Pflege:Wertschätzung lässt sich auch in Euro messen

Pflegeheim

Nicht einmal jede vierte Pflegekraft kann sich vorstellen, bis zur Rente im Beruf zu bleiben.

(Foto: dpa)

Balkongesänge für die Helfer in der Not sind wohlfeil. Letztendlich müssen die Bürger für ihre Versorgung und Pflege mehr zahlen - oder die Fachkräfte laufen davon.

Kommentar von Detlef Esslinger

Was bleibt, wenn das Virus eines Tages eingedämmt sein wird; was wird wieder verschwinden? Bleiben wird das Plexiglas, mit dem neuerdings die Kassiererin im Supermarkt geschützt wird. Bleiben wird das Niesen in die Armbeuge, das auch ohne Corona rücksichtsvoll ist. Verschwinden wird das Anstehen mit 1,50 Meter Abstand, so britisch bleiben die Deutschen nicht. Verschwinden wird auch, dass auf Balkons für Pflegekräfte geklatscht wird, die Helden dieser Zeit. Hier ist die Frage, ob die Geste ersatzlos verschwindet oder ob sich nach dem Applaus eine neue Form der Wertschätzung etabliert.

Wenn es die Bürger nicht mehr kostet, als auf den Balkon zu treten oder bei einer Umfrage zu antworten, überschütten sie die Berufsgruppe gerne mit Zuneigung. Eine Erhebung für den Beamtenbund kommt jedes Jahr zum Ergebnis, dass Pflegerinnen (und Pfleger) neben Feuerwehrleuten und Ärzten das höchste Ansehen aller Berufe genießen; ganz unten stehen Tätigkeiten in der Telefon-, Werbe- und Versicherungsbranche. Wenn Wertschätzung aber bedeuten soll, eine attraktive Bezahlung, ein zumutbares Pensum oder familienverträgliche Arbeitszeiten zu gewähren, sind Balkon-Demos vermutlich das Letzte, was der Gesellschaft zu deren Durchsetzung einfallen würde. Folge der Arbeitsbedingungen ist, dass sich nicht einmal jede vierte Pflegekraft vorstellen kann, bis zur Rente im Beruf zu bleiben.

Es hilft wenig, den Grund pauschal bei "der Politik" zu verorten. Zwar wurzelt vieles darin, dass vor dreißig Jahren Kliniken und Heime den Gesetzen des Marktes ausgeliefert wurden. Aber der Fehler ist gemacht, und da Enteignung von Investoren keine praktikable Option ist, arbeiten zum Beispiel die heutigen Ministerinnen und Minister Franziska Giffey, Hubertus Heil und Jens Spahn mit vielen Hebeln: neue Regeln zur Finanzierung der Kliniken und Besetzung der Stationen, Einführung eines Pflege-Mindestlohns, Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen, neue Stellen, und so weiter.

Wie weit sie kommen werden, hängt nicht allein von ihnen ab. Woran das Virus wohl (leider) wenig ändern wird, ist die Art, in der Verteilungskämpfe geführt werden. Woran es (zum Glück) auch wenig ändern wird, ist, welcher Persönlichkeitstyp in Pflegeberufe strebt: der hilfsbereite, dienende und mitfühlende. Zugleich sind dies mitunter Menschen, die (leider) den kämpferischen Einsatz für ihre eigenen Interessen schon als Verrat am Berufsethos empfinden. Nicht einmal jede zehnte Pflegerin in einem Altenheim gehört einer Gewerkschaft an, in Kliniken sieht es etwas besser aus. Verdi und auch der Beamtenbund tragen zähe Kämpfe aus, andere Lobbyisten im Gesundheitssystem sind wirkmächtiger als die der Pflege.

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Es ist daher ein richtiger erster Schritt, dass in der Altenpflege 2021 ein Mindestlohn von 15 Euro eingeführt wird. Flächendeckend attraktive Arbeitsbedingungen kann hier, anders als in der Metallindustrie, nur die Politik organisieren. Die Bürger in ihrer Eigenschaft als Beitrags- und Steuerzahler müssen wissen, dass sie künftig entweder etwas mehr für Pflege aufzuwenden haben und ihnen etwas weniger für Schnickschnack übrig bleibt - oder in der Pflegebranche setzt sich die Abstimmung mit den Füßen fort. Die einen geben den Beruf auf, die anderen treten erst gar nicht ein und wählen eine Tätigkeit, bei der vielleicht nicht die Wertschätzung, wohl aber das Geld stimmt.

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