Denn personell ist der im Dezember 2007 gegründete Landesverband schwach aufgestellt: Aktuell zählt die Partei nach eigenen Angaben 901 Mitglieder, beim Wahlkampfbeginn Ende Februar waren es erst 640, vor der Berlin-Wahl im Herbst 2011 sogar nur 370. Trotzdem war es der Partei gelungen, in 34 von 35 Wahlkreisen einen Direktkandidaten zu melden. Diese Kandidaten hatten zwar keine Chance, den Wahlkreis zu holen, doch sie erhofften sich zusätzliche Aufmerksamkeit für ihre Partei - und damit Zweitstimmen. Im Jahr 2009, als die Piraten in Schleswig-Holstein erstmals zur Landtagswahl antraten, stellten sie nur in gut 60 Prozent der Wahlkreise einen Direktkandidaten. 28 837 Wähler gaben der kleinen Partei damals ihre Stimme, das entsprach 1,8 Prozent.

© SZ vom 07.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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