In deutschen Kernkraftwerken werden in großem Umfang Leiharbeiter eingesetzt, um gefährliche Arbeiten zu erledigen. Dabei sind sie einer deutlich höheren Strahlenbelastung ausgesetzt als Stammbeschäftigte. Dies geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt.
In Deutschland haben mehr als 67.000 Beschäftigte, die beruflich radioaktiver Strahlung ausgesetzt sind, einen Strahlenpass. Er ist für Personen verpflichtend, die in Strahlenschutzbereichen fremder Anlagen arbeiten. Dies gilt zum Beispiel für Leiharbeiter oder Prüfpersonal während der Revision eines Atomkraftwerks. Nach Angaben der Bundesregierung wurden im Jahr 2009 in den 17 deutschen Leichtwasserreaktoren knapp 6000 Mitarbeiter überwacht, die zum eigenen Personal zählen. Deutlich höher ist die Zahl des überwachten Fremdpersonals, zu denen die Bundesregierung Leih- und Werkarbeiter zählt. Sie sind nicht bei dem Betreiber eines Atomkraftwerks beschäftigt, sondern bei einer Verleihfirma oder einem anderen Arbeitgeber und sind in der Regel schlechter bezahlt. Ihre Zahl liegt bei mehr als 24.000 Personen. Auffällig ist die unterschiedliche Strahlenbelastung beider Gruppen.
Die Jahresdosis für das gesamte Eigenpersonal beziffert die Bundesregierung auf insgesamt 1,7 Sievert, der Maßeinheit für die Strahlenbelastung. Bei den Fremdbeschäftigten sind es, für alle Personen zusammengerechnet, 12,8 Sievert. Fast 90 Prozent der Strahlendosen bekommen damit Leih- und Werkarbeiter ab, die Stammbeschäftigten nur etwas mehr als ein Zehntel. Daraus ergibt sich nach den Berechnungen der Linken, dass die Strahlenbelastung für das Fremdpersonal pro Person "im Durchschnitt fast doppelt so hoch ist wie die für das Eigenpersonal".
Fremdpersonal arbeitet "international"
Weil der Anteil zu Lasten der Leih- und Werkarbeiter in den vergangenen 30 Jahren deutlich gestiegen ist, vermutet die Linken-Abgeordnete Jutta Krellmann, dass die Fremdbeschäftigten zunehmend "die besonders strahlenexponierten Arbeiten in den AKW übernehmen". Sie spricht vom "Strahlenproletariat in deutschen Atomkraftwerken". Das bedeutet aber nicht, dass diese Arbeiter einer unerlaubt hohen Strahlendosis ausgesetzt wären. Die Durchschnittsbelastung pro Person liegt jedenfalls weit unter dem in Europa maßgeblichen Grenzwert von 20 Millisievert für beruflich strahlenexponierte Menschen.
Dass Energiekonzerne billigere Subunternehmen und Leiharbeiter anheuern, um Geld zu sparen, ist auch in anderen Ländern üblich. In Frankreich ziehen bis zu 30.000 Leiharbeiter von einem AKW zum anderen. Sie werden "Nuklear-Nomaden" genannt. Die Leiharbeiter helfen dort beim Austausch von Brennelementen und übernehmen Reparaturen und Wartungsarbeiten in stärker strahlenden Zonen. Die atomkritische Ärzteorganisation IPPNW kritisiert bereits seit längerem, dass auch bei der Wartung deutscher Atomkraftwerke "regelmäßig ungelernte Hilfskräfte und Leiharbeiter" eingesetzt werden.
Nach Angaben der Bundesregierung arbeitet das Fremdpersonal "meist international". Deutsche Behörden können Aufzeichnungen über Strahlenbelastungen, die außerhalb Deutschlands amtlich festgestellt wurden, auf Antrag anerkennen. Die Linken-Politikerin Dorothée Menzner fürchtet deshalb, dass international Beschäftigte mit mehreren Strahlenpässen arbeiten und so Strahlenhöchstdosen überschreiten können. Die Bundesregierung hat keine Hinweise darauf, will sich aber für einen einheitlichen europäischen Strahlenpass einsetzen.