Personalmangel bei der Truppe:Der Bund ruft - und keiner will hin

Ein freiwilliger "Ehrendienst" soll die Wehrpflicht ersetzen, damit die Bundeswehr keine reine Berufsarmee wird - so stellte es sich Verteidigungsminister zu Guttenberg vor und irrte: Die Resonanz ist mau, sein Nachfolger de Maizière muss neu planen - heute stellt er sein Konzept vor. Der Groll auf Guttenberg ist inzwischen auch aus den schwarz-gelben Reihen vernehmbar.

Oliver Das Gupta

Karl-Theodor zu Guttenberg legte als Verteidigungsminister viel Wert darauf, geradlinig, entschlossen und durchsetzungsstark zu wirken. Darum bemühte er sich auch in einem Zeitungsinterview, das am 1. März 2011 erschien: "Rücktritt? 'Sie sehen mich hier sitzen.'", lautet der Titel des Gesprächs im Münchner Merkur, das just an dem Tag publiziert wurde, an dem der Verteidigungsminister seinen Rücktritt erklärte.

Musste wegen seiner abgekupferten Doktorarbeit als Verteidigungsminister zurücktreten: Karl-Theodor zu Guttenberg

Musste wegen seiner abgekupferten Doktorarbeit als Verteidigungsminister zurücktreten: Karl-Theodor zu Guttenberg

(Foto: dapd)

Gewohnt unbeirrt antwortete der CSU-Politiker auf Fragen nach seiner plagiierten Doktorarbeit, der Libyen-Krise und der Bundeswehrreform. Der letzte Punkt ist aus der Rückschau besonders interessant: Guttenberg wird gefragt, ob nach Aussetzung der Wehrpflicht sich genug Freiwillige meldeten, um den Personalbedarf der Truppe zu decken. Der Minister spricht von einer "Anlaufphase" mit "Unwägbarkeiten". Guttenberg versichert, "erste Zahlen lassen mich jedoch nicht in Sack und Asche gehen". Die Truppe habe einen Regenerationsbedarf von 12.000, "jetzt Anfang März haben wir schon 7000, die ihr Interesse bekundet haben".

Zweieinhalb Monate später ist klar: Guttenberg hat allen Grund, in Sack und Asche zu gehen, denn sein Optimismus trog. Die Bundeswehr hat ein massives Nachwuchsproblem: Als Ersatz für die bisherigen Wehrpflichtigen sah Guttenberg freiwillig Dienende vor, die sich für zwölf bis 23 Monate als Mannschaftsdienstgrad - darunter fallen Ränge wie Jäger, Schütze, Matrose, Flieger und die verschiedenen Gefreiten-Stufen - verpflichten sollen. Doch Interesse an diesem freiwilligen Dienst ist bis heute kaum spürbar.

Auch aus diesem Grund musste der amtierende Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) die Reform des schneidigen Vorgängers grundlegend überarbeiten. An diesem Mittwoch stellte er in einer Rede die Eckpunkte des generalüberholten Großprojekts vor - eine "Absetzveranstaltung von Guttenberg", hieß es schadenfroh aus der SPD.

Die Veränderungen bei der Personalplanung sind drastisch: Im ursprünglichen Konzept Guttenbergs war von bis zu 15.000 freiwilligen Kurzdienern die Rede. Angesichts der bisher schwachen Resonanz auf dieses Angebot haben die Bundeswehrplaner ihre Erwartungen auf 5000 Bewerber reduziert. Der "Ehrendienst" (de Maizière), der an die Stelle der Wehrpflicht treten soll, beginnt am 1. Juli.

Knapp fünf Millionen Euro machte das Verteidungsministerium unter der Ägide des konservativen Polit-Stars locker, um im März und April bei Bild und anderen Springer-Medien sowie Privatsendern Freiwillige zu locken. Damit nicht genug: Inzwischen veranstaltet die Bundeswehr sogar Beachvolleyball-Turniere in Bayern und Nordrhein-Westfalen, die Teenager ab 16 ansprechen sollten. Es sind Werbefeldzüge, die bislang ins Leere laufen. Freiwillig will nach wie vor kaum jemand ein Jahr oder länger in niedrigem Rang zum Militär.

Eile mit Folgen

Guttenberg gerierte sich gerne als Klartextminister, der schnell Entscheidungen fällt und diese Entscheidungen zügig umsetzen lässt. Die Folgen dieser Eile wirken sich auch in der Causa Freiwilligendienst aus: Da die Wehrpflicht schon ausgesetzt wurde, bevor das dementsprechende Gesetz beschlossen war, kann die Bundeswehr die finanziellen Konditionen noch gar nicht anbieten.

Konkret bedeutet das: Der vorgesehene steuerfreie Sold von 777 Euro in den ersten Monaten und später 1146 Euro gilt erst ab 1. Juli. Wer vorher als Freiwilliger seinen Dienst antritt, bekommt exakt den Sold, den auch Wehrpflichtige erhalten: magere 380 Euro.

Ernüchternde Zahlen gibt es seit langem: Im März und April, parallel zu der von Guttenberg angeleierten Medienkampagne, schrieb sein Ministerium fast eine halbe Million potentielle Freiwillige an. Nur etwa 1800 bekundeten Interesse - eine Erfolgsquote von 0,4 Prozent. Verpflichtet haben sich bis zum 1. April lediglich 433 Frauen und Männer - 2000 neue Soldaten pro Quartal wären nötig.

Schwarz-gelbe Katerstimmung über Guttenbergs Hinterlassenschaft

Verteidigungspolitikern aller Couleur bereitet die Schrumpftruppe Sorge - auch in den schwarz-gelben Reihen herrscht inzwischen Katerstimmung angesichts der Hitnerlassenschaft des Polit-Stars a. D.

Guttenberg Bundeswehrreform

Rekruten beim Gelöbnis.

(Foto: dapd)

Dass sich so wenige junge Frauen und Männer für den freiwilligen Dienst in Flecktarn erwärmen können, stößt bei vielen auf breites Verständnis: Von unklaren Aussichten spricht etwa der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus. "Da geht es für jeden Einzelnen um Existenzielles, bis zur Familienplanung", so der FDP-Politiker zur Leipziger Volkszeitung. "Es muss sich niemand wundern, wenn die Leute nicht zur Bundeswehr strömen, wenn die Wehrpflicht wegfällt", sagte auch der CSU-Wehrexeperte Thomas Silberhorn zu sueddeutsche.de. Da müsse "nachgearbeitet" werden - Silberhorn forderte ein neues Konzept zur Nachwuchsgewinnung - indirekte Kritik an Parteifreund Guttenberg.

Deutlicher wird die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP: "Die Schieflage beim freiwilligen Wehrdienst" habe in erster Linie der Ex-Verteidigungsminister zu verantworten, gab Elke Hoff grollend der Neuen Osnabrücker Zeitung zu Protokoll. Die Liberale verlangte zuvor im Gespräch mit sueddeutsche.de, dass die "Attraktivitätssteigerung für die aktiven Soldatinnen und Soldaten zügig in Angriff genommen werden müsse", schließlich stünde die Bundeswehr künftig in vollem Wettbewerb mit den Arbeitgebern aus der Privatwirtschaft.

Die Wartezeiten auf den Studienplatz könnten für Freiwillige verkürzt werden, schlägt der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) im Deutschlandfunk vor, und man müsse eben auch "Geld in die Hand nehmen und berufliche Chancen aufzeigen". Sein Parteifreund Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD, bringt einen Erlass von Bafög-Schulden ins Gespräch, zudem mögliche Berufs- und Schulabschlüsse sowie Gutscheine für kommunale Freizeitangebote. Auch der Grünen-Wehrexperte Omid Nouripour fordert verbesserte Karrierechancen für freiwillig Dienende - und bringt sogar die Verpflichtung von Ausländern ins Spiel, "sofern sie eine feste Bindung an Deutschland haben".

Auch wenn Generäle inzwischen offen über "große Lücken im Personalkörper" klagen, gibt es Stimmen aus dem Verteidigungsministerium, die die geringe Resonanz auf das Freiwilligen-Modell weniger dramatisch sehen: Bisher gebe es 25.000 Längerdienende im Schnitt, erklärt etwa ein Sprecher sueddeutsche.de, derzeit habe man 23.000 Längerdienende im schmelzenden Bestand. "Wir nähern uns von oben den 15.000 an", sagt er, allerdings "gibt es keine akute Abhängigkeit von diesen Längerdienenden".

Gedankenspiele über eine Rolle rückwärts

Viele in der Politik alarmiert allerdings diese Tendenz zur reinen Berufsarmee: "Politisch gewollt und verabredet ist eine Freiwilligenarmee", darauf pocht etwa FDP-Frau Hoff. Und der schleswig-holsteinische CDU-Chef Christian von Boetticher brachte sogar eine Rolle rückwärts ins Gespräch: Er regte an, über "eine Wiedereinführung der Wehrpflicht" nachzudenken, falls das Guttenberg'sche Freiwilligenmodell nicht anschlage.

Guttenberg muss zum Ende seiner Amtszeit schon das Ausmaß des Personalproblems gekannt haben. Im eingangs erwähnten Interview verkündete er, die Truppe habe einen Regenerationsbedarf von 12.000, "jetzt Anfang März haben wir schon 7000, die ihr Interesse bekundet haben". Das sollte so klingen, als sei mehr die Hälfte des Bedarfs gedeckt.

Was Guttenberg nicht sagte: Seine Zahlen bezogen sich auf eine Umfrageaktion von Kreiswehrersatzämtern, deren Ergebnis den Ernst der Lage bestätigt: Von 165.747 verschickten Fragebögen, kamen lediglich 6949 zurück, in denen "Interesse" bezeugt wurde - Guttenbergs gepriesene Freiwilligen-Kandidaten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: