Süddeutsche Zeitung

Philipp Rösler im Interview:"Ich bin der Minister für 80 Millionen Versicherte"

Der Bundesgesundheitsminister musste viel Tadel über sich ergehen lassen. Ein Gespräch mit Philipp Rösler über die Reform der Krankenversicherung, seinen Konkurrenten Markus Söder und Zickenterror im Kabinett. Und eine Antwort auf die Frage, ob er seinen Rückzug vorbereitet.

Guido Bohsem und Nico Fried

Philipp Rösler (FDP), 37, musste viel einstecken in den ersten zehn Monaten als Bundesgesundheitsminister. Auch jetzt ist der Widerstand gegen seine Politik groß. Die Süddeutsche Zeitung sprach mit ihm über Humor, Markus Söder, die Liberalen und warum die eigentliche Reform erst noch kommt.

Süddeutsche Zeitung: Auf dem Gillamoos haben Sie sich über den Politikbetrieb lustig gemacht, über "Zickenterror" im Kabinett gesprochen. Man fragt sich unwillkürlich, ob Sie Ihren Rückzug vorbereiten.

Philipp Rösler: Absolut nicht! Das war eine satirische Volksfest-Rede, bei der ich mich im Wesentlichen selbst aufs Korn genommen habe. Ich finde, das ist in der Berichterstattung leider zu kurz gekommen.

SZ: Darf man sich als Minister über die Bundeskanzlerin lustig machen?

Rösler: Wohl eher nicht.

SZ: Würden Sie die Rede wiederholen?

Rösler: Die Wiederholung von Reden empfiehlt sich nie.

SZ: Markus Söder haben Sie in der Rede ausgespart. Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu ihm beschreiben?

Rösler: Herr Söder ist einer von 16 Landesgesundheitsministern, und wir haben unterschiedliche Auffassungen bei der Gesundheitsreform, aber durchaus auch Gemeinsamkeiten. Ich habe ihn ja mal in Nürnberg besucht, in dem Krankenhaus, in dem er geboren wurde, wo sozusagen alles seinen Anfang nahm...

SZ: Jetzt aber mal ehrlich. Das ist der Mann, der jeden Ihrer Vorschläge derart kritisch kommentiert, dass sogar der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sagt, als Opposition falle es manchmal schwer, damit Schritt zu halten.

Rösler: Das kann auch an Herrn Lauterbach liegen. Ganz ehrlich: Als Landesminister muss Herr Söder die Interessen seines Landes vertreten. Das habe ich auch getan, als ich noch Landesminister in Niedersachsen war. Fest steht doch: Es bleibt bei dem, was die Parteivorsitzenden und Fraktionschefs der Koalition gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium nun auf den Weg gebracht haben.

SZ: Wir sehen Söder eher als gesundheitspolitischen Wadenbeißer von CSU-Chef Horst Seehofer.

Rösler: Da machen Sie es sich doch ein bisschen zu einfach: Wenn Herr Seehofer etwas sagen will, spricht er selbst.

SZ: Wird die Reform ohne ein weiteres Spitzentreffen über die Bühne gehen?

Rösler: Davon ist auszugehen.

SZ: Zum Vorhaben selbst. Sie wollen einen Zusatzbeitrag einführen. Die Schwachen erhalten dafür einen Sozialausgleich. Die Gutverdiener schützt die Beitragsbemessungsgrenze. Belastet wird die Mittelschicht, die Sie eigentlich stützen wollten. Wie verträgt sich das mit der Ankündigung, für mehr Netto vom Brutto zu sorgen?

Rösler: Die FDP hat immer von einer Stärkung der Mittelschicht gesprochen. Dazu gehört nach unserer Auffassung, dass es ein stabiles Gesundheitssystem geben muss. Denn Stärkungen manifestieren sich nicht immer nur in Euro und Cent, obwohl das beispielsweise durch die Absetzbarkeit der Beiträge zur Gesundheit von der Steuer geschehen ist, die seit Anfang des Jahres gilt...

SZ: ...das hat aber die große Koalition beschlossen und nicht Schwarz-Gelb...

Rösler: ... sondern auch in einer Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme. Ich finde, die Menschen müssen die Gewissheit haben, dass das, was sie für Gesundheit einzahlen, ihnen auch in Zukunft zuverlässig im Krankheitsfall zugutekommt. Mit der Finanzierungsreform erreichen wir beides: Das für 2011 erwartete Milliardendefizit wird durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Arbeitnehmern, Arbeitgebern, Steuerzahlern und Leistungserbringern im Gesundheitssystem aufgefangen. Gleichzeitig stabilisieren wir durch ein Umsteuern hin zu einkommensunabhängigen Zusatzbeiträgen das System dauerhaft. Der Sozialausgleich bei den Zusatzbeiträgen wird über Steuermittel finanziert. Damit beziehen wir erstmals alle Einkommensarten und vor allem die höheren Einkommen ein.

SZ: Wieso erstmals? Schon jetzt gehen 14 Milliarden Euro an Steuergeld in die gesetzliche Krankenversicherung.

Rösler: Das Geld wird heute für versicherungsfremde Leistungen wie die kostenfreie Familienmitversicherung eingesetzt. Neu ist insbesondere, dass der Sozialausgleich für die Zusatzbeiträge aus Steuermitteln erfolgen soll.

SZ: In Wirklichkeit füllen Sie doch nur das Defizit der Kassen und machen die Zusatzbeiträge gangbar, die Union und SPD bei der Einführung des Gesundheitsfonds vereinbart hatten. Wo bleibt der versprochene Systemwechsel?

Rösler: Wir steigen in den Systemwechsel ein. Der kommt Schritt für Schritt. So wie es immer angekündigt war. Keiner wird überfordert. Wir halten Wort.

SZ: Das heißt, nach der Reform ist gleich wieder vor der Reform.

Rösler: Das heißt, dass wir die Finanzierungsseite nun reformiert haben. Wir schaffen den Einstieg in ein System von einkommensunabhängigen Beiträgen, die künftige Kostensteigerungen ausgleichen sollen. Das ist eine strukturelle Änderung, eine langfristige Antwort für die Finanzierung eines hervorragenden Gesundheitssystems. Mit den Zusatzbeiträgen schaffen wir die Voraussetzung für mehr Eigenverantwortung, Wettbewerb und Solidarität gleichermaßen.

SZ: Indem Sie das Defizit der Kassen vollständig ausgleichen, verhindern Sie doch einen Preiswettbewerb. Bis 2013 wird bei den meisten Kassen der staatliche Einheitsbeitrag gelten.

Rösler: Für 2011 ist das Gesamtsystem in der Tat durchfinanziert. Deshalb sind zusätzliche Beiträge nicht zu erwarten. Dennoch geben wir den Krankenkassen mehr Beitragsautonomie zurück. Damit wird der Wettbewerb der Kassen um Versicherte wiederbelebt.

SZ: Warum bleiben eigentlich die Arbeitgeber künftig außen vor? Sie müssen sich an den Kostensteigerungen nicht mehr zur Hälfte beteiligen.

Rösler: Sie verlangen ja auch nicht, dass der Arbeitgeber Ihnen die Hälfte der Miete oder des Brotpreises zahlt, obwohl es sich da auch um wichtige Bereiche handelt. Ordnungspolitisch ist es die Aufgabe im Rahmen von Tarif- und Gehaltsverhandlungen für auskömmliche Gehaltssteigerungen zu sorgen, damit jeder Arbeitnehmer seine Krankenversicherungskosten auch tragen kann. Für untere Einkommen gibt es einen automatischen und unbürokratischen Sozialausgleich. Es wird niemand zum Bittsteller.

SZ: Wenn die Arbeitgeber höhere Beiträge fürchten müssen, wehren sie sich auch gegen Kostensteigerungen. Diese Kostenbremse im System fehlt künftig.

Rösler: In der Vergangenheit hat die Rolle der Arbeitgeber nicht verhindert, dass die Lohnnebenkosten-Debatte letztlich immer nur zu schlichten Kostendämpfungen geführt hat. Eine viel bessere Kostenbremse ist der aufgeklärte Versicherte, der selbst entscheiden kann, wofür sein Geld ausgegeben wird.

SZ: Wer setzt sich denn künftig für eine Kostenkontrolle im System ein?

Rösler: Es ist Aufgabe der Gesundheitspolitik, das System so auszugestalten, dass es zu einem fairen und ehrlichen Wettbewerb kommen kann - auch in einem System der gegenseitigen Solidarität. Dabei sind Vertragsverhandlungen - wie sie künftig auch für innovative Arzneimittel vorgeschrieben sind - ein Kernelement. Zu Ende gedacht, bedeutet das: Die Menschen können mehr entscheiden und damit Kosten kontrollieren.

SZ: Unter den Apothekern, Ärzten, eigentlich im gesamten Medizinbetrieb herrscht inzwischen eine Ernüchterung über den Mediziner aus der FDP, der das Gesundheitsministerium führt.

Rösler: Manchmal werden Erwartungen in einen gesetzt, die oft Wunschvorstellungen sind, aber schwierig zu realisieren. Vor allem aber bin ich als Bundesgesundheitsminister verantwortlich für mehr als 80 Millionen Versicherte.

SZ: Die härtesten Kritiker zählen zur Stammwählerschaft der FDP. Das muss Sie doch treffen. Müssen Sie Ihre Politik besser erklären?

Rösler: Die Realität lehrt, dass wir als FDP eine richtige Politikvision haben, aber wir müssen erkennen, dass die Umsetzung tagespolitisch langwieriger ist, als von vielen - auch von mir - gewünscht ist. Das zu erklären, ist nicht immer einfach, aber gehört dazu. Das Gesundheitssystem ist wie ein großer Tanker. Der lässt sich nur langsam umsteuern. Wichtig ist, dass Sie das neue Ziel immer klar im Blick halten. Das ist der innere Kompass. Das wissen zwar alle, aber manchmal geht es nicht schnell genug.

SZ: Die nächste Reform, bei der Sie Ihre Erkenntnisse anwenden können, dürfte die Pflegeversicherung sein.

Rösler: Ja, das wird das große Thema des kommenden Jahres. Es bewegt die Bevölkerung emotional auch noch stärker als die Gesundheit.

SZ: Was wollen Sie ändern?

Rösler: Wir müssen die Finanzierung neu ordnen. Außerdem wollen wir, dass der Grad der Bedürftigkeit künftig nicht mehr daran gemessen wird, wie viel Zeit man für einen Patienten braucht, sondern wie selbständig er ist.

SZ: Die Anbieter klagen über einen Mangel an Pflegekräften.

Rösler: Das ist richtig. Die Lage ist heute schon schwierig. Ich bin deshalb - für einen Liberalen eher unüblich - für einen Mindestlohn in der Pflege. Wohlgemerkt: Ein Mindestlohn markiert eine Untergrenze und nicht die Regelbezahlung. Die Arbeitgeber sind heute schon gefordert, gerade in der Pflege die enormen Leistungen der Beschäftigten auch finanziell zu würdigen. Ganz wichtig ist es zudem, das Image des Pflegeberufs aufzuwerten. Das Ziel muss sein, dass Jugendliche bei ihren Freunden geachtet werden, wenn sie einen Pflegeberuf ergreifen - und nicht belächelt.

SZ: Aktuell steht der Pflege-TÜV, der den Heimen Noten gibt, in der Kritik. Muss die Prüfung verbessert werden?

Rösler: Ich finde das Ziel der Prüfungen richtig. Jedoch wird zu wenig darauf geachtet, wie gut der Zustand und wie hoch die Zufriedenheit der Patienten ist. Wichtig ist, nicht die Dokumentation um ihrer selbst willen zu haben. Entscheidend ist die Ergebnisqualität. Da wird man etwas tun müssen.

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Quelle:
SZ vom 10.09.2010/pfau
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