Süddeutsche Zeitung

Petersberger Dialog:Die Klimakanzlerin zeigt sich wieder

Beim Petersberger Dialog stellt sich Merkel klar hinter strengere Vorgaben aus Brüssel. Das könnte ihrem angekratzten Ruf, sich intensiv um Klimaschutz kümmern zu wollen, neuen Glanz verleihen.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Kanzlerin ließ keinen Zweifel: Im Klimaschutz will Europa ganz vorne mitmischen. Wenn andere Staaten mitzögen, ließe sich sogar das europäische Klimaziel noch einmal kräftig aufstocken, warb sie. "Mit aller Kraft", setze sich Deutschland für die Weiterentwicklung des globalen Klimaschutzes ein. So war das - im Frühjahr 2007. Deutschland hatte die Ratspräsidentschaft in der EU inne, Klimaschutz war ein großes Thema, auch bei Merkels G-8-Gipfel im Sommer in Heiligendamm. Aus der Kanzlerin wurde die Klimakanzlerin.

Doch das ist alles nichts im Vergleich zu 2020. In gut zwei Monaten übernimmt Merkel abermals das Amt der Ratspräsidentin im Kreis der EU-Mitglieder. Das Thema Klima ist ungleich präsenter, nicht nur wegen des Klimaprotest-Jahres 2019. Die Einschläge sind einfach nähergekommen, die jüngste Trockenheit ist nur ein Beispiel von vielen. Das Pariser Klimaabkommen zwingt zu stetig ehrgeizigeren Zielen. Und in Brüssel will die EU-Kommission unter Merkels Parteifreundin Ursula von der Leyen (CDU) ein Umbauprogramm namens Green Deal anstoßen - mit einem Minus von 50 bis 55 Prozent der klimaschädlichen Emissionen bis 2030, gemessen an 1990. Der Klimaschutz könnte abermals zu einem Großthema der deutschen Ratspräsidentschaft werden - neben der Bewältigung der Corona-Folgen.

Wie beides zusammenhängt, hat die Bundesregierung dieser Tage schon erproben können, beim Petersberger Klimadialog - und zwar inhaltlich wie organisatorisch. Im Zentrum stand die Frage, wie die Staaten den Ausweg aus der Krise möglichst verknüpfen können mit Programmen für mehr Klimaschutz, also mit grünen Konjunkturpaketen. Und persönlich anwesend ist keiner der 30 Minister und Klimadiplomaten, auch Merkel wird am Dienstag nur zugeschaltet.

Einen ersten Pflock schlägt sie da schon ein für die nächste Jahreshälfte. Sie begrüßt von der Leyens Vorschlag, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen. "Wir wissen, dass es ein langer Weg wird", sagt Merkel. Schon deshalb sei ein Ziel von 50 oder 55 Prozent Minderung richtig. Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte das schon vorher so gesehen, auch eine ganze Reihe anderer EU-Staaten machen sich dafür stark. Aber in der Bundesregierung gab es dazu bisher keine Einigkeit. Mit Merkels Wort, auf Video gebannt, ist ein höheres Klimaziel der EU an diesem Dienstag deutlich wahrscheinlicher geworden. Es ist der Merkel-Moment dieses Petersberger Dialogs.

Und natürlich spricht sich auch die Bundeskanzlerin, wie viele andere Minister an diesem Nachmittag, für klimafreundliche Konjunkturpakete aus. Es werde nach der Krise eine "schwierige Verteilungsdiskussion" um begrenzte Haushaltsmittel geben, schließlich brauchten nach der Pandemie viele Menschen und Firmen Hilfe. "Umso wichtiger wird es sein, wenn wir Konjunkturpakete auflegen, immer den Klimaschutz im Blick zu behalten." Konkreter wird Merkel nicht, das übernimmt António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen. Subventionen für fossile Energien gehörten abgeschafft, verlangt er; Corona-Unterstützung müsse es vor allem für grüne Jobs geben, nicht für CO₂-intensive. "Wir müssen von braun auf grün umschwenken", sagt er in seine Kamera.

"Es gab technische Herausforderungen, die wir noch bestehen mussten"

Das alles läuft, wie so manche Videokonferenz, nicht ohne Ruckeln. Der Sender Phoenix bricht die Übertragung der Kanzlerin ab, nachdem sich minutenlang der Mund der Kanzlerin tonlos bewegt hatte. Der russische Vertreter kommt mit Verzögerung, verlangt aber ohnehin nur ein Ende der Sanktionen gegen sein Land. Umweltministerin Schulze ist zwischendrin spiegelverkehrt im Bild. "Es gab technische Herausforderungen, die wir noch bestehen mussten", sagt sie am Ende.

Aber immerhin gab es ihn mal wieder: einen Dialog zum Klima. Merkel selbst hatte dieses Format vor zehn Jahren mit angestoßen, seither laden die jeweiligen Umweltminister jedes Jahr ihre wichtigsten Amtskollegen nach Deutschland ein. Selten aber war diese Bühne so wichtig wie diesmal. Durch die Pandemie ist der Petersberger Klimadialog eine der wenigen Gelegenheiten für die Staaten, sich überhaupt zum Klimaschutz auszutauschen. Denn der für November geplante Klimagipfel im schottischen Glasgow ist erst einmal abgesagt.

Für die Bundesregierung freilich ist diese Verschiebung bitter. Denn diese Klimakonferenz wird wichtig, viele Staaten wollen neue, höhere Klimaziele vorlegen. Als Ratspräsidentin hätte die Bundesregierung die europäische Position koordinieren können, beim EU-China-Gipfel in Leipzig wollte Merkel im September auch den globalen Klimaschutz voranbringen. Am Ende ihrer Kanzlerschaft hätte Merkel so noch einmal an ihrem Ruf als Klimakanzlerin arbeiten können. In den 13 Jahren dazwischen hatte der nämlich ganz schön gelitten.

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SZ vom 29.04.2020/jael
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