Süddeutsche Zeitung

Präsidentschaftswahl in Peru:Wenn es sogar um "kommunistische Hunde" geht

Links und rechts, Arm und Reich, Stadt und Land: Der Wahlkampf vor der Stichwahl in Peru offenbart, wie tief die Gräben im Land sind - und wie unterschiedlich die Kandidaten. Ist die Demokratie in Gefahr?

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Adriana Urrutia Pozzi-Escot sagt, eigentlich müsse man sich nur die Sache mit dem Hundehotel ansehen, um zu verstehen, wie angespannt die Lage in Peru ist.

Alles begann damit, dass das "Perrotel Boutique" eine Nachricht im Netz postete. Die Luxusherberge für Vierbeiner in Lima hat einen großen Garten, Pool und sogar klimatisierte Schlafbereiche. Die Hunde, so viel ist klar, sind hier in guten Händen, willkommen aber, und das ist das Problem, sind sie nur bedingt. "Wir nehmen keine Hunde aus kommunistischen Familien auf", schrieb die Betreiberin des "Perrotel Boutique" Ende Mai ganz explizit auf Social Media. Man liebe Tiere, wisse aus Erfahrung aber auch, dass diese im - wohlgemerkt sozialistischen - Venezuela aus Hunger von ihren Besitzern verspeist würden. Auch Peru könnte so etwas bevorstehen, so die Angst, sollten bei den Wahlen am Sonntag die Linken gewinnen. Darum wolle man weder mit Kommunisten, noch mit ihren Haustieren etwas zu tun haben im Hundehotel "Perrotel Boutique".

"Das alles ist natürlich absurd", sagt Adriana Urrutia Pozzi-Escot. Die Politikwissenschaftlerin leitet Transparencia, eine unabhängige Organisation zur Stärkung der Demokratie in Peru und beobachtet mit Sorge, was da gerade in ihrem Land passiert. "Man könnte über die ganze Sache mit den kommunistischen Hunden lachen, aber leider ist das eben kein Spaß, sondern todernst. Denn es gibt keinen Zweifel: In Peru ist die Demokratie in Gefahr".

Diesen Sonntag finden in Südamerikas drittgrößtem Land Stichwahlen für das Präsidentenamt statt. Keine leichte Entscheidung für viele Peruaner: Denn einerseits stehen zwar zwei Kandidaten zur Wahl, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Andererseits aber ist für viele keiner der beiden eine echte Alternative.

Ein Großteil der Peruaner hat heute keinen festen Arbeitsvertrag

Auf der einen Seite ist da Pedro Castillo, ein Dorfschullehrer und Gewerkschaftler aus der tiefsten Provinz. Castillo verspricht, für die Armen und die Abgehängten einzustehen, aber auch für ein Peru, in dem die Reichtümer des Landes gerechter verteilt werden sollen. Castillo ist konservativ, wenn es um Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe und Verbrechensbekämpfung geht. Gleichzeitig will er Bergbaufirmen verstaatlichen, eine neue Verfassung schaffen und den Staat und die öffentliche Daseinsfürsorge stärken.

Lange hätte man mit solch klassischen Forderungen der lateinamerikanischen Linken keine großen Chancen gehabt in Peru. Das Land boomte über Jahre hinweg dank seines Rohstoffreichtums, die Armut sank, der Wohlstand wuchs, gleichzeitig aber auch die Ungleichheit, die Korruption und die Vetternwirtschaft. Während eine kleine Elite immer mehr Geld anhäufte, hat der Großteil der Peruaner heute nicht einmal einen festen Arbeitsvertrag.

Als die Pandemie vergangenes Jahr das Land erfasste, erließ die Regierung strikte Lockdowns, viele konnten es sich aber einfach nicht leisten, zu Hause zu bleiben: Kamen sie nicht zur Arbeit, blieb abends der Esstisch leer. Rasend schnell breitete der Erreger sich aus. Ein durch neoliberale Reformen ausgehöhltes Gesundheitssystem konnte ihm kaum etwas entgegensetzen und umgerechnet auf die Einwohnerzahl gibt es heute kaum ein anderes Land auf der Welt, in dem das Virus so viele Todesopfer gefordert hat wie in Peru.

Absoluter Außenseiter erreicht die Stichwahl

Mitten in der Pandemie kam es dann auch noch zu schweren politischen Problemen. Es gab Massenproteste, eine Übergangsregierung musste übernehmen und als Anfang April Wahlen stattfanden, standen ganze 18 Kandidaten auf den Stimmzetteln, darunter Ex-Fußballer und rechte Hardliner, aber eben auch Pedro Castillo, ein absoluter Außenseiter, dessen Wahlkampf vor allem analog stattgefunden hatte, abseits der Aufmerksamkeit der Menschen in der Hauptstadt Lima oder auch nur der großen Medienhäuser. Nicht einmal einen Twitter-Account hatte Castillo lange Zeit, stattdessen fuhr er über Land, um dort einen Ort nach dem anderen abzuklappern und um Stimmen zu werben.

Castillo war bis zur Wahl so unbekannt, dass die Nachrichtensender nicht mal ein Foto von ihm hatten. Umso größer war die Überraschung, als klar war, dass ausgerechnet er die meisten Stimmen bekommen hatte: Rund 18 Prozent, nicht üppig und erst recht nicht genug für einen Sieg, aber immerhin ausreichend für eine Stichwahl.

Diese findet nun am Sonntag statt und die Frage ist, ob Castillo wirklich genug Wähler mobilisieren kann, um zu gewinnen. Helfen könnte ihm dabei ausgerechnet seine Gegenkandidatin, Keiko Fujimori, Tochter von Ex-Präsident und De-facto-Machthaber Alberto Fujimori, der das Land in den 90er-Jahren mit eiserner Hand regierte und heute wegen Menschenrechtsverbrechen in Haft sitzt.

Seit Jahren versucht Keiko Fujimori an die Macht zu kommen, mit ihrer Partei dominiert sie seit 2016 den Kongress und sägt dort seitdem an den Stühlen aller Präsidenten. Nicht einmal schwere Korruptionsvorwürfe konnten sie bisher stoppen. Fujimori steht ganz ähnlich wie Castillo für eine harte Hand gegen das Verbrechen, dazu aber auch für eine Fortführung des wirtschaftsfreundlichen Models. Zweimal schon ist Fujimori bei Wahlen angetreten, beide Male scheiterte sie aber in der Stichwahl, vor allem auch deshalb, weil viele Wähler damals lieber für den Gegenkandidaten stimmten, als sie im Amt zu sehen.

Der Gewinner wird ein tief gespaltenes Land regieren müssen

Das gleiche Spiel hätte sich bei dieser Wahl wiederholen können, doch vor dem linken Pedro Castillo und der marxistisch-leninistischen Partei, für die er antritt, haben viele Peruaner ebenso viel Angst, wie vor Fujimori. "Für viele geht es bei den Wahlen nicht um die Frage, was sie für ein Land wollen", sagt die Politikwissenschaftlerin Adriana Urrutia Pozzi-Escot, "sondern es geht darum, was für ein Land sie nicht wollen".

Die Kandidaten schüren diese Spaltung: Pedro Castillo warnt die Wähler vor einer Rückkehr in die dunklen Zeiten der Fujimori-Ära, als Staat und linke Guerillas sich einen blutigen Krieg lieferten, der vor allem bei der Zivilbevölkerung Opfer forderte, mit Folter, Mord, Entführungen und massenhaften Zwangsterilisationen. Keiko Fujimori und rechte Eliten sagen dagegen, Pedro Castillo würde das Land in eine linke Diktatur verwandeln wollen, mit Enteignungen und Planwirtschaft.

Links und rechts, Arm und Reich, Stadt und Land: Immer tiefer würden die Gräben in der Gesellschaft durch den Wahlkampf, sagt Adriana Urrutia Pozzi-Escot. Die Umfragen sehen ein extrem knappes Rennen voraus, und sicher ist bisher nur eines: Wer auch immer am Sonntag gewinnt, wird ein tief gespaltenes Land regieren müssen, das in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahrzehnte steckt. Weitgehende Reformen wären notwendig, doch die durchzusetzen wird schwer mit einem Kongress, der zersplittert ist auf knapp ein Dutzend Parteien, die sich gegenseitig teils bis aufs Blut bekriegen.

Sein Amt antreten soll der neue Präsident oder die neue Präsidentin am 28. Juli, dem Tag, an dem Peru seiner Unabhängigkeit gedenkt, dieses Jahr zum 200. Mal. Wie wenig es das Land geschafft habe, in all dieser Zeit zusammenzuwachsen, würden die Wahlen mehr als deutlich zeigen, sagt die Politikwissenschaftlerin Adriana Urrutia: "In 200 Jahren haben wir keine gemeinsamen Ideen und Ziele entwickelt". Angesichts der Krise müssten politische Parteien zusammenarbeiten oder miteinander reden. Stattdessen würden sie aber vor allem eines: streiten.

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