Personalwechsel im Vatikan:Bischof Müller geht nach Rom

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Seit fast zehn Jahren ist Gerhard Ludwig Müller Bischof in Regensburg - nun beruft der Papst den 64-Jährigen in das dritthöchste Amt der römischen Kurie, dem Think Tank der katholischen Kirche. Müller, der immer wieder Kritik auf sich zieht, wird dem bisherigen Amtsinhaber, dem US-Amerikaner William Levada, nachfolgen.

Andrea Bachstein, Matthias Drobinski und Wolfgang Wittl

So ist er, könnte man sagen. Alle anderen müssen stehen, er sitzt; Gerhard Ludwig Müller muss wieder einmal zeigen, dass er etwas Besonderes ist, als Bischof von Regensburg. Doch es ist schlicht eine Knieoperation, die den 64-jährigen mächtigen Zwei-Meter-Mann zum Sitzen zwingt, und überhaupt tritt Müller an diesem Tag nicht als strenger Herr des Bistums auf; er ist leutselig, entspannt, ein Volksbischof, hier im Kreise derer, die ihn verehren, zumindest nicht mehr zu kritisieren wagen.

Gerhard Ludwig Müller geht nach Rom - allerdings nicht zu Pferde. Das Bild entstand bei einem Osterritt. (Foto: dpa)

Die Grundschule der Regensburger Domspatzen feiert Richtfest, die Knaben singen, Dompropst Wilhelm Gegenfurtner preist seinen Chef: Ohne den Bischof wäre der 13 Millionen Euro teure Bau nicht realisiert worden; wie mutig und weitsichtig Müller doch sei. Der Gelobte nickt wohlgefällig, ergreift das Wort und geißelt mal eben die "Kinderverdrossenheit" der Gesellschaft, bevor es zum Festessen geht.

Die Gegner der Anfangszeit sind weg, resigniert, mundtot

Zehn Jahre ist Bischof Müller bald im Amt, es ist ruhig geworden im Bistum, das Müller in den ersten Jahren seiner Amtszeit vom einen in den nächsten Konflikt stürzte; die Gegner der Anfangszeit sind weg, resigniert, mundtot. Und nun deutet alles darauf hin, dass die Regensburger sich bald auf einen neuen Bischof einstellen müssen: Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung wird Papst Benedikt XVI. noch vor seiner Abreise in die Sommerresidenz Castelgandolfo am Dienstag Bischof Gerhard Ludwig Müller zum Präfekten der Glaubenskongregation in Rom ernennen, zum Hüter der katholischen Lehre.

Müller, der dann schon bald Kardinal würde, hätte also nach dem Papst und dem Kardinalstaatssekretär das formal dritthöchste Amt der römischen Kurie inne - er stünde dem Think Tank der katholischen Kirche vor, der Grundsatzabteilung. Es ist eine wahrhaft zentrale Position, entscheidet sich doch die Glaubwürdigkeit der katholische Kirche immer weniger durch ihre institutionelle Macht und immer mehr durch das, was sie zu sagen hat.

Seit sich Müller Anfang Februar zur allgemeinen Überraschung in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur selbst als Nachfolger des amtsmüden, mittlerweile 76-jährigen Kardinals William Joseph Levada ins Gespräch brachte, galt er als einer der Favoriten für das Amt des Präfekten der Glaubenskongregation. Die Sache aber zog sich hin, und vor wenigen Wochen sah es so aus, als würde ein anderer oberster Glaubenshüter der katholischen Kirche werden, als könne Papst Benedikt XVI. seinen Wunschkandidaten nicht durchsetzen.

Eine der medienwirksamsten Persönlichkeiten

Nun aber mehren sich die Anzeichen, dass der Papst ein Machtwort gesprochen hat - vielleicht auch, weil in der Vatileaks-Affäre in den vergangenen Wochen der Eindruck entstanden war, Benedikt habe die Kurie nicht im Griff. Das Amt des päpstlichen Bibliothekars, das auch als möglicher Posten für Müller in Rom galt, ist anderweitig besetzt. Vor allem aber hat Benedikt XVI. den amerikanischen Dominikanerpater Joseph Augustine Di Noia zum Vizepräsidenten der Kommission "Ecclesia Dei" berufen, die für den Dialog mit den traditionalistischen Piusbrüdern zuständig ist.

Das hat die vatikanische Astrologie in Aufregung versetzt: War nicht auch Di Noia einer der Kandidaten für die Glaubenskongregation? Und zeigt diese Ernennung nicht, dass der Papst hier eine Art Puffer zwischen Müller und den Piusbrüdern installiert hat, weil Müller ja schon einigen Krach mit den Traditionalisten hatte?

Stimmt diese Deutung der Eingeweide, dann verliert die katholische Kirche in Deutschland eine ihrer medienwirksamsten Persönlichkeiten; man könnte auch sagen: Es endet eine Ära, die dem Bistum Regensburg einiges Unglück und der Kirche in Deutschland manches Problem gebracht hat. Schon vor der Ernennung zum Bischof schrieb Müller einen beleidigenden Aufsatz über die Befürworter der Diakonenweihe für Frauen; neu im Amt setzte er den Deggendorfer Dekanatsratsvorsitzenden Johannes Grabmeier ab, kürzte unliebsamen Pfarrern die Pension oder versetzte sie, wollte Kirchenmitarbeitern bei internen Streitigkeiten die Anrufung weltlicher Gerichte verbieten, ersetzte den Diözesanrat durch zwei neue Gremien.

Auch jetzt, da es still ist im Bistum Regensburg, müssen immer wieder Mitarbeiter im Ordinariat antreten und demütigende Erklärungen unterschreiben, wenn Zweifel an ihrer Ergebenheit aufkommen.

Aus Sachkonflikten wurden bittere persönliche Streitereien - auch in der Bischofskonferenz war er isoliert, setzte sich schon mal in Pressekonferenzen des Vorsitzenden, um zu hören, was der so über ihn sagen würde. Und immer waren die Medien Schuld, wenn es Ärger gab. Das Bistum setzte einen pädophilen Pfarrer wieder ein - doch nicht das Bistum hatte einen Fehler gemacht, feindliche Journalisten wollten den Bischof in Misskredit bringen. 2010, auf dem Höhepunkt der Missbrauchsskandale, rückte er die Medien in die Nähe von Joseph Goebbels Propagandamaschine.

"Er ist eigensinnig und unbestechlich"

Und so jemand soll nun als Präfekt der Glaubenskongregation "die Glaubens- und Sittenlehre der ganzen katholischen Kirche" fördern und schützen, wie die Aufgabe der Behörde beschrieben ist? Würde Müller in Rom agieren, wie er in Regensburg regierte, wäre das eine Katastrophe für die gesamte katholische Kirche. Aber Müller hat auch andere Seiten, "und wenn es ihm gelingt, die hervortreten zu lassen, kann die Wahl eine gute Entscheidung sein", sagt ein Insider.

Müller ist ein weltweit anerkannter Theologe, spricht viele Sprachen und ist belesen, konservativ, aber keinesfalls reaktionär, eher einer, der musterschülerhaft erklären kann, was die Lehre der Kirche ist. "Er ist eigensinnig, aber unbestechlich," sagt ein anderer Zeuge. So hat Müller nicht nur die Kirchenreformer gemaßregelt, sondern auch die Piusbrüder im Bistum, und sich damit Feinde in Rom gemacht.

Er hält an der Freundschaft zu Gustavo Gutiérrez fest, dem "Vater" der lateinamerikanischen kapitalismuskritischen Befreiungstheologie. In Rom heißt es, der Papst wolle einen "Liberalen" zum obersten Bewahrer der Lehre machen. Wenn man auch in Regensburg den Kopf schütteln mag: Das hätte ihn fast das Amt gekostet.

In Rom, bei Eva und Claudio, einer Bar in der vatikannahen Via delle Fornaci, hängt sein Foto zwischen vielen anderen an einer Pinnwand, gemeinsam lächelt er darauf mit dem Kölner Kardinal Joachim Meisner. Er sei wie ein ganz normaler Gast, sagt Wirtin Eva. Dass er in Rom ein wichtiges Amt übernehmen soll, überrascht sie nicht, naja, sagt Claudio, wir hören hier manchmal was von den Gästen. Ein Gast, der bald einer der wichtigsten Männer der größten Glaubensgemeinschaft der Welt sein dürfte. Erst recht jetzt, da der Papst alt wird und mehr denn je Vertraute braucht - und Übergangszeit herrscht in der katholischen Kirche.

© SZ vom 30.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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