Pflanzengift Rizin:Biowaffe für Amateure

Es ist relativ leicht herzustellen, und es tötet in geringsten Dosierungen: Für das Pflanzengift Rizin, mit dem Briefe an US-Präsident Obama und einen Senator versehen waren, interessieren sich vor allem rechte und islamistische Extremisten - aber auch die Schreiber einer Fernsehserie.

Von Sebastian Krass

Handout photo of Castor beans

Die Bohnen der Rizinuspflanze, aus denen sich das hoch giftige Rizin gewinnen lässt.

(Foto: Reuters)

Es war erstaunlich, was die kanadischen Grenzbeamten alles fanden, als sie im Jahr 1993 den Amerikaner Thomas Lavy gestoppt hatten: vier Schusswaffen, 20.000 Patronen, 13 Pfund Schießpulver, mehr als 80.000 Dollar in bar - und 130 Gramm des Pflanzengifts Rizin, von dem in hoch angereicherter Form bereits Dosen von weniger als einem Milligramm für einen Menschen tödlich sein können.

Er habe mit dem Rizin gegen Kojoten auf seinem Grundstück vorgehen wollen, sagte Lavy, der auch Nazi-Schriften bei sich gehabt haben soll. Das Rizin wurde konfisziert, erst einmal geschah nichts. Zwei Jahre später erwirkte ein FBI-Agent Ermittlungen gegen Lavy. Er wurde festgenommen. Doch was Lavy genau mit dem Rizin vergehabt hatte, blieb im Dunkeln. Wenige Tage nach seiner Festnahme nahm er sich in der Zelle das Leben.

Dieser Vorfall ist nur einer aus einer ganzen Reihe von merkwürdigen Rizinfunden, die das Online-Magazin Salon.com beschreibt, nachdem mit diesem Gift versetzte Briefe an US-Präsident Barack Obama und den republikanischen Senator Roger Wicker verschickt wurden und ein Verdächtiger festgenommen wurde.

Was den nun festgenommenen Verdächtigen aus Mississippi umgetrieben haben könnte, ist noch unklar. Den Briefen war eine kryptische Botschaft angefügt: "Wer etwas Falsches sieht und es nicht aufdeckt, macht sich zum stillen Partner. Ich bin KC und unterstütze diese Botschaft." US-Medien berichten, der Festgenommene heiße Paul Kevin C.

Mit der tödlichen Wirkung von Rizin beschäftigten sich schon zur Zeit des Ersten und Zweiten Weltkriegs Militärs. Sie prüften, ob man daraus nicht eine Biowaffe herstellen könnte, letztlich versprachen sie sich aber von anderen Substanzen mehr Wirkung.

Inzwischen sei Rizin sehr beliebt bei "Amateuren", sagt Stephen Morse, Epidemiologe an der Columbia University, der ein Buch zu Bioterrorismus herausgegeben hat, laut Salon.com. Gerade Rechtsextremisten beschäftigten sich immer wieder damit, wie man das Gift beschaffen und einsetzen könnte, schreibt das Magazin.

Auch islamistische Terroristen, denen die technischen Voraussetzungen und das Wissen zur Produktion aufwendiger Chemie- oder Biowaffen fehlen, haben bereits mit Rizin experimentiert. 2003 wurden Islamisten in den USA festgenommen, weil sie versucht haben sollen, das Essen auf einer Militärbasis mit Rizin zu versetzen.

Es gibt kein bekanntes Gegenmittel für Rizin, es tötet in geringen Dosierungen - und es ist relativ leicht, eine zwar nicht hoch angereicherte, aber doch äußerst gefährliche Menge herzustellen.

Erinnerungen an das traumatische Jahr 2001

Anleitungen kursieren auf Waffenshows und im Internet. Selbst das FBI hat auf seiner Internetseite eine verschlüsselte Anleitung zur Herstellung von Rizin, wie Spiegel Online berichtet. Sie solle als Beispiel für die Arbeit von Verschlüsselungsexperten dienen, sei aber verhältnismäßig leicht zu dechiffrieren.

Auch in einer der populärsten amerikanischen Fernsehserien war Rizin bereits mehrmals Thema: In "Breaking Bad" stellt der Charakter Walt das Gift her, um ihm unliebsame Personen zu beseitigen.

Was im Fernsehen bestens unterhält, ist aber nun auch wieder US-amerikanische Realität. Insgesamt drei Briefe mit Rizin wurden in dieser Woche gefunden, neben denen an Obama und den Senator war einer an einen Vertreter der Justiz in Mississippi adressiert. Es könnten auch noch weitere unterwegs sein - oder demnächst in Umlauf gelangen.

Bisher gab es noch keinen Rizin-Anschlag, bei dem eine größere Zahl an Menschen ums Leben gekommen ist. Aber die Angst ist nun wieder da.

Und die Erinnerung: Nicht nur an die Rizin-Funde in Briefen an das Weiße Haus und den Senat in den Jahren 2003 und 2004. Es gab damals zwar keine Opfer, aber der oder die Täter wurden nicht gefunden. Einer dieser Briefe kam aus Tennessee - wie auch der Brief, der in dieser Woche an den republikanischen Senator Roger Wicker adressiert war.

Auch das für die USA traumatische Jahr 2001 rückt in diesen Tagen noch mehr ins Bewusstsein. Damals, kurz nach 9/11, kursierten Briefe mit dem Milzbrand-Erreger und hielten das Land in Atem. Fünf Menschen kamen damals ums Leben, mehr als ein Dutzend weitere Betroffene erkrankten an Milzbrand (Anthrax), überlebten aber.

Zunächst wurde damals ein Biowaffen-Experte als Täter beschuldigt. Doch er erwies sich als unschuldig, das FBI zahlte ihm 5,8 Millionen Dollar Entschädigung. 2005 wurde dann ein anderer Mann verdächtigt. Nachdem er sich 2008 das Leben genommen hatte, erklärte ihn das FBI zum einzigen Schuldigen. Doch einen Prozess oder eine abschließende Untersuchung gab es nicht. Die Anthrax-Anschläge sind bis heute mysteriös geblieben.

Sicher ist nur, dass diese Gefahren für die Sicherheit der USA nicht von außen kommen, sondern aus dem eigenen Land. Und dass sie weiterbestehen werden.

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