Pflichtdienst:"Es ist schwer zu glauben, dass man gerade das Beste für die Jungen will"

Pflichtdienst: Zum Lernen fürs Leben gehört immer wieder die Begegnung mit dem Anderen.

Zum Lernen fürs Leben gehört immer wieder die Begegnung mit dem Anderen.

(Foto: Friso Gentsch/dpa)

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier stößt mit seinem Vorstoß für einen verpflichtenden Dienst im Sozialbereich für junge Menschen auf wenig Gegenliebe. Gerade nach der Pandemie sei dies ein falsches Signal, sagen Kritiker.

Von Sophie Kobel, Berlin

Sollen junge Menschen in Deutschland eine soziale Pflichtzeit ableisten? Ein Vorschlag von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich für einen solchen verpflichtenden Dienst aussprach, hat eine alte Debatte neu angestoßen - und Kritik ausgelöst.

Steinmeier hatte der Bild am Sonntag gesagt, ihm gehe es um die Frage, ob es "unserem Land nicht guttun würde, wenn sich Frauen und Männer für einen gewissen Zeitraum in den Dienst der Gesellschaft stellen". Das müsse nicht bei der Bundeswehr sein, junge Männer und Frauen könnten auch in sozialen Einrichtungen wie in Seniorenheimen, Obdachlosenunterkünften oder bei der Betreuung behinderter Menschen unterstützen. Wie lange der Dienst dauern soll, sagte Steinmeier nicht - es müsse jedoch kein Jahr sein. Vielmehr gehe es für junge Menschen darum, den Horizont zu erweitern: "Man kommt raus aus der eigenen Blase, trifft ganz andere Menschen, hilft Bürgern in Notlagen. Das baut Vorurteile ab und stärkt den Gemeinsinn."

Der Vorstoß des Bundespräsidenten stieß jedoch auf wenig Gegenliebe. "Ein sozialer Pflichtdienst würde einen Eingriff in die individuelle Freiheit eines jeden Jugendlichen bedeuten", kritisierte etwa die Grünen-Familienministerin Lisa Paus am Sonntag. Auch Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sowie der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner teilten mit, die Bundesregierung setze weiterhin auf Freiwilligkeit. Und auch der aktuelle Koalitionsvertrag der Ampel sieht keinen verpflichtenden Dienst für junge Menschen vor. Darin verspricht man jedoch, "die Plätze in den Freiwilligendiensten nachfragegerecht auszubauen, das Taschengeld zu erhöhen und Teilzeitmöglichkeiten zu verbessern".

Denn die Erfahrung zeigt: Die Plätze sind beliebt. Knapp 100 000 junge Menschen engagieren sich jedes Jahr im Rahmen eines Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ), des Bundesfreiwilligendienstes oder ähnlicher staatlicher Angebote. Und das, obwohl sie dabei im besten Fall mit einem Taschengeld von der jeweiligen Einrichtung von 423 Euro pro Monat entlohnt werden - und es dabei nach unten gar keine Mindestgrenze gibt. Dennoch geht man beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben davon aus, dass es an vielen Einrichtungen mehr Bewerberinnen und Bewerber gibt als Stellen. Wohlfahrtsverbände reagierten denn auch skeptisch auf den Vorstoß: "Freiwilligkeit und persönliche Überzeugung müssen entscheidend bleiben", sagte Ulrich Lilie, der Präsident der evangelischen Diakonie.

Ein guter Zeitpunkt nach der Corona-Pandemie?

Ein bereits so großes soziales Engagement mit einer Pflicht zu belegen, das empfinden viele junge Menschen als ungerecht. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer twitterte am Sonntag: "Ich weiß nicht, ob man aktuell gut über einen #Pflichtdienst streiten kann. Im Lichte von jugendpolitischem Versagen in der Pandemie & zukunftspolitischem Herumgetrampel in der Klimakrise ist es schlicht schwer zu glauben, dass man gerade kategorisch das Beste für die Jungen will." In einer Umfrage der TUI-Stiftung für die Jugendstudie 2022 sprachen sich nur 40 Prozent der 16- bis 26-Jährigen für eine allgemeine Dienstpflicht aus, 49 Prozent dagegen.

"Wir sollten jungen Menschen, die unter der Corona-Pandemie besonders gelitten und sich trotzdem solidarisch mit den Älteren gezeigt haben, weiterhin die Freiheit zur eigenen Entscheidung lassen", sagte Familienministerin Paus. Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger stellte sich ebenfalls gegen den Vorschlag des Bundespräsidenten. Ein staatlicher Eingriff in den Lebenslauf sei nach den vergangenen zwei Jahren so ziemlich das letzte, was junge Menschen jetzt brauchen: "Eine #Dienstpflicht wird es mit uns nicht geben", twitterte die FDP-Politikerin.

Die Debatte über die verpflichtende Einführung von gesellschaftlichem Engagement kommt immer wieder auf. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar wird insbesondere vonseiten der CDU immer wieder über ein Nachfolgemodell der 2011 ausgesetzten Wehrpflicht diskutiert - damals war auch der Zivildienst weggefallen. Die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, hält nichts von einer solchen Pflicht. Angesichts des Krieges in der Ukraine sei das eine "theoretische Diskussion", die Wiedereinführung einer Wehrpflicht oder die Einführung einer Dienstpflicht helfe nicht weiter, sagte die SPD-Politikerin dem Evangelischen Pressedienst. Es gehe für sie vor allem darum, die Bundeswehr insgesamt attraktiv zu machen, um so gut qualifizierte Menschen zu gewinnen.

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