Es mag grundsätzlich erstrebenswert sein, in der Politik nach ganz oben zu kommen. Als Peruanerin oder Peruaner sollte man sich aber gut überlegen, ob man das wirklich will. Das Land hat in den vergangenen neun Jahren sechs Präsidenten verschlissen, sie stolperten über Korruptionsskandale und politische Ränkespiele. In der Hauptstadt Lima gibt es gar ein Gefängnis, das ausschließlich ehemaligen Staatschefs vorbehalten ist. Mit derzeit vier Insassen – Alberto Toledo, Ollanta Humala, Pedro Castillo und Martín Vizcarra – ist das eher kleine Gefängnis derzeit gut ausgelastet. Früher saß auch Alberto Fujimori dort ein, der vergangenes Jahr verstorbene Ex-Staatschef, der sich in den 1990er-Jahren zahlreicher Menschenrechtsverbrechen schuldig gemacht hatte.
Nun ist wieder eine Präsidentin gestolpert und gefallen. Das peruanische Parlament stimmte Ende der Woche für die Absetzung von Dina Boluarte. Das Abstimmungsergebnis – 122 von 130 Abgeordneten votierten für die Absetzung – spricht bereits Bände: Boluarte war äußerst unbeliebt, nicht nur im Parlament. In der Bevölkerung kam sie zuletzt nur noch auf Zustimmungsraten von zwei bis vier Prozent. Auch deshalb ließen die rechtsgerichteten Parteien im Kongress sie fallen. Offiziell begründeten sie das Impeachment mit „dauerhafter moralischer Unfähigkeit“.
Offenbar taktische Überlegungen Grund für Manöver
Einerseits dürften hinter dem Manöver taktische Überlegungen stecken: Der 34-Millionen-Einwohner-Staat wählt in einem Dreivierteljahr, für Boluartes bisherige Unterstützer war es deshalb höchste Zeit, sich von der unbeliebten Staatschefin zu distanzieren. Das gilt allen voran für Keiko Fujimori, die Tochter Alberto Fujimoris, die selbst gerne Staatschefin werden möchte.
Für Boluarte übernimmt jetzt der 38 Jahre alte José Jerí von der christdemokratischen Partei „Somos Peru“ als Interimspräsident. Nach seiner Wahl sagte er vor den Abgeordneten im Kongress: „Wir müssen dem Verbrechen den Krieg erklären.“

Das verweist auf den zweiten Grund, der zur Absetzung der Präsidentin führte: In den vergangenen Jahren – Boluarte regierte seit Ende 2022 – ist die Kriminalität in dem Andenstaat regelrecht explodiert, insbesondere Gewaltverbrechen und Erpressungen haben stark zugenommen. Organisierte Banden fordern immer häufiger Schutzgeld, von Ladenbesitzern etwa oder von Busfahrern, und wer nicht zahlt, der schwebt in Lebensgefahr. Mit mehr als 2000 Tötungsdelikten war das Jahr 2024 eines der blutigsten in der jüngeren Geschichte Perus, 2025 dürfte die Zahl nach bisherigen Schätzungen noch höher liegen.
Boluarte fiel im Kampf gegen die Kriminalität wenig ein
Boluarte fiel dagegen wenig ein: Sie verhängte mehrfach den Ausnahmezustand und beschuldigte öffentlich „illegale Einwanderer“, für die Verbrechen verantwortlich zu sein. Experten werfen ihr jedoch vor, nie ernsthafte Schritte gegen das organisierte Verbrechen unternommen zu haben.
Hinzu kam, dass der Präsidentin immer wieder Korruption vorgeworfen wurde, etwa in der Affäre um das sogenannte „Rolex-Gate“. Boluarte soll Luxusuhren und teuren Schmuck als Bestechung angenommen haben. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf, aber aufgeklärt wurde nichts, weil die Ermittlungen zunächst vom Kongress gestoppt wurden. Nun aber dürfte der Weg für ein Verfahren frei sein.

Spekuliert wurde deshalb, ob Boluarte sich einem möglichen Prozess durch eine Flucht ins Ausland entziehen würde; dem trat die Ex-Staatschefin am Wochenende aber mit einem Auftritt vor ihrem Wohnhaus entgegen. „Nicht im Entferntesten“ habe sie über eine Flucht nachgedacht, sagte Boluarte, sie habe ein reines Gewissen und sehe den nächsten Monaten gelassen entgegen.
Gelassenheit ist das genaue Gegenteil von dem, was viele Peruaner derzeit verspüren. Die in der Politik allgegenwärtige Korruption und die steigende Kriminalität trieb in den vergangenen Monaten immer wieder Tausende Menschen auf die Straßen. Ein weiterer Unruheherd ist die enorme soziale Ungleichheit. Millionen Menschen in dem Land arbeiten in äußerst unsicheren, informellen Jobs, sie haben oft nicht mal einen Arbeitsvertrag und keinerlei soziale Absicherung. Gesunkene Rohstoffpreise und die politische Instabilität haben außerdem dazu geführt, dass die Wirtschaft seit Jahren nicht richtig in Schwung kommt und die Armut steigt.
Es ist daher kaum anzunehmen, dass Peru allein durch die Absetzung Boluartes zur Ruhe kommt. Der Ruf der kompletten politischen Führung des Landes ist ruiniert. Auch gegen den neuen Interimspräsidenten José Jerí gibt es Vorwürfe, die nie umfassend aufgeklärt wurden. Eine Frau bezichtigt ihn, sie Anfang des Jahres vergewaltigt zu haben, und eine Unternehmerin wirft ihm vor, als Abgeordneter von ihr Schmiergeldzahlungen verlangt zu haben. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass im Präsidentengefängnis in Lima irgendwann in nächster Zeit noch eine weitere Zelle belegt werden wird.

