Piraten-Geschäftsführerin Katharina Nocun:"Die alten Parteien versagen in der Netzpolitik"

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Das neue Gesicht der Piraten: Katharina Nocun (Foto: Getty Images)

Die Umfragenwerte sind mies, die Konkurrenz hat aufgeholt, Streitereien lähmen die Piraten. Deren Hoffnung ruht nun auf Katharina Nocun, der neuen Politischen Geschäftsführerin. Im SZ.de-Interview erklärt sie, warum Deutschland die Piraten braucht, was die Etablierten falsch machen - und wie ihre Partei bis zur Bundestagswahl die Trendwende schaffen will.

Von Hannah Beitzer, Neumarkt in der Oberpfalz

Sie ist das neue Gesicht der Piraten: Katharina Nocun, 26 Jahre, studiert Politik, Wirtschaft, Psychologie und Wirtschaftsinformatik in Osnabrück. Zur Politik kam sie durch den Widerstand gegen die Vorratsdatenspeicherung, sie gilt als überzeugte Datenschützerin und versierte Netzpolitikerin. Im Interview mit Süddeutsche.de spricht sie über die Netzkompetenz der etablierten Parteien - und die Shitstorms der Piraten.

SZ.de: Peer Steinbrück hat sich die Medienexpertin Gesche Joost in sein Kompetenzteam geholt - ein Zeichen, dass auch die SPD die Bedeutung des digitalen Wandels begriffen hat. Wozu braucht es da noch die Piraten?

Katharina Nocun: Ein Etikett macht noch keinen Inhalt. Damit meine ich jetzt natürlich nicht Frau Joost persönlich. Sondern: Die anderen Parteien behaupten ja schon eine Weile, die Piraten seien obsolet, weil sie ihre Themen längst übernommen hätten. Doch die alten Parteien versagen in der Netzpolitik und im Datenschutz - das zeigte zuletzt die Abstimmung über die Bestandsdatenauskunft. Im Urheberrecht ist das ähnlich.

Die meisten Bürger dürften dennoch die Eurokrise mehr interessieren als Netzpolitik.

Ich bin mir sicher, dass wir auch dazu auf diesem Parteitag noch einiges beschließen werden. Und zu vielem haben wir schon eine Position. Bei der Euro-Rettung wurde zum Beispiel der Bürger nicht wirklich einbezogen. Das wollen wir ändern. So ergänzen sich das unsere Kernthemen - in diesem Fall Mitbestimmung - mit aktuellen Fragen, wie der Eurokrise.

Viele Wähler wissen nicht, wofür die Piraten stehen - das haben Sie selbst nach ihrer Wahl gesagt. Mit welchen Themen wollen sie in den Wahlkampf gehen?

Wir haben da eine interessante Umfrage unter den Mitgliedern gemacht. Die meisten waren wie Sie der Ansicht, dass Wirtschaftsthemen den Wahlkampf dominieren werden. Trotzdem nannten sie als wichtigste Themen der Piraten Datenschutz, Netzpolitik, Transparenz und Mitbestimmung - klassische Themen unserer Partei. Das zeigt, dass die Kernthemen den Mitgliedern wichtig sind. Der technologische Fortschritt passiert schließlich bereits. Wir müssen uns endlich überlegen: Was bedeutet er für die Politik?

Und: Was bedeutet er?

Viele Parteien sehen den digitalen Wandel nur aus wirtschaftlicher Perspektive. Uns geht es dabei allerdings um andere Dinge. Warum zum Beispiel werden immer noch nicht alle Ausschusssitzungen ins Netz übertragen? Warum werden die Partizipationsmöglichkeiten, die das Internet bietet, nicht genutzt?

Verfahrensfragen wie Mitbestimmung und Transparenz scheinen Ihnen oft wichtiger zu sein als Inhalte - verzetteln Sie sich da nicht?

Ich bitte sie! Demokratie an sich ist ein Verfahren, deswegen sind diese Fragen wichtig.

Doch gerade die komplizierten basisdemokratischen Verfahren sind oft dafür verantwortlich, dass die Piraten auf aktuelle Ereignisse nicht schnell genug reagieren können. Wie wollen Sie im Wahlkampf ihre Themen platzieren?

Wir haben es natürlich im Wahlkampf schwerer als andere Parteien, weil wir nicht im Bundestag sitzen - und deswegen dort keine Gesetzesinitiativen einbringen können. Wir können aber zum Beispiel die Arbeit unserer Landtagsfraktionen stärker in den Vordergrund rücken - sie stellen ja Anträge, die auch in den Parlamenten parteiübergreifend Unterstützung finden und tragen so die Themen der Piraten in die Öffentlichkeit. Und auch viele Bundestagskandidaten haben klar gemacht, dass sie mit ihren Themen nach draußen gehen wollen.

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Von Hannah Beitzer, Neumarkt in der Oberpfalz

Das ist in Ihrer Partei durchaus riskant. Sie ist berüchtigt für ihre interne Kommunikationskultur. Wie wollen Sie Kandidaten, die sich mit Ideen nach vorne trauen, vor Shitstorms schützen?

Die meisten der Kandidaten haben noch nie persönlich einen Shitstorm erlebt. Überhaupt ist das Klima in der Partei viel besser, als es den Anschein hat. Zum Beispiel auf Stammtischen fällt fast nie ein böses Wort. Online ist das anders - das liegt auch daran, dass man sich in geschriebener Form schneller missversteht als im persönlichen Gespräch. Da brauchen wir Regeln, eine Nettiquette.

Viele ihrer Parteifreunde wünschen sich eine ständige Mitgliederversammlung, damit Kandidaten besser zu aktuellen Themen Stellung nehmen können - und gleichzeitig die Basis im Rücken haben. Doch die Diskussion ist zäh. Warum?

Ich finde es momentan wichtig, dass wir erst einmal alle Argumente auf den Tisch legen. So etwas Grundsätzliches können wir nicht leichtfertig entscheiden. Wir experimentieren ja nicht erst seit gestern mit Beteiligungstools. Das ist ein stetiger Lernprozess, wo wir neue Dinge ausprobieren und schauen, ob sie sich bewähren.

Die Debatte verläuft äußerst emotional - es gibt Austrittsdrohungen auf beiden Seiten, persönliche Befindlichkeiten. Kann die SMV die Partei spalten?

Ich sehe es eher so, dass die Leute eben für das Thema brennen. Die Debattenbeiträge sind einfach sehr leidenschaftlich.

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