Peru:Ein Land rechnet ab

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Die Parlamentswahl zerschmettert das alte Parteiensystem - und schafft ein unübersichtliches Panorama von Klein- und Kleinstparteien. Auch eine Sekte von evangelikalen Weltrettern geht gestärkt hervor.

Von Sebastian Schoepp, München

Dass die Peruaner genug von ihrem politischen Spitzenpersonal haben, ist keine Überraschung. Gegen gleich drei ehemalige Präsidenten wird im Zusammenhang mit dem Odebrecht-Skandal ermittelt, ein vierter, Alan García, entzog sich Ermittlungen, indem er sich eine Kugel in den Kopf schoss. Pedro Pablo Kuczynski musste 2019 als Präsident zurücktreten, Vize Martín Vizcarra übernahm - und setzte nach einem halben Jahr einen besonderen Akzent: Er löste in einem Streit über die Justizreform das Parlament auf, in dem die renitente Partei des ebenfalls in Haft sitzenden früheren Präsidenten Alberto Fujimori die Mehrheit hatte, und setzte Neuwahlen an. Bei diesen haben die Peruaner am Sonntag das bisherige Parteiensystem zerschmettert, die Fujimori-Partei abgestraft und ein unübersichtliches Panorama von Klein- und Kleinstparteien geschaffen - sowie eine Sekte evangelikaler Weltretter gestärkt.

Der private Sektor kann praktisch tun, was er will. Die Wut darüber entlädt sich an der Wahlurne

Einen wirklichen Wahlsieger gibt es nicht, stärkste Partei ist mit voraussichtlich 24 von 130 Sitzen die konservative Acción Popular. Präsident Vizcarra selbst kommt aus einer kleinen Regionalpartei und hat überhaupt keine parlamentarische Basis. Allerdings hat der Präsident in Peru laut Verfassung eine übermächtige Stellung. Für ihn geht es vor allem darum, das Wirtschaftswachstum hochzuhalten, das seit zwei Jahrzehnten relativ stabil ist. Felix Jiménez, Wirtschaftsprofessor an der Katholischen Universität Peru, schreibt das einer Rahmenpolitik zu, die sich seit der Jahrtausendwende kaum geändert hat, und die im Prinzip daraus besteht, dass Politik wenig spürbar ist im Leben der Menschen. Alle Regierungen, egal welcher Couleur, haben auf ein Minimum an Staat gesetzt.

Peru hat sich dafür ganz dem Freihandel verschrieben und nach China ausgerichtet, das scharf ist auf Rohstoffe des Andenlandes und Konsumgüter liefert. Das Land, einst Schauplatz spektakulärer Hyperinflationen, hat eine stabile Währung. Vergangenes Jahr lag das Wachstum bei 2,5 Prozent, das ist viel im lateinamerikanischen Vergleich. Die Einkommen jedoch gehören zu den niedrigeren, ein Fünftel der Bevölkerung ist arm. Die meisten Peruaner leben vom informellen Sektor. Öffentliche Investitionen gibt es kaum, dafür kann der private Sektor mehr oder weniger tun, was er will, was immer wieder temporär Arbeitsplätze schafft - aber eben auch krasse Korruptionsfälle wie den um den brasilianischen Baukonzern Odebrecht.

Die Wut darüber hat sich nun an der Wahlurne entladen. Die härteste Niederlage kassierte die Fujimori-Partei Fuerza Popular, sie wurde laut Hochrechnungen gegenüber der Wahl 2016 von 73 auf zwölf Sitze gestutzt. Die Partei wird geführt von Keiko Fujimori, ehemalige Präsidentschaftskandidatin, gegen die ebenfalls wegen Korruption ermittelt wird - wie auch gegen Bruder Kenji. Die lange stärkste politische Bewegung Perus ist damit am Ende, das war Vizcarras Ziel. Das gleiche gilt für die historische sozialrevolutionäre Kraft Apra, der einst Alan García angehörte, als er Peru in den 1980er Jahren mit linken Konzepten regierte. Sie schaffte den Einzug ins Parlament gar nicht mehr.

Dafür wuchsen Radikale, die sich als Saubermänner anpreisen, ähnlich wie die Bolsonaro-Partei im Nachbarland Brasilien. Die viertmeisten Stimmen holte laut der Zeitung El Comercio die Frente Popular Agrícola (Frepap), eine ultrakonservative Gruppe, die ihre Wähler bei Armen und Aufstiegswilligen findet. Ihr Chef ist Ezequiel Jonás Ataucusi Molina, Sohn des Gründers der Sekte Misión Israelita del Nuevo Pacto Universal. Ihre Anhänger tragen Tunikas, die Frauen Kopftuch, die Männer lassen sich lange Bärte wachsen. Die Frepap liegt leicht hinter der Unternehmerpartei Alianza por el Progreso und der Unión por el Perú, die aus dem Gefängnis heraus geführt wird von Antauro Humala, Bruder des früheren Präsidenten Ollanta Humala, gegen den wegen Korruption ermittelt wird.

© SZ vom 28.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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