Süddeutsche Zeitung

Petersburger Klimadialog:Angela Merkel übt sich in Selbstkritik

In Sachen Klimaschutz müsse Deutschland "noch besser werden". Als größtes Sorgenkind nennt sie den Straßenverkehr.

Auf Angela Merkel ist wirklich Verlass. Einmal im Jahr, mag die Innenpolitik noch so turbulent sein, hält sie sich den einen Termin frei: Beim Petersberger Klimadialog hat sie noch nie gefehlt. Immerhin hatte sie das Treffen selbst mit aus der Taufe gehoben, nach dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen 2009. Seither redet sie Jahr um Jahr vor den gut 35 Ministern und Klimadiplomaten aus aller Welt.

Sie hat dort schon flammende Reden gegen die Erderwärmung gehalten, aber auch, 2013, schon eingeräumt, dass sich in der EU echter Klimaschutz nicht "gegen die geballte deutsche Wirtschaft" durchsetzen lässt. Sie hat dort Milliarden für den Klimaschutz versprochen und im vorigen Jahr in Aussicht gestellt, noch einmal mit dem abtrünnigen Donald Trump zu reden. Die neun Petersberger Klimadialoge sind so gesehen auch ein Panoptikum Merkel'scher Klimapolitik, mit all ihrem Wenn und Aber.

Und 2018? "Wir müssen zugeben, dass wir besser werden müssen", sagt Merkel diesmal, die gegenwärtige Klimapolitik sei "sicher noch nicht das Nonplusultra", und um die eigenen Ziele zu erreichen, habe die Bundesregierung "alle Hände voll zu tun". Jedes Jahr war Merkel beim Klimadialog - aber nie war sie so selbstkritisch wie diesmal. Zumal sie auch ein Problem direkt benennt: die wachsenden Emissionen auf der Straße. "Unser großes Sorgenkind ist der Verkehr", sagt Merkel. Was bessere Motoren an Emissionen einsparten, werde durch mehr Verkehr wieder kompensiert, beklagte die Kanzlerin - was schon deshalb interessant ist, weil sich derzeit innerhalb der Bundesregierung ein handfester Krach über die künftigen Grenzwerte anbahnt. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) verlangt eine Halbierung der Emissions-Vorgaben, Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hält das für illusorisch. Diesen Mittwoch treffen die Minister in dieser Sache aufeinander.

Auch müsse der Klimaschutz insgesamt verbindlicher werden, mit einem "Klimaschutzgesetz". So sagt Merkel das wörtlich - was schon deshalb interessant ist, weil die Unterhändler der Union diesen Begriff im Koalitionsvertrag scheuten. Dort ist nur von einem Gesetz die Rede, "das die Einhaltung der Klimaschutzziele 2030 gewährleistet". Die Union wollte so das Gewicht des Regelwerks begrenzen. Nicht grundlos schwärmt die SPD-Politikerin Schulze am Ende über die CDU-Kanzlerin Merkel. "Der wirkliche Rückenwind der Kanzlerin" sei der "wichtigste Moment" des Treffens gewesen. Aus innenpolitischer Sicht.

Aus außenpolitischer Sicht dient das Treffen vor allem der Vorbereitung des nächsten Klimagipfels, im Dezember im oberschlesischen Katowice. Die Konferenz gilt als entscheidend für Wohl und Wehe des Pariser Klimaabkommens. Waren sich die Staaten in Paris einig, dass sie die Erderwärmung in den Griff bekommen wollen und jedes Land dafür eigene Klimaschutzpläne aufstellt, müssen sie nun klären, wie genau das laufen soll.

Sein Land tauge dafür durchaus als Beispiel, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki, ebenfalls zu Gast in Berlin. Schließlich belege gerade Oberschlesien, wie ein Strukturwandel gelingen könne - und was es bedeute, einen "gerechten Umbau" zu vollziehen. Es ist dieses Thema, dass sich wie ein roter Faden durch die Veranstaltung zieht. Bei allem Kohleausstieg, sagt Merkel, müsse man den Betroffenen auch sagen können: "Es wird sich etwas ändern, aber wir denken auch an euch, nicht nur an die CO₂-Reduktion."

Michael Bauchmüller Seite 4

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SZ vom 20.06.2018
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