Das „New Care Mobil“ steht gleich am Eingang des Werksgeländes der Firma Wolf im niederbayerischen Osterhofen, die neben Betonsilos und Schweineställen auch Fertighäuser baut. Der rechteckige Wohncontainer misst etwa 30 Quadratmeter und ist über eine kleine Treppe zugänglich oder barrierefrei über eine Rampe aus Stahl. Er wirkt von außen schmucklos, drei Fenster und etwas Holz an der Fassade, sein eigentlicher Zweck wird erst im Inneren sichtbar: Alles ist darauf ausgerichtet, pflegebedürftigen Menschen ein selbständiges Leben zu ermöglichen.
Die Küchenzeile ist höhenverstellbar und auch vom Rollstuhl aus zu bedienen. Das Bett hat eine Liegefläche, die sich zu einem Sitz aufrichten lässt und so das Aufstehen erleichtert. Eine sogenannte Dekubitusmatratze verhindert das Wundliegen: Mehrere Luftkammern können abwechselnd aufgepumpt werden, das nimmt Druck von einzelnen Körperregionen. Das Bad ist mit Sitzdusche und einem Ganzkörperföhn ausgestattet, zum Abtrocknen ohne Handtuch. Und mit einer Toilette, ebenfalls höhenverstellbar und kombiniert mit einem Bidet, das Toilettenpapier überflüssig macht.

Pflegebedürftige wüssten solche Dinge zu schätzen, erklärt Horst Kunhardt, Professor für angewandte Gesundheitswissenschaften an der Technischen Hochschule Deggendorf. Gerade Körperreinigung und Toilettengang seien schambehaftete Tätigkeiten, bei denen sich niemand gern helfen lässt.
Bei der Entwicklung des „New Care Mobil“ war Kunhardt federführend. Es ist vielleicht kein Zufall, dass es hier in der Provinz entstand, in Sichtweite zu den Bergen des Bayerischen Walds. Und fernab vom Berliner Politikbetrieb und den Lobbyverbänden, die seit Langem die Misere der Pflege beklagen, aber bei der Suche nach Auswegen kaum vorwärtsgekommen sind.
Die Zahl der Pflegebedürftigen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt
Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt und steigt, gerade hat der Medizinische Dienst des Bundes mitgeteilt, dass sie sich in den vergangenen zehn Jahren auf 5,6 Millionen verdoppelt hat. Gleichzeitig schrumpft die Zahl der Pflegenden, eine Folge des demografischen Wandels, aber nicht nur: Viele klagen über schlechte Arbeitsbedingungen und flüchten deshalb nach wenigen Jahren aus dem Beruf. Das erschwert erst recht die Arbeit für diejenigen, die bleiben.
Hier setzt Pflegeforscher Kunhardt mit seinen technischen Lösungen an. Zum einen will er die Pflegekräfte bei ihrem schweren Job unterstützen. Zum anderen sollen Pflegebedürftige so lang und autonom wie möglich zu Hause leben können. „Mit der Technik allein kann ich keine Menschen pflegen“, sagt Kunhardt. „Aber ich kann die Pflege erleichtern.“

Er hat in den Wohncontainer und einem weiteren Musterhaus, das ebenfalls auf dem Firmengelände steht, eine Reihe von Sensoren einbauen lassen. Manche dienen der Überwachung von Blutdruck oder Schlafverhalten der Bewohner. Andere erfassen, ob die Bewohnerin gerade gestolpert oder gar gestürzt ist und lösen dann einen Alarm aus. Es gibt Trinkbehälter, die messen, wie viel ein Bewohner am Tag bereits getrunken hat, und mit einem Piepton zu weiterer Flüssigkeitsaufnahme ermuntern.
„Dank der Sensortechnik kann ich auch aus der Ferne schauen, wie es Oma und Opa geht.“
Eine Tablettenbox prüft automatisch, ob die nötigen Medikamente eingenommen wurden. All diese Daten können auch von Angehörigen oder einer Pflegestation via Handy oder Computer abgerufen werden. „Dank der Sensortechnik kann ich auch aus der Ferne schauen, wie es Oma und Opa geht“, sagt Michael Merk, der das Projekt an der TH Deggendorf betreut und versucht, Verantwortliche aus Pflege und Politik dafür zu begeistern.

Die Technik mussten die Forscher der TH Deggendorf nicht selbst entwickeln. Sie ist seit Jahren auf dem Markt und hat sich bewährt. In Dänemark ergab eine Studie, dass zum Beispiel ein Aufstehbett Beschäftigten in Einrichtungen 15 Minuten Arbeit täglich spart, weil die Pflegebedürftigen ohne fremde Hilfe auf die Beine kommen. Dekubitusmatratzen, die Pflegebedürftige automatisch in die Seitenlage drehen und wieder zurück, oder technisch aufgerüstete Toiletten, wie sie im „New Care Mobil“ verbaut sind, bedeuten weiteren Zeitgewinn für Pflegekräfte.
Bei guter technischer Einrichtung fällt das Personal seltener aus
Zudem entlasten die technischen Hilfsmittel das Personal von schweren Hebetätigkeiten, die auf Dauer Rücken und Gelenke ruinieren. Untersuchungen haben gezeigt, dass Beschäftigte, die damit arbeiten, seltener über Schmerzen an Rücken, Nacken und Knie klagen. Projektmanager Merk verweist auf Statistiken, wonach Pflegekräfte so oft wie keine andere Berufsgruppe wegen Arbeitsunfähigkeit ausfallen, je nach Studie sind es bis zu 30 Tage jährlich.
Eine Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung ergab, dass in ausgewählten Einrichtungen, die technisch gut ausgerüstet sind, das Personal an weniger als 22 Tagen jährlich fehlte. Genauso profitieren auch die Beschäftigten ambulanter Pflegedienste, wenn die Technik in den Wohnungen installiert ist, die sie aufsuchen. Und nicht zu vergessen die pflegenden Angehörigen, ohne deren Einsatz die Mammutaufgabe, die Pflege von Millionen alter und behinderter Menschen, nicht zu bewältigen wäre.
Eine gewisse Überwachung beruhigt die Alten und auch ihre Angehörigen
Schließlich gewinnen auch die Pflegebedürftigen, wenn sie in ihrer gewohnten Umgebung leben können, was sich die überwältigende Mehrheit der alten Menschen wünscht. Die Deggendorfer Forscher ließen für eine Studie 75 Haushalte von Seniorinnen und Senioren technisch ausstatten. Viele hätten es als beruhigend empfunden, wenn Verwandte von außen verfolgen konnten, ob es ihnen gut geht, sagt Projektmanager Merk. Die Furcht sei verbreitet bei alten Menschen, dass sie stürzen oder gar einen Schlaganfall erleiden – und niemand kommt zu Hilfe.
Nebenbei habe man im Rahmen der Studie dank Sensorüberwachung bei einigen Bewohnern „entgleiste Blutdruckwerte“ entdeckt sowie Probleme beim Schlafverhalten. Positiv fanden zudem gerade die vergesslichen Probanden und deren Angehörige, dass der Herd automatisch abschaltet, wenn er nicht mehr benutzt wird, und Sensoren überwachen, ob nach Verlassen des Containers Fenster und Türen verschlossen sind.
Seit einigen Wochen touren Mitarbeiter der TH Deggendorf durch Bayern, um den Wohncontainer bekannter zu machen. Er ist eher als Lösung für den ländlichen Raum gedacht, wo noch Platz ist. Die darin installierte Technik hingegen lässt sich in jede Wohnung und Einrichtung einbauen. Das ist in Deutschland bisher kaum der Fall. Andere Länder wie Dänemark seien da viel weiter, sagt Projektmanager Merk. Eine Pflegerin habe beim Anblick des Aufstehbetts feuchte Augen bekommen, erzählt er. „Sie hat sich gefragt, warum es so was nicht in ihrer Einrichtung gibt.“
Merk hat dafür eine Erklärung: Die Kosten für einen Pflegeplatz seien bereits dramatisch gestiegen, auf 5000 Euro und mehr pro Monat. Laut einer aktuellen Studie sind fast ein Drittel der Pflegeheime älter als 40 Jahre. Sie müssten dringend renoviert und modernisiert werden. Würden die Einrichtungen nun auch noch technisch aufrüsten, müssten die Bewohner noch tiefer in die Tasche greifen. Also hielten sie sich lieber mit Investitionen zurück.
Das sei aber kontraproduktiv, warnt Merz. Schon jetzt kämen die Pflegekräfte in Deutschland auf Millionen Fehltage pro Jahr. Wenn die Einrichtungen ihr Personal also weiter so belasteten, werde sie das am Ende noch mehr kosten.