Pflegenotstand:Bis zum Hals

Das neue Pflegestärkungs­gesetz verspricht zusätzliche Stellen in Krankenhäusern. Doch was ist eigentlich mit den Rehakliniken? Dort macht man sich nun Sorgen, personell auszubluten.

Von Michaela Schwinn

Schon jetzt gibt es in der bayerischen Klinik Wartenberg zwei Welten. Die eine, die Akutklinik, in der Krankheiten behandelt werden. Und die andere, die Rehaklinik, wo sich Patienten wieder erholen sollen. Bisher arbeiten sie zusammen, die eine übernimmt dort, wo die andere aufhört. Bald aber könnte zwischen den beiden eine Kluft entstehen und ein erbitterter Kampf ausbrechen: um dringend benötigte Pflegekräfte. Das ist ein Szenario, das der Geschäftsführer der Klinik, Constantin von Stechow, befürchtet. Und schuld daran könnte ausgerechnet ein geplantes Gesetz sein, das die Pflege allgemein verbessern soll: das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz.

Anfang August wurde es vom Kabinett verabschiedet, es verspricht zusätzliche Stellen in Pflegeheimen und Krankenhäusern. Aber eine Sparte wurde dabei komplett ausgelassen: die Rehakliniken. "Das ist eine Katastrophe", sagt Stechow. "Das kann einfach nicht so gemeint sein." Und auch andere Klinikleiter und Pflegekräfte fragen sich nun: Hat uns die Regierung einfach vergessen? Oder wurden Rehakliniken absichtlich ausgenommen?

Das Gesundheitsministerium sieht die Verantwortung bei den Krankenkassen

Das Bundesgesundheitsministerium antwortet auf Nachfrage der SZ, dass Rehakliniken im Sofortprogramm zwar nicht erwähnt wurden, aber dies bedeute "nicht, dass entsprechende Problemlagen verkannt werden". Es wies zudem darauf hin, dass Rehakliniken, anders als Krankenhäuser, nicht der Planung der Bundesländer unterliegen. Das heißt, die Länder sind nicht dafür verantwortlich, dass es genügend Einrichtungen gibt, auch die Vergütungssätze legen sie nicht fest. Diese müssten die Rehakliniken mit den Krankenkassen vereinbaren. Das Gesundheitsministerium sieht die Verantwortung für die Rehakliniken also in erster Linie bei den Krankenkassen.

Pflegenotstand: Ob Erholung, Bewegungstherapie oder Krankengymnastik im Wasser – Rehakliniken haben eine wichtige Aufgabe: Sie kümmern sich darum, dass Menschen wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Ob Erholung, Bewegungstherapie oder Krankengymnastik im Wasser – Rehakliniken haben eine wichtige Aufgabe: Sie kümmern sich darum, dass Menschen wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können.

(Foto: Jochen Tack/imago)

Für Thomas Bublitz, den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken, ist die Antwort zwar "technisch richtig", aber sie helfe den Rehakliniken auch nicht weiter. "Die Gesetzeslage würde es zulassen, den Bereich mitzuberücksichtigen", sagt Bublitz. "Scheinbar liegt der Schwerpunkt aber woanders." Deswegen fürchtet auch er um die Zukunft der Rehakliniken: Wenn Krankenhäuser jede Stelle künftig von den Kassen finanziert bekommen, wie es das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vorsieht, könnten diese viel höhere Gehälter zahlen. Dazu komme, dass das geplante Gesetz "Untergrenzen" für Pflegepersonal vorsieht - werden diese nicht eingehalten, kann es für Krankenhäuser teuer werden. "Die Kliniken werden alles tun, um Pflegekräfte in ihre Häuser zu bekommen", sagt Bublitz. "Und die Rehakliniken könnten personell ausbluten."

Dabei werden die etwa 1200 Einrichtungen dringend gebraucht. Nach Knochenbrüchen, Herzinfarkten oder Krebserkrankungen kümmern sie sich darum, dass Menschen sich erholen und wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können. Sie bringen Arbeiter zurück in den Beruf und ältere Menschen zurück in die eigene Wohnung - statt ins Pflegeheim. Aber auch hier sind die Anforderungen in den vergangenen Jahren gestiegen: Patienten werden immer schneller aus Akutkrankenhäusern entlassen. In der Reha müssen sie oft weiterversorgt werden, etwa wenn Wunden noch nicht ganz verheilt sind.

Mehr Kontrolle

Der Gesetzentwurf mit dem sperrigen Namen "Pflegepersonal-Stärkungsgesetz" soll den Pflegenotstand lindern. So soll etwa jede zusätzliche Stelle in Krankenhäusern voll von den Krankenkassen finanziert werden. Dass auch genug Pfleger eingestellt werden, will die Regierung streng kontrollieren: Von 2020 an soll für jede Klinik das Verhältnis zwischen der Zahl der Pflegekräfte und dem anfallenden Pflegeaufwand berechnet werden - unterschreiten sie eine bestimmte Grenze, drohen Sanktionen. In Pflegeheimen sollen 13 000 Stellen geschaffen werden. Um überhaupt Pfleger zu finden, will die Regierung den Beruf attraktiver machen. Michaela Schwinn

Stefan Sell, Professor für Sozialpolitik an der Universität Koblenz, hält die Ängste der Rehakliniken durchaus für berechtigt. Zwar hätten Rehakliniken als Arbeitgeber immer noch ein paar Vorteile gegenüber Akutkliniken, etwa eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder weniger Patienten mit hohem Pflegeaufwand. Aber auch er sieht, dass die Anforderungen in den Rehakliniken gestiegen sind: "Wenn der Druck wächst, müsste das auf jeden Fall auch berücksichtigt werden." Neben den Rehakliniken müssten sich aber auch Pflegeheime Sorgen machen. Dort sollen zwar 13 000 neue Stellen geschaffen werden, aber die Arbeit ist weiterhin schlechter bezahlt als in der Krankenpflege. "Da könnte es einen gewissen Sogeffekt geben, wenn die Kliniken besser zahlen und massiv um neue Mitarbeiter werben", sagt Sell.

Stechow will sich weiter für eine Änderung des Gesetzentwurfs einsetzen. In ein paar Wochen wird Gesundheitsminister Jens Spahn - eingeladen vom CSU-Ortsverein Wartenberg - seine Klinik besuchen, dann will Stechow nachfragen: "Und was ist eigentlich mit den Rehakliniken?"

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