Piraten im Bundestagswahlkampf:Können die das?

In mehrere Landtage sind sie erfolgreich eingezogen, doch ein Bundestagswahlkampf ist schon eine andere Sache: Den Piraten stehen harte Zeiten bevor, wenn sie 2013 tatsächlich die Fünf-Prozent-Hürde knacken wollen. Zeiten, in denen sie auch einige ihrer Gründungsprinzipien hinterfragen werden müssen.

Hannah Beitzer

Seit die Piraten innerhalb weniger Monate in vier Landesparlamente einzogen, sind die Erwartungen groß: Neun Prozent der Wähler würden ihnen derzeit laut einer Forsa-Umfrage bei der Bundestagswahl ihre Stimme geben. Doch kann die junge Partei wirklich einen bundesweiten Wahlkampf stemmen? Eine Übersicht, was den Politneulingen bevorsteht.

Pirate Party Holds Federal Congress

Partei-Vize Sebastian Nerz koordiniert den Bundestagswahlkampf der Piraten.

(Foto: Getty Images)

Vorlaute Neupiraten

So ein Bundestagsmandat, das wär' schon was, denken sich gerade zahlreiche Piraten. Entsprechend viele Interessenten gibt es für die Landeslisten. Die erste Liste wird am 15. September in Baden-Württemberg aufgestellt - hier bewerben sich bereits jetzt etwa 75 Kandidaten, davon etwa 30 für Listenplatz eins. In Bayern, wo Ende Oktober über die Landesliste entschieden wird, stehen weit mehr als 100 Piraten Schlange, davon wollen mehr als 60 auf Listenplatz eins bis drei.

Viele Bewerber sind gerade erst zur Partei gestoßen - was einigen "Altpiraten" vernehmbar sauer aufstößt. Die "Neupiraten", so beschweren sie sich, hätten von den Zielen der Partei häufig keine Ahnung und seien zudem noch nicht bekannt genug, dass man ihnen vertrauen könne. Und mit solchen Leuten soll man Bundestagswahlkampf machen?

Auch Sebastian Nerz, ehemaliger Piraten-Chef und derzeitiger Vize der Partei, kennt das Problem. Nerz möchte die baden-württembergischen Piraten in den Wahlkampf führen und koordiniert zudem das "Projektteam Bundestagswahlen" auf Bundesebene. Den Konflikt Altpiraten gegen Neupiraten hält er für unnötig. "Auch ich bin 2009 in die Partei eingetreten und war für die Gründungsmitglieder damals ein Neupirat", sagt Nerz. Jeder müsse die Chance haben, sich zu beweisen. Er findet: "Wir haben gesagt, wir sind eine Mitmachpartei - und das müssen wir auch einhalten."

Den enttäuschten "Altpiraten" rät er zu selbstkritischen Fragen: "Wenn ich nach drei Jahren nicht bekannt genug bin, um gegen jemanden zu gewinnen, der erst zwei Monate dabei ist, dann habe ich ohnehin vielleicht auch etwas falsch gemacht."

Angst vor Karrierepolitikern

Also alles nur eine Frage der Selbstdarstellung? Viele Piraten dürften das anders sehen: Die Partei rühmt sich dafür, dass bei ihnen profilierungs- und geltungssüchtige Schaumschläger keine Chance haben.

In der Realität lockt eine erfolgreiche Partei immer auch Leute an, die nach einer guten Karrieremöglichkeit suchen - und genau davor haben viele Angst. "Natürlich gibt es auch einige, die einfach nur einen Listenplatz wollen", sagt Nerz. Er selbst halte nichts von Karrierepolitikern - und denkt, dass diese leicht zu entlarven sind. "Wenn mir jemand auf die Frage nach seinen Zielen nur mit hohlen Phrasen antwortet, dann muss ich misstrauisch werden", sagt er. Ob es wirklich so einfach ist?

Schwierige Organisation, Streit ums Geld

Doch nicht nur für die innerparteiliche Stimmung, auch für die Organisation kann die große Anzahl der Kandidaten ein Problem werden. Denn ihnen steht laut Bundeswahlgesetz bei der Aufstellungsversammlung eine "angemessene Redezeit" für ihre Vorstellung zu. Richtwert sind in etwa zehn Minuten, bei mehr als hundert Kandidaten würde das Wahlverfahren zusammen mit anderen notwendigen Formalien ein Wochenende bei weitem sprengen. Doch eine kürzere Redezeit will die Partei auch nicht empfehlen. Sie hat erst bei der Aufstellung der Kandidaten zur Landtagswahl in Niedersachsen erleben müssen, wie eine Liste wegen rechtlicher Bedenken für ungültig erklärt wurde.

Nun könnte der Andrang für Verzögerungen sorgen: In Baden-Württemberg plant man angesichts der großen Anzahl von Bewerbungen am 15. September zunächst nur den Spitzenkandidaten zu wählen - wenngleich über das Wahlverfahren letztendlich die Aufstellungsversammlung entscheidet.

Leerstellen im Wahlprogramm

Doch mit der Wahl der Kandidaten fängt der Wahlkampf ohnehin erst an - noch wichtiger ist ein überzeugendes Wahlprogramm. Und nach wie vor fragen sich viele: Wofür stehen die Piraten eigentlich - außer für Netzpolitik und digitalen Wandel? Die Partei laboriert gerade eifrig an dieser Frage herum: Vor kurzem preschte der politische Geschäftsführer Johannes Ponader mit einem Pamphlet gegen das Hartz-IV-System vor. Er ist ein leidenschaftlicher Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens, das auf dem vergangenen Programmparteitag beschlossen wurde - und verpasste seiner Partei mit dem offensiven Kampf gegen das Arbeitslosengeld II einen Schubs nach links.

Defizite in der Wirtschafts-, Finanz-, Europa- und Außenpolitik sehen auch prominente Piraten. Im November soll es deswegen noch eine weitere Versammlung geben, auf der über das Wahlprogramm diskutiert wird. Erste Versuche der Profilschärfung gibt es: Am Wochenende traf sich bereits eine Gruppe außenpolitisch interessierter Piraten zu einer Konferenz, außerdem beteiligte sich die Partei an einer Klage gegen den europäischen Rettungsschirm ESM.

Neiddebatte bei den Piraten

Bereits jetzt steht den gut bezahlten Landtagsabgeordneten ein Heer an freiwilligen Aktiven gegenüber, die teilweise sogar ihre Fahrtkostenzuschüsse an die Partei spenden. Selbst die kürzlich eingestellte Pressesprecherin verdient nur 800 Euro im Monat. Ein möglicher Einzug in den Bundestag dürfte den Konflikt noch verschärfen.

Deswegen brachten zunächst Schatzmeisterin Swanhild Goetze und schließlich auch Parteichef Bernd Schlömer eine Mandatsträgerabgabe ins Spiel - also eine regelmäßige, formal freiwillige Spende aller Abgeordneten, wie sie auch andere Parteien kennen. Empört wehren sich nun einige Mandatsträger gegen die Forderung. Die Abgabe gilt als rechtlich umstritten, da sie im Verdacht der illegalen Parteienfinanzierung steht - immerhin werde so aus der Fraktion heraus Geld in die Parteien umverteilt, das eigentlich dazu da sein sollte, die Unabhängigkeit eines Abgeordneten zu garantieren. Deswegen wollen die Abgeordneten lieber freiwillig spenden, und zwar für Projekte ihrer Wahl.

Auf Twitter läuft seitdem unter dem Hashtag #geizgate eine heftige Diskussion, bei der die Fronten klar verteilt sind. "Aufgrund von #geizgate meine Spenden auf 1% des Einkommens senken und schauen, was für einen Aufschrei das gibt?" schreibt zum Beispiel der Berliner Abgeordnete Heiko Herberg, der glaubt, bereits genug zu geben. "Ich arbeite seit April 60/h plus und zahle drauf. Angesichts der aktuellen Debatte muss ich da mal nachdenken", findet hingegen Anita Möllering, die gering entlohnte Pressesprecherin, und fügt hinzu: "Ich für meinen Teil werde es mir nicht leisten können, noch ein weiteres Jahr mehr als 45 Stunden pro Woche (...) einzubringen."

Egal wie die Debatte ausgeht: Benötigen würde die Partei das Geld - denn auch wenn die ehrenamtliche Tätigkeit der Vorstände zuweilen zum Grundprinzip erklärt wird, ist sie bisher eine schlichte Notwendigkeit. Die Piraten sind einfach chronisch pleite.

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