Süddeutsche Zeitung

Philippinen:Der Sieg des Diktatorensohns Marcos Jr.

Das Volk hat Ferdinand Marcos Jr. zum nächsten Präsidenten gewählt - den Sohn des Diktators, der einst mit seiner Frau Imelda das Land ausgeplündert hat. Wie konnte es dazu kommen?

Von David Pfeifer

Auf den Philippinen wurde ein Geist gewählt. Der nächste Präsident heißt Ferdinand Marcos, weit über 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler haben sich für ihn ausgesprochen. Und wer sich nun fragt, Ferdinand Marcos, war da nicht was? Der junge Ferdinand "Bongbong" Marcos, immerhin auch schon 64 Jahre alt, ist der Sohn von Imelda und Ferdinand Marcos senior. Sie ist die mit der weltweit größten Schuhsammlung, er führte das Land mit Kriegsrecht und wandelte sich vom Präsidenten zum Diktator. Bis heute sucht eine Untersuchungskommission nach den etwa zehn Milliarden US-Dollar, die die Familie Marcos außer Landes geschafft hat, bevor sie sich selber ins Exil nach Honolulu flüchtete, wo der korrupte Gewaltherrscher 1989 starb.

Viele Beobachter vermuten, dass Marcos Jr. seinen Wahlkampf auch mit dem Geld finanziert hat, das seine Eltern dem Land gestohlen haben. Das ist einer der bizarren Aspekte dieser Wahl. Ein anderer ist, dass sich Marcos Jr. im Wahlkampf weigerte, in die direkte Auseinandersetzung mit seinen Mitbewerbern zu gehen oder harte Fragen von Journalisten zu beantworten - vermutlich, weil er nichts zu sagen hatte und sein Team besorgt war, dass er der kompetenteren Kandidatin Leni Robredo unterlegen sein würde.

Doch obwohl sein Auftreten so geisterhaft wirkte, hat Ferdinand Marcos Jr. nun mehr als 31 Millionen Stimmen bekommen. Doppelt so viele wie Leni Robredo, die als Zweitplatzierte unter 15 Millionen Stimmen blieb. Die anderen Kandidaten landeten weit abgeschlagen auf den hinteren Plätzen. Noch ist das Ergebnis nicht vollständig ausgezählt, aber die offiziellen Stellen sehen die Wahl bereits als rechtmäßig an, auch Robredos Team hat sie bislang nicht angefochten.

Imelda Marcos, heute 92, hat seit ihrer Rückkehr auf die Philippinen im Jahr 1991 in zahlreichen Prozessen um die Rückgabe der eingezogenen Gelder gekämpft - und um den Ruf der Familie. "Bongbongs" ältere Schwester Imee wurde Senatorin. Auch Ferdinand Marcos Jr. ist seit Langem in der Politik engagiert. Bei den vergangenen Wahlen verlor er noch knapp gegen Leni Robredo, die an seiner Stelle Vizepräsidentin unter Rodrigo Duterte wurde. Diesmal verbündete er sich mit der Tochter des Machthabers, die 43-jährige Sara Duterte-Carpio kandidierte an Marcos' Seite für das Amt der Vizepräsidentin. Auch das verschaffte ihm einen Schub bei den Wählerinnen und Wählern.

"Uniteam will rock you!"

Die Wahl des Präsidenten und Vizepräsidenten wird auf den Philippinen getrennt voneinander gewertet. Aber den Wahlkampf gestalteten Marcos Sohn und Dutertes Tochter als sogenanntes Uniteam gemeinsam. Wer eine der Shows besuchte, die in dem Land zum politischen Alltag gehören, konnte hören, wie ihre Slogans zu den Klängen von "We will rock you" in die Menge getrommelt wurden: "Uniteam will rock you!" Ein richtiges Programm legte Ferdinand Marcos Jr. aber nie vor. Er schlug sich mit Slogans durch.

Sara Duterte-Carpio adressierte immerhin einzelne Gruppen mit einem auf sie zugeschnittenen Programm. So war auf ihren Veranstaltungen stets eine LGBQT-Gemeinschaft repräsentiert, die auf ihr Wahlprogramm hofft und teilweise in Drag-Outfits für gute Stimmung sorgte. Duterte-Carpio setzt sich für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender-Personen ein. Diese Gruppen hatte wiederum Manny Pacquiao, der Ex-Boxweltmeister und am Ende abgeschlagene dritte Präsidentschaftsbewerber, durch seine allzu bibelfesten Verurteilungen von gleichgeschlechtlicher Liebe gegen sich aufgebracht. Es gab also auch nachvollziehbare Gründe, für das Uniteam zu stimmen.

Nach ähnlichem Muster wie nun seine Tochter war Rodrigo Duterte bei seiner Wahl im Jahr 2016 vorgegangen. Damals gewann er viele der etwa zehn Millionen "Overseas Filipino Worker" (OFW), die weltweit auf Containerschiffen, in der Fischerei, Gastronomie und Hotellerie arbeiten. Sucht man die Arbeiter heute in ihren bescheidenen Unterkünften in Manila auf, erzählen sie, Duterte habe sich in seiner Präsidentschaftszeit tatsächlich zu ihrem Wohl eingesetzt. Mit den Tausenden Opfern seines gnadenlosen Antidrogenkriegs hat dort kaum jemand Mitleid.

Der wichtigste Kommunikationskanal der OFW, die wohl auch dieses Mal verstärkt für Marcos Jr. und Duterte-Carpio gestimmt haben: das Smartphone. Dort entschied sich der Wahlkampf viel eher als auf den Bühnen oder in den Kandidatenrunden, die der Diktatorensohn verweigerte. Denn auf Facebook, Youtube und Tiktok tobte ein ganz anderer Wahlkampf. In den sozialen Medien, in denen die Philippiner mehr als vier Stunden ihrer täglichen Bildschirmzeit verbringen, wurde Leni Robredo als überfordert und faul dargestellt, wohingegen sich die Familie Marcos als Wohltäter der Philippinen gerierte.

Viele Philippiner haben keine Erinnerung an die Diktatur

Ein Faktor begünstigte diese Geschichtsvergessenheit entscheidend: Die Bevölkerung der Philippinen hat sich von etwa 26 Millionen im Jahr 1960 auf 110 Millionen heute mehr als vervierfacht. Mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten sind zwischen 18 und 40 Jahre alt - zu jung, um sich an die dunkle Ära des alten Marcos-Regimes zu erinnern.

In der Social-Media-Kampagne des Uniteams wurden die Menschenrechtsverletzungen und die Korruption während der Marcos-Diktatur konsequent herunterspielt. Stattdessen schien seine Herrschaft als "goldenes Zeitalter" des wirtschaftlichen Wohlstands und Aufbaus der Infrastruktur auf. Bei den Jungen verfing diese Botschaft von den besseren Zeiten, als die Wirtschaft noch lief und Zucht und Ordnung herrschte. Das Land ist arm, es gibt kaum Perspektiven, die Bevölkerung hat eine ganze Reihe korrupter Regierungen erlebt. Die Menschen haben also nicht nur für den jungen - und damit auch ein bisschen den alten - Marcos gestimmt. Sondern für den Geist einer Vergangenheit, die sie nicht kennen, aber für besser halten als ihre Gegenwart.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5582092
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/skle
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.