Unterstützung in der Pflege:Spahns Idee trifft auf die schnöde Realität

Verband: Ehrenamtliche Hospizarbeit nach wie vor Frauensache

Die Corona-Krise hat Altenpflegerinnen viel abverlangt. Ihr Lohn ist niedriger als der für Krankenpfleger.

(Foto: dpa)

1500 Euro für Altenpfleger - den Vorschlag fand nicht nur der Gesundheitsminister gut, sondern auch viele andere Politiker. Doch wer den Corona-Bonus bezahlen soll, ist noch immer unklar.

Von Rainer Stadler

Christel Bienstein, die Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), war vom Corona-Bonus von Anfang an nicht begeistert. Schon klar, 1500 Euro Bonus bringen den Bediensteten in der Altenpflege mehr, als wenn die Politiker nur für sie klatschen. Viel wichtiger als eine einmalige Prämie sei aber ein flächendeckender Tarifvertrag, mit Löhnen, von denen die Pflegekräfte auch leben können, sagt Bienstein.

Zunehmend skeptisch beobachtet sie nun, wie Woche um Woche vergeht, bis die Idee mit dem Bonus, die so viele Fürsprecher hatte, endlich Realität wird. Zwar hat der Bund vor einigen Tagen ein Gesetz verabschiedet und sich bereit erklärt, 1000 Euro des Bonus zu übernehmen. Die Länder sollen diesen Betrag weiter aufstocken, auf bis zu 1500 Euro.

Doch eine Nachfrage der Süddeutschen Zeitung ergab, dass bisher nur zehn der 16 Bundesländer beschlossen haben, das auch zu tun. Aus dem Saarland und Niedersachsen gibt es bis heute nur Absichtserklärungen. Und in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Thüringen und Sachsen-Anhalt ist noch gar keine Entscheidung gefallen. Mehrere Bundesländer geben darüber hinaus an, dass noch nicht feststeht, aus welchem Topf die zusätzlichen 500 Euro gezahlt werden sollen und inwieweit sich die Arbeitgeber beteiligen. Unklar ist auch, wann das Geld fließen soll.

Den Arbeitgebern fehlen Rücklagen

DBfK-Präsidentin Bienstein hätte sich gewünscht, dass all diese Fragen entschieden worden wären, bevor Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und so viele andere Politiker die Idee in die Welt hinausposaunten. Es stand ja von Anfang an die Frage im Raum, wer den Bonus finanzieren sollte. Arbeitgeber wie die Diakonie oder die Caritas teilten frühzeitig mit, sie hätten dafür keine Rücklagen. Protest kam auch von Pflege- und Krankenkassen.

Die Linken-Abgeordnete Pia Zimmermann nannte das Gezerre um die Finanzierung der Prämie deshalb "peinlich und unwürdig" und forderte den Bund auf, den Bonus vollständig aus Steuermitteln zu bezahlen. Zudem wuchsen die grundsätzlichen Zweifel an dem Unterfangen: Warum sollen nur Mitarbeiter in der Altenpflege Geld bekommen? Warum nicht auch im Krankenhaus, wo ja mindestens genauso viele Sonderschichten gefahren wurden wegen Corona? Warum nur die Pflegenden und nicht auch die Menschen, die in Heimen reinigen, kochen oder an der Pforte sitzen? Aus Sicht von Experten ist der Bonus inzwischen vor allem ein Beispiel für schlechtes Politikmanagement - aber auch eine Folge der strukturellen Defizite in der Pflegebranche.

Die Dortmunder Pflegewissenschaftlerin Angelika Zegelin findet es weiter richtig, dass die Altenpfleger einmal an erster Stelle stehen. Schließlich verdienen sie ansonsten 500 bis 600 Euro monatlich weniger als Krankenschwestern. Dass sich die Arbeitgeber weigerten, sich an der Finanzierung zu beteiligen, wundert sie nicht. Schließlich sei die Hälfte der Einrichtungen in der Hand von privaten Ketten. Manche von ihnen hätten Aktionäre, in Tokio oder sonstwo in der Welt verstreut, "und die erwarten Gewinne".

Auch die Heime der Wohlfahrtsverbände, Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt, seien auf Profit angewiesen, um andere Aufgaben querzufinanzieren, aber auch ihren Verwaltungsapparat. Deshalb komme viel Geld, das eigentlich in die Pflege fließen sollte, gar nicht bei den Heimen an. Erst recht nicht bildeten die Träger Rücklagen, um ihren Mitarbeitern einen Bonus zu zahlen, wenn die Politik das wünscht.

Nur fünf Prozent der Pflegerinnen sind in einer Gewerkschaft

Zweitens sei die Pflegebranche kaum organisiert. Gerade fünf Prozent der Mitarbeiterinnnen - Pflege ist vor allem ein Frauenberuf - gehörten einer Gewerkschaft an. In Skandinavien oder Großbritannien seien die Bediensteten viel besser organisiert, sagt Zegelin. In Schweden hätten sie mit politischem Druck und Streiks Gehaltssteigerungen von 30 Prozent durchgesetzt. Auch in Berlin bewege sich die Politik nur, "wenn sie es mit organisierten Interessen zu tun bekommt".

DBfK-Präsidentin Bienstein fürchtet bereits, dass am Ende doch noch ein Teil der Altenpfleger leer ausgehen könnte. Angesichts sinkender Corona-Fallzahlen sei der Druck auf die Politik gesunken, "rasch etwas für die Pflegekräfte auf die Beine zu stellen".

Kritik regt sich auch an der Rolle der Gewerkschaft Verdi, die vor einigen Wochen mit einem Arbeitgeberverband aushandelte, dass die Träger den Bonus übernehmen würden, und dieses Ergebnis als Durchbruch feierte. Das Problem: Die Branche ist zersplittert. Der Verband, mit dem Verdi verhandelte, umfasst mit der Arbeiterwohlfahrt und dem Arbeiter-Samariter-Bund nur einen Bruchteil der Arbeitgeber. Obendrein seien diese Träger dafür bekannt, vergleichsweise niedrige Gehälter zu zahlen. Nicht wenige in der Branche erstaunt, warum sich Verdi nicht an Unternehmen wandte, die Gehälter des Öffentlichen Dienstes zahlen. Und DBfK-Präsidentin Bienstein ahnt, dass es in diesem komplizierten Umfeld noch ein langer Weg ist, bis Pflegekräfte das bekommen, was sie verdient hätten.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir die DBfK-Präsidentin Christel Bienstein fälschlicherweise mit dem Nachnamen Bienscheid genannt.

Zur SZ-Startseite
pflege jetzt

SZ JetztStudium
:"Pflege ist mehr als ein Assistenzberuf"

In Bremen kann man Pflege studieren. Was das für den Job bedeutet und wie wir den Pflegenotstand bekämpfen können, erklärt die Professorin Henrikje Stanze.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: