Das Tier sei ein politisches Wesen, sagt der Philosoph Will Kymlicka, und damit Träger unverletzlicher Rechte. Wir sollten Tiere als unsere Mitbürger betrachten. Kymlickas Theorie der Tierrechte klingt radikal, vergleicht man sie mit unserem heutigen Umgang mit Tieren. Der Wissenschaftler sagt, dass Nutztiere wie Schweine und Rinder nicht nur ein Recht auf eine "humane Behandlung" und genügend Freilauf haben, sondern auch Staatsbürgerrechte. Diese Forderung ist nicht nur für überzeugte Fleischesser schwer zu schlucken. Auch vegan zu leben sei nur ein Schritt in die richtige Richtung, dem weitere folgen müssten, sagt Kymlicka.
SZ: Herr Kymlicka, was hatten Sie gestern zum Abendessen?
Will Kymlicka: Oh, meine Frau und ich waren bei unserem Lieblings-Japaner und hatten unser übliches veganes Menü dort.
Sie leben seit 20 Jahren vegan und rufen in Ihrem Buch "Zoopolis" dazu auf, Tiere nicht zu verspeisen, sondern ihr Recht auf Leben zu respektieren. Warum sollten die Menschen plötzlich darauf verzichten, Fleisch zu essen?
Wir haben ganz einfach kein Recht, Tiere zu töten. Eine Ausnahme ist lediglich der Fall der Selbstverteidigung, wenn wir in tödlicher Gefahr sind - etwa, weil uns ein Tiger angreift.
Was ist mit Hunger? Zählt der nicht als Argument?
Wir sind nicht Robinson Crusoe auf einer einsamen Insel. Wir müssen uns fragen, ob unsere heutige Gesellschaft die Möglichkeit hat, ihre Mitglieder zu ernähren, ohne Tiere zu töten. Und diese Frage ist eindeutig mit Ja zu beantworten. Tiere sind nicht unsere Sklaven, sie sind empfindsame Wesen, die Schmerzen spüren. Und die sollten wir ihnen ersparen.
Tatsächlich scheint ein Umdenken stattzufinden: In Deutschland steigt der Anteil der Vegetarier stetig, vegan zu leben ist schick. Es wächst das Bewusstsein, dass wir Tieren ein artgerechtes Leben ermöglichen sollten. Trotzdem schreiben Sie, dass die Tierschutzorganisationen versagt haben.
Wir stehen vor einem Paradox: Einerseits zeigen Umfragen, dass die Frage nach unserem Verhältnis zu Tieren auf immer größeres öffentliches Interesse stößt. Andererseits behandeln wir Tiere heute schlimmer als jemals zuvor. Und es wird sogar weiter daran geforscht, wie wir sie durch genetische Manipulation noch stärker ausbeuten können. Aber Tiere sind keine Protein-Fabriken. Unsere Gesetze zum Tierschutz sind viel zu schwach und Tierschutzorganisationen kümmern sich noch immer lieber um Zirkustiere als um vermeintliche 'Nutztiere'.
Vielleicht weil insbesondere hinter der Massentierhaltung ein großes wirtschaftliches Interesse steckt, gegen das Tierschützer kaum ankommen.
Genauso ist es. Aber das moralische Argument bleibt: Tiere sind keine Ressourcen, über die wir einfach so verfügen dürfen. Hier greift Kants kategorischer Imperativ.
Dieses ethische Prinzip besagt, dass Menschen als Selbstzweck und nicht als Mittel zu einem anderen Zweck behandelt werden dürfen.
Diese Regel gilt nach meiner Auffassung nicht nur für Menschen, sondern auch für andere Lebewesen, die empfindungsfähig sind.
Sie setzen sich dafür ein, dass Tiere Bürgerrechte erhalten und in Parlamenten beispielsweise durch Ombudsleute vertreten sind. Aber woher sollen wir wissen, was Tiere wollen?
Das Problem ist, dass unser Verständnis von Politik auf Sprache basiert - wer keine Sprache hat, scheint quasi automatisch ausgeschlossen vom politischen Prozess. Hier gilt es, Mechanismen zu entwickeln, damit wir die Rechte von Tieren nicht noch länger missachten. Man kann Tieren, auch denen, die in Ställen leben, Möglichkeiten einräumen, sich zu entscheiden, wie sie leben wollen.
Klingt ein wenig utopisch. Wie stellen Sie sich das vor?
Wenn ich sage, Tiere sollen entscheiden können, wie sie leben wollen, meine ich damit ganz praktische Dinge: Wir sollten Ställe bauen, in denen Tiere wählen können, ob sie sich draußen oder drinnen aufhalten wollen, wie viel Nähe zum Menschen sie wünschen und so weiter. Wenn wir uns um artgerechte Tierhaltung sorgen, muss aber eine Sache ganz klar sein: Das oberste Interesse eines Hühnchens liegt darin, weiterzuleben. Da gibt es kein Vertun.
Was ist mit dem schwerkranken Hund, dessen Herrchen vor der Entscheidung steht, ob er ihn einschläfern lassen soll?
In dieser Situation waren meine Frau und ich vor einigen Jahren. Unser Hund litt Schmerzen, aber wir wussten natürlich nicht, ob er hätte weiterleben wollen und wie schlimm die Schmerzen waren. Wir haben ihn schließlich schweren Herzens vom Tierarzt einschläfern lassen - und uns danach lange Zeit gefragt, ob wir zu lange damit gewartet haben oder vielleicht nicht lange genug. Ein moralisches Dilemma.
Beim Tod des eigenen Hundes sind die meisten traurig. Aber wir alle haben schon unzählige Würmer zertreten, Käfer zerquetscht und Fliegen verschluckt. Ist menschliches Leben ohne das Sterben von Tieren überhaupt möglich?
Als Kriterium gilt meiner Meinung nach, ob das Tier empfindungsfähig ist und fühlt. Eine Spinne oder eine Fliege spürt nach momentanem Stand der Wissenschaft keinen Schmerz, Insekten sind meines Wissens nicht empfindungsfähig. Deshalb hätte ich auch kein Problem damit, sie zu essen. Bei allen fühlenden Wesen haben wir aber ihr Recht auf Leben zu achten.
Zu guter Letzt, das Totschlagargument, das jeder Vegetarier zu hören bekommt: Evolutionsgeschichtlich betrachtet seien wir Menschen nun mal Fleischfresser.
Dieses Argument untergräbt jede moralische Entscheidung gegenüber Tieren. In der Geschichte der Menschheit war früher vieles üblich, was wir heute verabscheuen: gewalttätige Auseinandersetzungen, Vergewaltigung, rassistische Diskriminierung, Sklaverei. Wir haben gelernt, unser Verhalten den Normen anzupassen, wir haben erkannt, dass Menschen unveräußerliche Rechte haben und wir schützen diese heute. Es gibt also keine historische Basis, auf der wir anderen Tieren diese Rechte absprechen könnten.