Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Sticheln gegen den Pflegenotstand

Arbeitsminister Heil und Gesundheitsminister Spahn sind sich einig: Pflegekräfte sollen künftig nach Tarif bezahlt werden. Doch ihre Vorstellungen, wie sich dieses Ziel erreichen lässt, gehen weit auseinander.

Von Henrike Roßbach, Berlin

Es war ein sonniger Junitag 2019, als drei mit sich erkennbar zufriedene Bundesminister über den kopfsteingepflasterten Hof eines ehemaligen Abwasserpumpwerks marschierten, um Großes zu verkünden. Franziska Giffey, Hubertus Heil (beide SPD) und Jens Spahn (CDU) hatten in die Eventlocation an der Spree geladen, weil sie, wie Giffey es nannte, einen "Rütli-Schwur" geschworen hatten: Ein Jahr zuvor hatten sie die "Konzertierte Aktion Pflege" ins Leben gerufen, nun sollten die getroffenen Vereinbarungen zum Abschluss feierlich unterzeichnet werden. Im Trio sollte es dann mit der Umsetzung losgehen, über Parteigrenzen hinweg gemeinsam gegen den Pflegenotstand - das war die Botschaft. Oder, um noch einmal Giffey zu zitieren: "Wir treten uns nicht gegens Schienbein."

Fast zwei Jahre später allerdings sind Heil und Spahn nun offenbar doch bereit, dem jeweils anderen unterm Tisch einen blauen Fleck zu verpassen.

Am Wochenende ließ Heil via Bild am Sonntag wissen, dass er ein "Pflege-Tariftreuegesetz-Gesetz" durchsetzen wolle. Paragraf 72 des Sozialgesetzbuchs XI soll neu formuliert werden: Versorgungsverträge sollen nur noch mit Pflegeeinrichtungen abgeschlossen werden dürfen, die ihre Beschäftigten nach Tarif bezahlen. Denn der Gesundheitsminister habe in dieser Sache bislang keine Lösung vorgelegt, so Heil.

Spahn ließ diesen Seitenhieb nicht lange unbeantwortet: "Ein Gesetzentwurf zur Pflegereform liegt längst vor", teilte er mit und stichelte in Heils Richtung: "Im Gegensatz zum Plan des Arbeitsministers werden dabei nicht nur die Interessen der Pflegekräfte berücksichtigt, sondern auch die der Pflegebedürftigen." Wer Tarifbezahlung wolle, müsse auch die Eigenanteile deckeln - also das, was Pflegebedürftige oder ihre Familien zuzahlen müssen, weil die Pflegeversicherung nicht als Vollkasko-Versicherung konzipiert ist. Dazu wiederum sollte sich "der Finanzminister endlich mal verhalten".

Die Zeit wird langsam knapp

Der hat sich zu der Sache am Wochenende in der Tat "verhalten", nur eben anders, als Spahn sich das vorstellt. Olaf Scholz (SPD) schloss sich Heils Vorstoß an und lobte, dieser stelle sicher, "dass Tarifverträge in der Altenpflege Realität werden, dass dort bessere Arbeitsbedingungen herrschen".

Fakt ist: Aus dem Hause Spahn existiert in der Tat ein Gesetzentwurf von Mitte März für eine Pflegereform, die auch Heils Anliegen aufgreift: "Zur Stärkung der Attraktivität des Pflegeberufs und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen beruflich Pflegende künftig mindestens nach Tarif entlohnt werden." Aber: Es ist nur ein Arbeitsentwurf, der noch nicht in die Ressortabstimmung gegeben wurde, und die Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode wird langsam knapp. Eine komplette Pflegereform dürfte bis zur Bundestagswahl viel schwieriger zu schaffen sein als eine Solo-Änderung des Sozialgesetzbuchs. Zudem wird im Spahn-Entwurf die Möglichkeit eröffnet, auch eine "ortsübliche Entlohnung zu zahlen", wenn es keinen anwendbaren Tarifvertrag gibt, was Heil ablehnt.

Die Lage ist deshalb so verfahren, weil ein Kernelement der konzertierten Aktion kürzlich am Nein der Caritas gescheitert ist: ein Pflegetarifvertrag für alle Träger - privat, kommunal, kirchlich oder frei gemeinnützig -, vom Bundesarbeitsminister für allgemeinverbindlich erklärt. Damit bleibt eine Leerstelle, auch wenn das Trio an anderer Stelle erfolgreicher war, etwa bei zusätzlichen Pflegestellen, der neuen Pflegeausbildung ohne Schulgeld oder beim Pflegemindestlohn für Fachkräfte.

"Mir geht es um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten der Altenpflege", sagte Heil der Süddeutschen Zeitung. "Dazu sind wir bei den Beschäftigten im Wort und müssen liefern." Ihm sei es wichtig, "keine Schlupflöcher zuzulassen, etwa durch eine Orientierung an ortsüblichen Löhnen", sagte Heil mit Blick auf Spahns Entwurf. Klar sei, dass die Interessen von Pflegebedürftigen und Pflegekräften nicht gegeneinander ausgespielt werden dürften. "Wir brauchen bessere Löhne und dürfen die Pflegebedürftigen nicht durch steigende Eigenanteile überfordern."

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