Piraten in Niedersachsen:Zähe Basisdemokratie

Eine Blamage jagt die andere: Schon zum zweiten Mal schaffen es Niedersachsens Piraten wegen eines Formfehlers nicht, einen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl zu küren. Sündenbock ist ein ehemaliger Ministerialrat, der der jungen Partei mit juristischen Spitzfindigkeiten zu schaffen macht.

Hannah Beitzer

Volker Schendel ist ein Mann mit reichlich Erfahrung. Das lässt sich zumindestens aus der Biografie auf seiner Webseite herauslesen. Eine Banklehre hat er 1971 erfolgreich abgeschlossen, danach Jura studiert und mit der Prädikatsnote "voll befriedigend" das zweite Staatsexamen bestanden. Es folgte eine Karriere als Verwaltungsjurist, in der er es bis zum Ministerialrat im niedersächsischen Wirtschaftsministerium brachte, bis er 2004 in den einstweiligen Ruhestand versetzt wurde.

Danach beschäftigte er sich mit Astrologie, gab eine Schriftenreihe heraus und rief schließlich seine eigene Radiosendung ins Leben. Seitdem nennt er sich "freier Journalist" - und engagiert sich nun seit Herbst 2011 in der niedersächsischen Piratenpartei. Dort ist man allerdings nicht gut auf ihn zu sprechen: Ein Querulant sei er, ein "Troll".

Einen "Heckenschützen" nennt ihn der Pirat Meinhart Ramaswamy, der gute Chancen auf die niedersächsische Spitzenkandidatur hat. Auch der Landesvorsitzende Andreas Neugebauer warnt: "Es gibt inzwischen Leute in der Partei, die ihr Ego daran aufrichten, dass sie jede Sache, die wir tun, hinterfragen, in Gesetze gucken und vor das Schiedsgericht ziehen."

Der Grund: Schendel hat die Kandidatenliste für die Landtagswahlen 2013, die eigentlich bereits im April 2012 festgelegt wurde, angefochten - und so eine Wiederholung der Wahl auf einem Parteitag in Wolfenbüttel am vergangenen Wochenende erreicht. Im April hatte mindestens ein Pirat mitgestimmt, der als Bürger eines anderen EU-Landes nicht wahlberechtigt war.

Auch der zweite Anlauf scheitert

Die Motivation des "Trolls" hinterfragen

Und auch der zweite Anlauf zur Aufstellung einer Landesliste misslang. Auf dem Landesparteitag in Wolfenbüttel konnte am Wochenende abermals kein Spitzenkandidat bestimmt werden. Diesmal hatten sich Minderjährige akkreditiert, die Abstimmung musste wiederholt werden. Es wurden dann zwar am Sonntag noch 30 Kandidaten gewählt, eine Reihenfolge der Listenplätze konnte aber nicht mehr festgelegt werden. Das soll auf einem weiteren Parteitag am 25. und 26. August geschehen.

Ramaswamy beklagte, bei Parteitagen gebe es "100 Möglichkeiten", etwas anzufechten, wenn man das wolle. Deshalb könne jemand, der dies tue, nur ein Ziel haben: "Er will verhindern, dass wir zur Landtagswahl antreten." Auf eine namentliche Nennung Schendels verzichtet er - doch auf Twitter war der Querulant schnell enttarnt.

Auf seiner Webseite macht Schendel schon seit längerem unmissverständlich klar, dass er weiterhin auf Formfehler bei den Parteitagen achten wird. Er dokumentiert penibel E-Mails, Anträge und Aufsätze zum Wahlordnungsrecht, mahnt eine ausreichende Redezeit der Kandidaten, die Einhaltung von Fristen und allerlei mehr juristisches Handwerkszeug an. Zitieren lassen will sich der "freie Journalist" allerdings nicht, eine Interviewanfrage von Süddeutsche.de lehnte er ab.

Für die Piraten haben die juristischen Spitzfindigkeiten unangenehme Folgen. "Basisdemokratie kann zäh und sogar schmerzhaft sein - das haben die niedersächsischen Piraten an diesem Wochenende gelernt", heißt es zu dem Wahl-Debakel in einer Presseerklärung. Immer wieder war die Sitzung unterbrochen worden, damit sich die Versammlungsleitung rechtlich absichern konnte.

Schendel selbst sieht die ganze Angelegenheit naturgemäß anders - und dokumentiert die Wahlrechtsverstöße der Piratenpartei als knapp 600-seitigen Download im Internet und für den Preis von 54 Euro auf Amazon. Besonders Letzteres empört viele Piraten, die die Motivation des "Trolls" hinterfragen.

Ein schwacher Trost ist ihnen, dass sie nicht die Einzigen sind, die mit Schendel ihre Erfahrungen machten. Die Suche des ehemaligen Ministerialrats nach der richtigen Partei dauert schon lange: Von 1973 bis 1976 war er Mitglied der CDU. Von 1998 bis 1998 war er bei den Grünen und versuchte es von 2000 bis 2002 bei der PDS. Auch bei der FDP, die viele Piraten als ihre "Vorgängerpartei" betrachten, war Schendel einst Mitglied. Allerdings nur ein Jahr, direkt nach dem Ausflug zu den Linken.

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