Pandemie:Mehr Belastungen für pflegende Angehörige

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Drei Viertel der etwa vier Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland werden von Angehörigen versorgt. (Foto: Ute Grabowsky/imago)

Zahlen des Bundesgesundheitsministeriums zeigen, dass Hilfsangebote wie Tages- und Kurzzeitpflege im Corona-Jahr 2020 seltener in Anspruch genommen wurden. Die zusätzliche Arbeit mussten die schultern, die ohnehin schon überlastet sind.

Von Rainer Stadler, München

Wenn in den vergangenen Monaten Politiker oder Funktionäre die Helden in der Pflege lobten, die unter den schwierigen Bedingungen der Pandemie Übermenschliches leisteten, hatten sie überwiegend Beschäftigte von Heimen im Sinn. Niemand kam auf die Idee, einen Bonus für pflegende Angehörige vorzuschlagen, obwohl auch sie in Corona-Zeiten noch stärker beansprucht werden als vor dem Ausbruch der Seuche.

Das erschließt sich unter anderem aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums auf eine aktuelle Anfrage der Grünen, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Im Jahr 2020 hätten die Kassen der Pflegeversicherung 21,1 Prozent weniger Leistungen für Tages- und Nachtpflege zu verzeichnen gehabt und 12,3 Prozent weniger für Kurzzeitpflege als im Vorjahr, schreibt das Ministerium. Es sei "ein wohl im Wesentlichen pandemiebedingter Rückgang".

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Arbeitsminister Heil und Gesundheitsminister Spahn sind sich einig: Pflegekräfte sollen künftig nach Tarif bezahlt werden. Doch ihre Vorstellungen, wie sich dieses Ziel erreichen lässt, gehen weit auseinander.

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Aus Sicht der Kassen klingt das erfreulich. Aber für die pflegenden Angehörigen bedeutet der Rückgang, dass sie im Corona-Jahr 2020 wesentlich weniger der Hilfeleistungen in Anspruch nahmen, die eigentlich ihrer Entlastung dienen sollen. Experten überrascht das nicht, schließlich waren Einrichtungen der Tagespflege, in denen Pflegebedürftige tagsüber betreut werden, zu Beginn der Pandemie wochenlang geschlossen. Ebenso Einrichtungen zur Kurzzeitpflege, die für Menschen vorgesehen sind, die sich etwa nach einem Krankenhausaufenthalt vorübergehend nicht selbst versorgen können. Die Zahlen aus dem Ministerium lassen erahnen, dass die fehlenden Hilfen im vergangenen Jahr vor allem durch Mehrarbeit pflegender Angehöriger ausgeglichen wurden.

Für diesen Mittwoch ist im Bundestag eine öffentliche Anhörung zur Pflege durch Angehörige angesetzt. Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Alten- und Pflegepolitik der Grünenfraktion, fordert angesichts der Belastungen im Corona-Jahr und des demografischen Wandels, die pflegerische Infrastruktur auszubauen, um "private Sorgearbeit der pflegenden Angehörigen" zu unterstützen. Das Bundesgesundheitsministerium scheint allerdings andere Pläne zu haben.

Laut einem Papier aus dem Haus von Jens Spahn (CDU) soll der Anspruch auf Tagespflege vom 1. Juli 2022 an auf 50 Prozent begrenzt sein, wenn gleichzeitig Pflegesachleistungen in Anspruch genommen werden. Die Deckelung wird damit begründet, dass derzeit manche Anbieter betreutes Wohnen und Tagespflege kombinierten. Dieser Fehlanreiz solle künftig beseitigt werden.

Verbraucherzentrale hält Kürzungen für einen "Skandal"

Auch bei der sogenannten Verhinderungspflege sind Beschränkungen geplant. Sie kommt zum Tragen, wenn pflegende Angehörige vorübergehend verhindert sind, sei es wegen Urlaub oder auch nur wegen eines Friseurbesuchs, und eine Ersatzbetreuung nötig wird. Von den bis zu 1612 Euro, die dafür jährlich vorgesehen sind, dürfen nach den Vorstellungen des Ministeriums nur noch 40 Prozent stundenweise in Anspruch genommen werden.

Die Pläne haben Entrüstung in den Verbänden ausgelöst. Sollten sie umgesetzt werden, könnten sich viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen "die häusliche Pflege und Tagespflege nicht mehr leisten und auch organisatorisch nicht mehr stemmen", schreibt der Arbeitgeber- und Berufsverband Privater Pflege. Klaus Müller, der Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, hält die Kürzungen für einen "Skandal". Viele pflegende Angehörige seien auf Tages- und Verhinderungspflege angewiesen, wenn sie gleichzeitig einem Beruf nachgehen.

Auch die Grünen-Politikerin Schulz-Asche kritisiert die Beschränkungen, beträfen sie doch "ausgerechnet die Leistungen, die pflegende Angehörige entlasten sollen". Aufgabe des Bundesgesundheitsministerium sei es, dafür zu sorgen, "dass die Menschen die Pflege bekommen, die sie brauchen".

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