Süddeutsche Zeitung

Pflegekinder:Familienstreit

Die Reform der Regelungen für Pflegekinder entzweit die große Koalition. Die Union lehnt vor allem das Vorhaben der SPD ab, frühzeitig zu entscheiden, ob ein Kind auf Dauer bei den Pflegeeltern bleibt. Auch Experten sind sich nicht einig.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die Union trägt die von Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) geplante Reform des Pflegekinderwesens nicht mit. Besonders das Vorhaben, früher zu entscheiden, ob ein Kind auf Dauer bei Pflegeeltern bleibt, lehnt die Union ab. "Das Recht der leiblichen Eltern kann nur bei einer Kindeswohlgefährdung eingeschränkt werden", sagte der familienpolitische Sprecher der Union, Marcus Weinberg (CDU), am Montag vor einer Expertenanhörung im Bundestag. Komme die Reform durch, bekämen leibliche Eltern ein vorübergehend zur Pflege freigegebenes Kind womöglich nie mehr zurück. Die Pläne seien zu gravierend, um sie "im Hauruckverfahren" in dieser Legislatur umzusetzen. Ein schlecht gemachtes Gesetz, so Weinberg, "machen wir nicht mit".

Noch unter Manuela Schwesig (SPD) hatte das Bundesfamilienministerium einen Entwurf für ein "Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen" vorgelegt. Es sieht eine effektivere Heimaufsicht und mehr Interaktion zwischen Behörden vor. In vielem könnten sich die Koalitionsparteien wohl einigen. Im Kernbereich aber stellt die Union sich quer: bei der Stärkung von Pflegeeltern.

Geht es nach der SPD, soll früh geklärt werden, wie lange ein Kind bei Pflegeeltern bleibt

Bisher müssen leibliche Eltern zustimmen, ob ihr Kind in Pflege kommt. Sie können diese Zustimmung aber jederzeit widerrufen. Für Pflegekinder bedeutet das einen Zustand dauerhafter Ungewissheit. Erholen sich leibliche Eltern nach Jahren, muss ein Kind unter Umständen zu ihnen zurück, auch wenn es nicht will. Das Familienministerium will hier nun für mehr Stabilität sorgen. Gerichte sollen künftig den dauerhaften Verbleib in einer Pflegefamilie anordnen können, auch gegen den Willen leiblicher Eltern. Um belastende Beziehungsabbrüche zu vermeiden, soll schon zu Beginn eines Pflegeverhältnisses geklärt werden, wie lange das Kind bei den Pflegeeltern leben soll. Gleichzeitig soll leiblichen Eltern stärker geholfen werden, wieder erziehungsfähig zu werden.

Im Bundestag gingen die Expertenmeinungen dazu weit auseinander. Gerade für vorbelastete Kinder bedeute die "Stabilität einer etablierten Bindung zu feinfühligen, sozialen Elternpersonen einen bedeutsamen Schutzfaktor für die weitere Entwicklung", erklärte der Erziehungswissenschaftler Ludwig Salgo. Die deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie begrüßte eine frühzeitige Perspektivklärung, gerade angesichts der "Vulnerabilität" von Pflegekindern. Diplom-Psychologin Marie-Luise Conen hingegen warnte davor, die Stellung der Herkunftseltern zu schwächen. "Bindungen und Loyalitäten" der Kinder zu leiblichen Eltern würden in der Reform "ignoriert". Auch hätten Pflegeeltern eine starke Lobby, Herkunftseltern nicht. Kritik kam auch vom Kinderrechtsexperten Wolfgang Hammer. "Elternrechte werden geschwächt - Kinderrechte werden eher deklamatorisch und nicht real gestärkt", schrieb er in seiner Stellungnahme. Wer Pflegekindern und Eltern helfen wolle, müsse solidere Daten vorlegen und deutlich mehr ins Pflegekinderwesen investieren.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3551402
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 20.06.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.