Süddeutsche Zeitung

Piraten auf dem Weg Richtung Bundestag:Schluss mit Peinlichkeiten, jetzt wird gearbeitet

Die Piraten sehen ihre Chancen schwinden und tun, was keiner von ihnen erwartet hätte: Sie reißen sich zusammen. Auf ihrem Parteitag in Bochum bemühen sie sich um Professionalität. Der Druck, ein vollständiges Wahlprogramm zu schaffen, kann der Partei gefährlich werden - sie droht ihre anarchistisch anmutende Leichtigkeit zu verlieren.

Hannah Beitzer, Bochum

Die Männer, die an diesem Sonntag in einer Reihe vor einer Horde von Journalisten sitzen, blinzeln ins Blitzlicht der vielen Kameras, die auf sie gerichtet sind. Ihre Gesichtszüge sind kontrolliert. Sie sagen Dinge wie: "Wir haben gezeigt: Die Piratenpartei ist in der Lage, sich in wichtigen Bereichen ein Programm zu geben." Und: Es gelte in den kommenden Monaten, "eine konstruktive Diskussionskultur zu pflegen".

Die, die dort so reden, immer schön höflich einer nach dem anderen, sind die Chefs einer Partei, die den einen als frische und freche Kraft gilt - und den anderen als Chaoshaufen. Die auf unkonventionelle Art das bestehende politische System in Frage stellt. Ohne Ahnung, ohne großartigen Plan, aber immer irgendwie sympathisch. Ihre Unverbrauchtheit, die Neigung zu Fettnäpfchen und die kopflose Art, Skandale zu regeln haben ihr viel Aufmerksamkeit gebracht, sowohl im Guten als auch im Schlechten.

Doch ihr Bundesparteitag in Bochum erzählt eine andere Geschichte. Nämlich von der Professionalisierung, von harter Arbeit bei zuweilen kläglichen Resultaten. Sie handelt vom Ende des piratigen Narrativs, Teil des bestehenden Systems zu werden ohne sich an seine Regeln anzupassen. Es geht auf die Bundestagswahl zu und die Piraten sehen ihre Felle davon schwimmen - in den Umfragen sanken sie ab. Und da tun sie, was keiner von ihnen erwartet hätte. Sie reißen sich zusammen.

"Mit Etabliertsein hat das nichts zu tun"

Gerne lassen sich die Protagonisten der Partei nicht auf diesen Wandel festnageln. "Mit Etabliertsein hat das nichts zu tun", sagt zum Beispiel Bernd Schlömer. "Sich auf die Sacharbeit zu konzentrieren ist ein ganz normaler Prozess."

Auch der bayerische Spitzenkandidat Bruno Gert Kramm findet es gut, dass die Piraten "zivilisierter" geworden seien. Ob das nicht das Bild der wilden, chaotischen, kreativen Piraten zerstöre - und den einzelnen Piraten zu sehr einschränke, zum Beispiel in seinem Recht, dem Vorstand ordentlich die Meinung zu geigen? Höchstens theoretisch, findet er: "Ich esse doch schließlich auch mit Messer und Gabel und fühle mich davon nicht eingeschränkt."

Ebenso der politische Geschäftsführer Johannes Ponader. Eine Reporterin verfolgt ihn bis zu seiner Garderobe. "Herr Ponader, Sie haben ja heute ein Jackett an. Kleiden Sie sich jetzt schicker, sind Sie seriöser geworden?". "Ich trage manchmal Jacketts, manchmal auch Sandalen. Aber das ist jetzt kein neues Outfit oder so", wimmelt er sie ab. "Darf ich die Marke ihres Jacketts wissen?", fragt die Frau weiter. "Nein."

Ein kleiner ungehaltener Moment nur - ansonsten gibt sich Ponader ebenso verbindlich wie der Rest seiner Vorstandskollegen. Der Riesenkrach im Vorstand, wegen dem Beisitzer Matthias Schrade zurücktrat und der die Umfragewerte in den Keller trieb? Längst beigelegt. In Zukunft wolle man derartige Konflikte konstruktiver angehen.

Bei der Pressekonferenz kriegt man schon eine Ahnung davon, wie die Strategie der Piratenspitze aussieht: Es kommt die Frage nach der ständigen Mitgliederversammlung via Internet, ein Streitthema in der Partei. Manche halten sie für undemokratisch, manche für die konsequente Umsetzung des Piraten-Traums von der Online-Mitbestimmung.

Piraten-Chef Bernd Schlömer ist dafür. "Wir brauchen eine Kombination aus Bundesparteitagen und anderen Entscheidungsverfahren, die wir auch praktizieren wollen", sagt er. Kurze Pause. Dann sagt sein Stellvertreter Sebastian Nerz mit ruhiger Stimme: "Sie müssen wissen, dazu gibt es unterschiedliche Meinungen in der Partei. Ich halte die ständige Mitgliederversammlung zum Beispiel für den falschen Weg." Eine Meinung, eine Gegenmeinung - fertig ist das Bild von der vielfältigen Partei.

Im Prinzip erfüllen die Piraten damit genau jene Forderungen, die in den vergangenen Monaten von verschiedensten Seiten an sie herangetragen wurden. Die Leute waren der ständigen Streitereien, Skandale und der ewigen Selbstbeschäftigung längst überdrüssig. Immer wieder tauchte die Frage auf: Warum hält eigentlich keiner diesen Sauhaufen zusammen?

Die Parteimitglieder wissen: Jetzt muss geliefert werden

Genau das ist es, was die Parteispitze nun versucht. Und die sonst so aufmüpfige Piratenbasis zieht mit. Sie sprach sich in einem Meinungsbild eindeutig dafür aus, auf dem nächsten Parteitag im Mai wieder über Programm zu sprechen. Ungeliebte Führung hin oder her - jetzt muss geliefert werden. So sagen es viele Piraten, die zum Bundesparteitag angereist sind.

Der Grund für die plötzliche Disziplin ist simpel: Auf der Partei lastet enormer Druck. Sie muss bis zum Frühjahr ein Wahlprogramm auf die Beine stellen. In Bochum tat sie nur vorsichtige Schritte in diese Richtung.

Nach langer Diskussion wurde zwar ein Grundsatzprogramm Wirtschaftspolitik verabschiedet - konkrete Forderungen finden sich darin jedoch nicht. Das wurde verschoben auf Mai. Ebenso in der Gesundheitspolitik, der Außenpolitik, der Umweltpolitik und der Wissenschaft. Antrag folgte auf Antrag, zeitweise wirkte die Veranstaltung geradezu grotesk bürokratisiert. Da wurde über einzelne Module von Vorschlägen abgestimmt, bereits abgelehnte oder angenommene Anträge wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

Eine Antwort auf die inzwischen sprichwörtlich gewordene Frage "Wie stehen Sie zur Euro-Krise" können die Piraten nach Bochum immer noch nicht beantworten. Das wissen sie auch. Doch das ist eigentlich nicht das Schlimmste. Denn ein paar Lücken im Programm kann die Partei aushalten. Sie wurde schließlich noch nie für ihre differenzierte Meinung zum Nahostkonflikt gewählt. Das Schlimmste wäre, wenn ihnen diese gewisse Leichtigkeit abhanden käme, die sie von anderen Parteien unterscheidet. Die Lust, der Witz und die Unmittelbarkeit, mit denen sie Politik machten.

"Erforschung von Zeitreisen": Abgelehnt

In Bochum wird es so gesehen nur für einen kurzen Moment sehr piratig: Als die Partei über den Antrag "Die Partei spricht sich für eine intensive Erforschung von Zeitreisen aus" debattiert. Der wurde spontan auf die Tagesordnung gewuppt, als es gerade sehr zäh war. Mit Zeitreisen könnte man, so argumentiert der Antragsteller "verkackte Parteitage" retten.

Das Gelächter der Piraten klingt erleichtert, der Applaus ist so heftig wie das ganze Wochenende nicht. Dann darf auch ein Bauchredner eine gelbe Handpuppe am Mikro sprechen lassen. Ein sichtlich nach 1990 geborener Pirat warnt, dass man über die Gefahren von Zeitreisen doch spätestens seit Harry Potter Bescheid wisse. Wieder Gelächter.

Erwartungsgemäß wird der Antrag abgelehnt, er war mehr eine kleine Lockerungsübung, eine Vergewisserung, dass die Piraten immer noch die Piraten sind. "Die Piraten lehnen den Zeitreiseantrag ab und hinten im Publikum lösen sich kichernd zwei Gestalten in nichts auf", schreibt einer auf Twitter. Da sind die anderen im Raum schon längst wieder beschäftigt. Mit Realpolitik.

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