Grundsätzlich sind die Menschen in Peru einiges an politischem Chaos gewöhnt, doch selbst an den Standards des südamerikanischen Landes gemessen war der Mittwoch ein außergewöhnlicher Tag.
Eigentlich war geplant gewesen, dass sich der bisherige Staatschef Pedro Castillo im Parlament in der Hauptstadt Lima einem Verfahren wegen "moralischer Unfähigkeit" stellt. Dieses hätte letztendlich zu einer Amtsenthebung führen können. Doch bevor es so weit kam, löste der Präsident kurzerhand den Kongress auf, kündigte Neuwahlen an und eine Verfassungsreform. Dazu verhängte er eine nächtliche Ausgangssperre.
Vizepräsidentin Dina Boluarte übernimmt das Ruder
All dies wiederum wertete das Parlament als Putschversuch - und anstatt den Kongress zu räumen, votierten die Abgeordneten mit großer Mehrheit dafür, den Staatschef abzusetzen. Pedro Castillo wurde kurz darauf in Lima verhaftet und Vizepräsidentin Dina Boluarte übernahm verfassungsgemäß die Regierungsgeschäfte.
Damit eskaliert eine Krise, die schon seit Jahren in Peru schwelt: So gut wie alle Präsidenten, die es in dem südamerikanischen Land in den vergangenen Jahrzehnten gegeben hat, sind wegen Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft angeklagt oder sitzen in Haft. Immer schneller wechselten zuletzt die Staatsoberhäupter und im November 2020 gaben sich in knapp zwei Wochen gleich drei Präsidenten die Klinke in die Hand. Eine Übergangsregierung übernahm das Amt, 2021 gab es Neuwahlen und überraschend gewann damals Pedro Castillo, ein ehemaliger Dorfschullehrer und linker Gewerkschaftsführer.
Bei den Abstimmungen hatte er allerdings nur eine hauchdünne Mehrheit gegenüber der Kandidatin der Rechten gehabt, Keiko Fujimori, Tochter des peruanischen Ex-Diktators Alberto Fujimori, der immer noch über Rückhalt im Volk verfügt.
Immer neue Skandale
Pedro Castillo dagegen konnte im Parlament kaum Mehrheiten für sich gewinnen, dazu wurde sein Kabinett von immer neuen Skandalen erschüttert: Mal ging es um Bestechlichkeit und Vorteilnahme einzelner Mitglieder der Regierung, dann wieder um Gewalt gegen Frauen oder die Verharmlosung von Terrorismus. Im Schnitt musste Castillo jede Woche einen Minister oder eine Ministerin auswechseln, in seinen knapp eineinhalb Jahren im Amt vereidigte er so fünf Mal ein neues Kabinett.
Gleichzeitig mehrten sich auch gegen Castillo selbst bald Vorwürfe, unter anderem wegen Korruption und Behinderung der Justiz. Bereits im Dezember vergangenen Jahres und im März hatte er sich darum im Kongress dem Vorwurf der "moralischen Unfähigkeit" ausgesetzt gesehen, beide Male aber kamen nicht genügend Stimmen zusammen, um den Präsidenten seines Amtes zu entheben. Am Mittwoch galt es nun das erste Mal als möglich, dass die Parlamentarier mit einer nötigen Zweidrittelmehrheit gegen den Staatschef stimmen.
Schon im Vorfeld hatte es dabei Gerüchte gegeben, Castillo könnte den Kongress auflösen. Dass er am Ende tatsächlich diesen Schritt wagte, löste dennoch Überraschung aus und gleichzeitig Empörung. Mehrere Minister erklärten umgehend ihren Rücktritt und Vizepräsidentin Dina Boluarte sprach von einem Putsch: "Dies ist ein Staatsstreich, der die politische und institutionelle Krise verschärft, die die peruanische Gesellschaft unter strikter Einhaltung der Gesetze überwinden muss", erklärte sie über Twitter.
Boluarte fordert einen "politischen Waffenstillstand"
Die 60-Jährige wurde noch am Abend verfassungsgemäß als neues Staatsoberhaupt von Peru vereidigt. Sie ist die erste Frau an der Spitze des südamerikanischen Landes und erklärte in einer Rede, das Amt bis zum Ende der Legislaturperiode 2026 führen zu wollen. Boluarte forderte einen "politischen Waffenstillstand" und versprach, "das Krebsgeschwür der Korruption" in Peru bekämpfen zu wollen.
Pedro Castillo befand sich derweil weiterhin in Polizeigewahrsam. In mehreren Städten Perus gab es Demonstrationen, teilweise, um die neue Regierung zu unterstützen, genauso aber auch von Anhängern Castillos, die eine Freilassung fordern, sowie seine Rückkehr ins Amt.