Wirtschaftspolitik:Mann der Kompromisse

Peter Altmaier (CDU) nach der Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2019 in Berlin

Peter Altmaier, Bundeswirtschaftsminister, verlässt die Bundespressekonferenz nach Vorstellung des Jahreswirtschaftsberichts 2019.

(Foto: dpa)

Peter Altmaier scheut Konflikte. Der Preis: Entscheidungen lassen auf sich warten. In Industrie und CDU ist der Wirtschaftsminister vielen nicht forsch genug.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Peter Altmaier schmerzt das Knie, eine Entzündung. Gerade noch stand er am Pult der Aula im Wirtschaftsministerium, das hat die Sache nicht besser gemacht. Er hinkt zur Tür, doch davor wartet noch ein Kamerateam. Altmaier soll eine Grußbotschaft nach Lübeck sprechen, so war das abgemacht. Ein Radioreporter vom MDR steht noch da, er hat das Mikro schon gezückt. Und ein Autogrammsammler, den Kuli in der Hand.

Altmaier lächelt gequält, er erzählt den Lübeckern etwas über die Buddenbrooks und nimmt eine Schachtel Marzipanpralinen entgegen. Er redet ins MDR-Mikro über die Zukunft des ländlichen Raums und wirft seine Unterschrift auf ein Stück Pappe. Dann schnauft er tief, er sagt: "Schluss jetzt. Ich muss weg hier." Die Schmerzen sind schlimm. Er nimmt den Fahrstuhl ins Büro, lässt sich auf sein Sofa fallen. Verschnaufen. Dann weiter.

Altmaier ackert, aber in der eigenen Partei murren sie über ihn

Es sind keine guten Tage für den CDU-Mann Peter Altmaier. Der Wirtschaftsminister ist gnadenlos zu sich selbst, er hetzt von Termin zu Termin und mutet sich mehr zu, als gut wäre. Doch in der eigenen Partei murren sie über ihn, immer lauter. Selbst Leute, die eigentlich zum liberalen Lager gehören.

Auf die Frage, wie er Altmaiers Arbeit bewerte, sagt ein führender Wirtschaftslobbyist: "So wie alle." Er meint das nicht nett. Der Minister mache zu wenig zu langsam, in Zeiten von Brexit, Handelskrieg und aggressiven Chinesen. Die Koalition kümmere sich viel ums Soziale, aber nicht um die Wirtschaft. Einem, der so nach Zuspruch giert wie Altmaier, der so für die Politik lebt wie er, muss das mehr wehtun als die schlimmste Entzündung.

Seit einem knappen Jahr ist Altmaier Bundeswirtschaftsminister, der erste CDU-Mann dort seit Ludwig Erhard. Es könnte die Krönung einer steilen Karriere sein: Er galt als junger Wilder in der Union, war Parlamentarischer Geschäftsführer, Staatssekretär im Innenministerium, Umweltminister, Kanzleramtschef, kommissarischer Finanzminister. Keiner im Kabinett hat so viele Ministerposten bekleidet wie der Jurist von der Saar. Aber wo ist die fröhliche Unbefangenheit, mit der er 2012 als Umweltminister angetreten war, das forsche Voranstürmen mit hochgekrempelten Ärmeln? Es fehlt jede Spur davon.

Maaßen, Dieselaffäre und Koalitionsstreit stellen Altmaiers Arbeit in den Schatten

"Finden Sie?" Peter Altmaier hat es sich auf dem Sofa bequem gemacht, seine Analyse geht ganz anders. Im vorigen März war er als Minister angetreten, danach eilte er gleich nach Washington, der Handelskonflikt. Er klapperte Kiew und Moskau ab, um über die Pipeline Nordstream 2 zu verhandeln. Er tauchte persönlich bei Baustellen für neue Stromleitungen auf und rettete eine Stromnetzfirma vor den Klauen chinesischer Investoren. "In den Schlagzeilen aber waren Maaßen, die Dieselaffäre, der Streit in der Koalition", sagt Altmaier. Vieles von seiner Wirtschaftspolitik stehe da im Schatten. Das nervt Altmaier.

Andere nervt, was sie als Abwesenheit von Wirtschaftspolitik empfinden. "Viele gute Reden, wenig Action", urteilt ein führender deutscher Energiemanager. Zu viel Bürokratie, zu viele Belastungen, zu wenig Fürsprache: Die Wirtschaft dringt auf Steuererleichterungen, verlangt unverblümtes Engagement für die Industrie. Schließlich waren viele von Altmaiers Vorgängern auch Industrielobbyisten innerhalb der Bundesregierung. Doch seine "Industriestrategie" blieb bisher nur eine große Ankündigung im Bundestag. Genau wie die "Charta der sozialen Marktwirtschaft", ganz auf den Spuren Ludwig Erhards.

Pause im Boom

Der Aufschwung in Deutschland geht im zehnten Jahr in Folge weiter, aber deutlich schwächer als zuletzt. Nach Schätzung des Bundeswirtschaftsministeriums liegt das Wachstum 2019 noch bei einem Prozent - nach 1,5 Prozent 2018. Der Jahreswirtschaftsbericht geht dennoch von einer weiter sinkenden Arbeitslosenquote aus, auf nur noch 4,9 Prozent. Weil die Löhne der Prognose zufolge um knapp fünf Prozent steigen, stützt die Nachfrage der Konsumenten die Konjunktur weiter stark. Der Export wachse, soweit sich das bei allen Risiken vorhersehen lässt, um 2,7 Prozent. Um auch die Investitionen der Wirtschaft anzukurbeln, sollen künftig Forschung und Entwicklung steuerlich gefördert werden. Einen Entwurf dafür wolle die Regierung noch im ersten Halbjahr vorlegen, heißt es im Bericht. miba

Der Ruf, auf Bergen unerledigter Akten zu sitzen, verfolgt ihn schon länger

Sein Büro wirkt aufgeräumt. Ein paar Bücher im Regal, die Flaggen ordentlich drapiert, auf dem Tisch eine Schale mit Mandeln. Doch auf dem Schreibtisch stapeln sich die Aktendeckel, auf dem Fensterbrett daneben liegt, nicht ganz sauber geschichtet, ein halbes Dutzend dicke Unterschriftenmappen.

Der Ruf, auf Bergen unerledigter Akten zu sitzen, verfolgt ihn seit dem Kanzleramt. "Der Unterschied zum Kanzleramt ist aber, dass man dort ungelöste Fragen an die Ministerien zurückgeben kann", sagt einer, der selbst mal in der Führungsebene des Ministeriums gearbeitet hat. "Als Wirtschaftsminister muss man selbst entscheiden." Davor scheue sich Altmaier.

Vielleicht stört manche aber auch einfach der radikal andere Politikstil Altmaiers: Er sucht den Konsens, nicht den Konflikt. Er ist der krasse Gegenentwurf zu seinem Vorvorgänger Sigmar Gabriel, der im Konflikt immer auch die Profilierung suchte. "Konsens ist gut, Dissens ist schlecht", sagt Altmaier. Der Lohn sind hohe Beliebtheitswerte, Altmaier registriert sie ganz genau.

Der Preis allerdings ist das Schneckentempo von Entscheidungen, und es sind auch die Konturen. Altmaier kommt nicht als der starke Mann rüber, den sich gerade im erzkonservativen Wirtschaftsflügel der Union viele an der Spitze des Ministeriums wünschen. Nur einmal hatte er zuletzt den offenen Konflikt riskiert: Da stützte er seine Landsfrau Annegret Kramp-Karrenbauer öffentlich im Wettstreit mit Friedrich Merz, und das auch gegen den Merz-Unterstützer Wolfgang Schäuble. Die Aktion hätte fies ins Auge gehen können, doch Merz unterlag. Altmaier hat sie nicht geschadet.

Altmaiers Stärke: komplizierte Dinge einfach erzählen

Die Aula des Wirtschaftsministeriums ist ein Saal ganz nach Altmaiers Geschmack. Die Decke ist ein wahres Panoptikum deutscher und europäischer Geschichte. Kohl und Honecker sind da abgebildet, Günter Grass und Steffi Graf, selbst die junge Angela Merkel schaut vom Gewölbe in den Saal. Es ist die Geschichte, in der auch Peter Altmaier gern seinen Platz finden würde. Mit Vorliebe erzählt er, wann er in welchem Amt welche Strippen gezogen hat, die meisten offenbar als Umweltminister. Die Aula hat er nach seinem Vorgänger Erhard benennen lassen.

Zweimal binnen einer Woche steht er hier am Pult, beide Male geht es um Zukunftsfragen, um Digitalisierung, künstliche Intelligenz. Beide Male erzählt Altmaier dieselben Geschichten: von seiner Wohnung im Saarland, in der er die Heizung aus der Ferne steuern kann. Und von seinem Pflegeroboter, den er in 30 Jahren - Altmaier wird dann 90 sein - mal zum Bierholen in die Küche schicken will. Es sind Beispiele direkt aus dem Leben, eine seiner Stärken. Er erzählt komplizierte Dinge einfach, stellt Nähe her. Ortsverbände und Verbände reißen sich um seine Reden, und er hält sie gern. Er mag direkten Kontakt.

Die Geschichte mit dem Roboter nimmt vielsagende Wendungen, denn das intelligente Gerät will das Bier nicht holen. Es kenne die Harnsäure-Werte des 90-Jährigen, die seien zu schlecht. Altmaier wiederum weist den Roboter darauf hin, dass es ihn als deutsches Produkt "ohne eine Kanzlerin Angela Merkel und einen Minister Peter Altmaier" gar nicht gäbe. "Dann täte heute ein Gastarbeiter aus Amerika deinen Job. Also ab in die Küche." Da ist sie wieder, die Rolle in der Geschichte.

Die Wirtschaft erhöht den Druck auf Altmaier

Aus einem dunklen Porträt schaut Otto von Bismarck in Altmaiers Büro. "Mein Vorgänger als preußischer Handelsminister", ruft Altmaier, "von 1879 bis 1890." In der Geschichte des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts kann es Altmaier mit jedem Historiker aufnehmen, er hat ein Faible für Antiquariate. Zwei Bücher gebe es über den Reichskanzler als Handelsminister, "Fürst Bismarck als Volkswirth", hießen sie, sagt Altmaier. "Volkswirt mit ,th'!"

Am Mittwoch stellt er in Berlin den Jahreswirtschaftsbericht vor, Volkswirtschaft pur. "Soziale Marktwirtschaft" steht dick oben drauf, doch innen drin ist die Rede von gebremstem Wachstum, auf nur noch ein Prozent in diesem Jahr. Böse Zungen behaupten schon, dahinter stecke Zweckpessimismus: Die Zahlen müssten mies sein, damit es später eine angenehme Überraschung gibt. "Es ist immer besser, wenn man eine Prognose nach oben korrigieren kann", sagt Altmaier. Die Wirtschaft aber nutzt die Prognose, um den Druck auf Altmaier zu erhöhen. "Die Bundesregierung hat sich zu lange mit Umverteilen beschäftigt", rügt der Industrieverband BDI.

Altmaier will reagieren. Die Industriestrategie hat er noch in petto, genauso die verschobene Charta der Marktwirtschaft. Auch für seinen Wunsch, die Steuern für Unternehmen zu senken, verspürt er zunehmend Rückhalt. "Alles hat seine Zeit", sagt er. Er wird weitermachen, weiter und immer weiter. Gnadenlos.

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