Personalie:Der Student aus Heidelberg

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Von Adenauer eingeladen: Günther Dohmen, heute 92 Jahre alt. (Foto: Metzfoto)

Wie ein 22-Jähriger in den Parlamentarischen Rat nach Bonn kam - und sagt, einen Artikel initiiert zu haben.

Von Wolfgang Janisch, Tübingen

Günther Dohmen ist ein Herr von 92 Jahren, und die wenigen Schritte von der Tür bis zum Lehnsessel fallen ihm nicht leicht. Aber der Weg ist vielfach erprobt, Dohmen weiß, wo er Halt findet. Sobald er den sicheren Platz neben dem Klavier eingenommen hat, beginnt er, von der Zeit vor 70 Jahren zu berichten. Wach, klar, konzentriert. Und man bekommt eine Ahnung von dem redegewandten jungen Mann, der er war, als er ein Telegramm von Konrad Adenauer erhielt.

Günther Dohmen studierte damals Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Heidelberg. Er war 22 und hatte gerade als Asta-Vorsitzender mit einem Studentenstreik Furore gemacht. "Ich war wohl der bekannteste Studentenführer", sagt er. Konrad Adenauer, Präsident des soeben zur Erarbeitung eines Grundgesetzes eingesetzten Parlamentarischen Rats, wurde aufmerksam. Er suchte nach Vertretern der jungen Generation, die an den Beratungen teilnehmen sollten - ohne Stimmberechtigung natürlich, und überhaupt ein bisschen heimlich; die Alliierten sollten nichts wissen. Man würde sich freuen, ihn in Bonn zu begrüßen, telegrafierte Adenauer, für eine Unterkunft sei gesorgt. Nur Bettwäsche möge er mitbringen.

Dort herrschte gedrückte Stimmung, erinnert sich Dohmen. Man zweifelte sogar an der Legitimation des Rates, der nicht vom Volk gewählt, sondern von den Landesparlamenten und den drei Westmächten eingesetzt worden war. "Es war ein Gefühl der Pflichterfüllung: Wir müssen das machen, damit wir von den Militärgouverneuren unabhängig werden."

Bei Adenauer fuhr er mit. Heuss war sein Gegner. Carlo Schmid fand er großartig

Im Sitzungssaal der Pädagogischen Akademie, dem späteren Bundeshaus, saßen die anfangs etwa zehn jungen Leute ganz hinten an der Wand. Der Umgang mit den Abgeordneten sei unkompliziert gewesen, sagt Dohmen; man redete in den Pausen und saß abends im Restaurant zusammen. An einem regnerischen Tag habe Adenauer ihn im Mercedes mitgenommen. Auch danach habe er ihn immer wieder ausgefragt, was die jungen Menschen so umtreibe. Später sollte Dohmen für ihn sogar ein Manuskript schreiben; Adenauer hatte eine Rede vor der Jungen Union zu halten. Noch stärker jedoch hat ihn die zweite große Persönlichkeit aus dem Parlamentarischen Rat beeindruckt, der Sozialdemokrat Carlo Schmid: gebildet, schlagfertig, rhetorisch unglaublich geschickt. "Adenauer war trocken dagegen." Schmid, Vorsitzender des Hauptausschusses, "war wohl der, der den größten Einfluss auf die Schaffung des Grundgesetzes hatte".

Einfluss hatte Schmid auch auf die Schaffung einer Norm, die dem Studenten Dohmen besonders am Herzen lag: "Niemand darf gezwungen werden, gegen sein Gewissen mit einer Waffe in der Hand zu kämpfen." Günther Dohmen hält sich zugute, im Ausschuss für Grundsatzfragen den Anstoß für den späteren Artikel 4 Absatz 3 gegeben zu haben. Überprüfen lässt sich das nicht, da ist man auf seine Erinnerung angewiesen. Das Protokoll verzeichnet in der 26. Sitzung am 30. November 1948 eine Wortmeldung der Abgeordneten Friederike Nadig, den "SPD-Antrag" zum Thema Kriegsdienstverweigerung zu behandeln. Zunächst diskutiert man über Formalien, aber anderthalb Monate später, im Hauptausschuss, meldet sich Theodor Heuss zu Wort - mit dem Antrag, den Passus wieder zu streichen. "Wir sind nämlich jetzt dabei, ein Werk der Demokratie zu schaffen. Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie", gibt der spätere Bundespräsident zu bedenken. Nichts spreche dagegen, später Ausnahmen zu schaffen. "Aber wenn wir jetzt hier einfach das Gewissen einsetzen, werden wir im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens verfassungsmäßig festlegen." Massenverschleiß des Gewissens? Fritz Eberhard, SPD, kontert, man habe gerade einen "Massenschlaf des Gewissens" hinter sich. Auch Carlo Schmid hält dagegen: Es gehe doch darum, ob man in der Not des Vaterlandes den Dienst auf andere Weise tun könne als dadurch, andere zu töten. Heuss scheitert; Dohmens wichtigster Satz gelangt ins Grundgesetz.

Noch etwas wollten die jungen Leute in Bonn durchsetzen: Volksabstimmungen. Doch Beteiligungsrechte für ein Volk, das den Nazis noch zujubelte, als das Morden schon längst begonnen hatte? Die Alliierten, aber auch die 65 Abgeordneten des Parlamentarischen Rates, misstrauten den Deutschen sehr. Dohmen sagt: "Denn fast alle waren sie Leidtragende des Naziregimes gewesen - strafversetzt, gekündigt oder sogar verfolgt."

Es fand nicht jeder jeden Passus gut. Aber es gab einen Grund, der Kompromisse erleichterte

Die Militärgouverneure hatten damals ein Verbindungsbüro in Bonn. Immer wieder wurden ganze Delegationen von Abgeordneten einbestellt, es gab Rückfragen und Drohungen. "Das war ein böses Ringen." Manche Abgeordnete konnten nur mühsam abgehalten werden, ihr Mandat niederzulegen. Denn die Westmächte wollten zwar ein stabiles, aber kein starkes Deutschland. Der Streit um die Finanzverfassung zum Beispiel: Mit dem vor allem vom französischen Militärgouverneur durchgedrückten Ergebnis seien die Abgeordneten höchst unzufrieden gewesen, es lief auf die Schwächung des Bundes hinaus. Dohmen, der später eine Karriere als Pädagogik-Professor machte, sollte als Leiter eines Bund-Länder-Instituts für Fernstudien am eigenen Leib erfahren, wie kompliziert eine Bund-Länder-Finanzierung geworden war. Die skeptischen Abgeordneten hatten recht behalten.

Hat damals, zwischen Herbst 1948 und Frühjahr 1949, irgendwer geahnt, was für ein nachhaltiges, leuchtendes Dokument man schrieb? Dohmen sagt: Für alle war klar, dies sei nur ein erster Versuch, irgendwann gibt es eine Verfassungsgebende Versammlung. Dies habe Kompromisse erleichtert: Carlo Schmid habe gelegentlich gesagt, dieser Artikel ist zwar nicht so geglückt, aber lasst uns zustimmen; ist doch nur vorläufig.

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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