Pendlerpauschale:"Die Reformfähigkeit des Staates erhalten"

Sowohl der Finanzminister als auch Hessens Noch-Ministerpräsident fordern: Die alte Pendlerpauschale war unsinnig - und darf deshalb nicht wieder eingeführt werden.

Peer Steinbrück und Roland Koch

Die Verfasser dieses Artikels haben eine gewisse gemeinsame Erfahrung mit dem Abbau von Steuersubventionen. Dieser Abbau ist und bleibt ein mühsames Geschäft, es gibt starke Lobbys, und selbst Totgesagte leben manchmal länger, als man vermutet oder: befürchtet hat. Gleichwohl hat die sogenannte Koch/Steinbrück-Liste seinerzeit eine Bresche in den Subventionsdschungel geschlagen.

Pendlerpauschale: Die Entfernungspauschale war für viele eine Selbstverständlichkeit. Hessens CDU-Regierungschef Roland Koch ud Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) (rechts) sind jedoch der Meinung, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, einen Teil der Fahrtkosten zum Arbeitsplatz zu übernehmen.

Die Entfernungspauschale war für viele eine Selbstverständlichkeit. Hessens CDU-Regierungschef Roland Koch ud Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) (rechts) sind jedoch der Meinung, dass es nicht Aufgabe des Staates ist, einen Teil der Fahrtkosten zum Arbeitsplatz zu übernehmen.

(Foto: Foto: dpa)

Seit 2006 spart der Staat durch die Kürzung von Steuersubventionen und Finanzhilfen etwa zehn Milliarden Euro pro Jahr ein. Die große Koalition hat den Subventionsabbau und die Haushaltssanierung entschlossen fortgesetzt und deshalb beschlossen, auch die Entfernungspauschale abzuschaffen - finanziell kein kleiner Fisch und sicher eine Vergünstigung, die für viele zur Selbstverständlichkeit geworden war.

Nun versuchen manche, der Entfernungspauschale neues Leben einzuhauchen. Dabei sind die Motive in Politik und Rechtsprechung allerdings höchst unterschiedlich. Politisch erhält die Debatte Nahrung durch die gestiegenen Benzinpreise. Aber: Überzeugende Argumente für die politische Notwendigkeit einer Pendlerpauschale können daraus nicht gewonnen werden, denn der Preisanstieg ist auf weltwirtschaftliche Entwicklungen zurückzuführen. Der Markt reagiert auf das begrenzte Angebot sowie auf neue, energiehungrige Nachfrager wie China und Indien.

Die Erwartung vieler Menschen, der Staat könne quasi als Puffer globale Marktentwicklungen dauerhaft von ihnen fernhalten oder auch nur korrigieren, ist ein Irrglaube. Jeder Volkswirt wird das bestätigen. Wenn wir jetzt über steuerliche Maßnahmen in die globale Preissetzung eingreifen, würde dies nur die Gewinne der Ölförderländer und der Öl verarbeitenden Industrie erhöhen. Der Verbraucher stünde am Ende mit leeren Händen da - und die Staatskasse wäre auch noch geplündert.

Die Entfernungspauschale eignet sich auch nicht zum Symbol einer Gerechtigkeitsdebatte. Die Entscheidung für ihre Abschaffung wurde aus guten Gründen als Baustein eines Gesamtkonzeptes zur Haushaltskonsolidierung von allen drei Koalitionsparteien getragen, denn sie schafft finanzpolitischen Gestaltungsfreiraum für zukünftige Generationen. Dabei wurde in der Ausgestaltung eigens eine Härtefallregelung geschaffen, um übermäßige Belastungen Einzelner zu vermeiden.

Durch den Verzicht auf die Pendlerpauschale fließen pro Jahr Mehreinnahmen von etwa 2,5 Milliarden Euro in die Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden, mit denen gezielt politische Zukunftsbereiche wie Bildung, Forschung und Entwicklung sowie die Infrastruktur gefördert werden. Davon profitieren vor allem unsere Kinder. An der Zahl wird zugleich deutlich, dass die Wiedereinführung der Pauschale vom ersten Kilometer an nicht ohne negative Folgen für ganz viele Bürger vonstatten gehen würde.

Der Streit vor dem Bundesverfassungsgericht über die Entfernungspauschale hat einen anderen Hintergrund und neben seiner politischen Bedeutung grundlegenden Charakter. Wenn die gegenwärtige Regelung zur Entfernungspauschale verfassungswidrig wäre, würden in Deutschland weitere Diskussionen über den Abbau von Steuersubventionen deutlich erschwert. Dann müsste die Politik zwangsläufig jede individuelle Lebensgestaltung von Arbeitnehmern von Verfassung wegen steuerlich berücksichtigen. Selbst Abweichungen wegen Geringfügigkeit oder die Möglichkeit der Pauschalierung wären damit dem Gesetzgeber faktisch genommen. Die Handlungsmöglichkeiten des Staates wären in einer Art eingeschränkt, die die Reformfähigkeit in der Steuerpolitik lähmen würde.

Bei der Neuregelung der Entfernungspauschale ging die Bundesregierung davon aus, dass die Höhe der Aufwendungen für Fahrten von und zur Arbeit genauso wie die Wahl des Wohnorts in der Regel privat mitveranlasst sind. Da sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten selbst seine Wohnung und seine Arbeitsstelle wählt, ist dies auch unmittelbar einleuchtend.

Lesen Sie auf der nächsten Seite mehr über das 2007 beschlossene Werkstorprinzip und inwieweit sich die Debatte über die Pendlerpauschale auf den Gesetzgeber auswirken kann

"Die Reformfähigkeit des Staates erhalten"

Seit dem 1. Januar 2007 gilt deshalb in Deutschland, ähnlich wie in vielen europäischen Staaten auch, das sogenannte Werkstorprinzip: Die Arbeit beginnt an der Arbeitsstelle, der Staat mischt sich weder in die Wohnortwahl ein, noch übernimmt die Allgemeinheit einen Teil der Fahrtkosten. Nach intensiver Diskussion im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages im Sommer 2006 war die Mehrheit der Abgeordneten davon überzeugt, dass das Werkstorprinzip sachgerecht und im Einklang mit sämtlichen Verfassungsressorts des Bundes und der Länder auch verfassungsgemäß ist.

So apodiktisch, wie dies auf den ersten Blick aussieht, ist die Entscheidung jedoch nicht. Diejenigen, die diese Entscheidung trafen, waren sich der Verantwortung für ein auch sozial ausgewogenes Gesamtkonzept bei der Berücksichtigung der Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit bewusst. Die Wegekosten der meisten Betroffenen sind durch den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von zurzeit 920 Euro pro Jahr abgedeckt.

Zur Sicherheit: Härtefallregelungen

Trotzdem haben wir zugleich eine erhebliche sozialpolitische Komponente in Form der Härtefallregelungen für Fernpendler, für Familienheimfahrten und für Behinderte beschlossen. Beispielsweise kann ein berufstätiger Elternteil nicht immer in die unmittelbare Nähe seines Arbeitsplatzes ziehen. Auch erwartet der Staat zum Beispiel von Arbeitssuchenden, dass sie auch eine weit entfernte Arbeitsstelle annehmen. Deswegen gilt: Wer längere Wege zur Arbeitsstelle auf sich nimmt, kann diese Fahrten ab dem 21. Entfernungskilometer steuerlich absetzen.

Diese sozial- und arbeitsmarktpolitisch motivierte Regelung schwächt die Folgen des Wegfalls der Steuersubvention ab. Wer bei doppelter Haushaltsführung am auswärtigen Arbeitsort wohnt, kann außerdem ein Mal pro Woche die Heimfahrt sowie unverändert weiterhin auch die Kosten der doppelten Haushaltsführung selbst geltend machen.

Die Härtefallregelungen für Fernpendler und Familienheimfahrten stellen auch sicher, dass die Besonderheiten von Doppelverdiener-Ehen berücksichtigt werden, die Abschaffung also nicht zu einer Unvereinbarkeit von Ehe und Berufstätigkeit führt. Speziell für behinderte Menschen gibt es weitere Härteregelungen. Um es angesichts der gerichtlichen Entscheidung etwas juristischer zu formulieren: Der Staat hat durch die Einführung des Werkstorprinzips eine ihm zustehende Grundsatzentscheidung getroffen.

Umwelt-, verkehrs- und strukturpolitische Wirkungen

Die Neuregelung wird von Städteplanern, Umwelt- und Verkehrsexperten einhellig begrüßt. Neuere Analysen zeigen Trends zur Rückkehr in die Stadt, zur verstärkten Bildung von Fahrgemeinschaften oder auch zur verstärkten Nutzung von öffentlichem Personenverkehr. Damit werden umwelt-, verkehrs- und strukturpolitische Wirkungen erzielt, die im Sinne einer nachhaltigen Politik vor dem Hintergrund steigender Energiepreise absolut richtig und wünschenswert sind. Im Gegensatz zu unwirksamen oder allenfalls sehr kurzfristig wirkenden, teureren finanzpolitischen Eingriffen werden die Bürger durch solche Verhaltensänderungen dauerhaft entlastet, und die Abhängigkeit Deutschlands von fossilen Energiequellen sinkt.

Was heißt das alles? Die Neuregelung der Entfernungspauschale hat zusammen mit anderen Maßnahmen zur Sanierung der Staatsfinanzen beigetragen. Dies ist - über die politische Notwendigkeit hinaus - auch ein verfassungs- und europarechtliches Gebot. Dabei haben wir sozial- und wirtschaftspolitische Interessen angemessen berücksichtigt. Zudem werden mit dem Wegfall der Entfernungspauschale umwelt-, energie- und verkehrspolitische Ziele besser erreicht. Unbestreitbar ist die Einführung des Werkstorprinzips auch ein Paradigmenwechsel. Wenn man die Vereinfachung unseres Steuersystems erreichen will, werden wir noch viele solcher Paradigmenwechsel angehen müssen. Grundsätze wie das objektive und subjektive Nettoprinzip bleiben dabei grundlegende Leitlinien.

Die offensichtlich so populäre Debatte über die Pendlerpauschale ist nicht nur eine Frage von Milliarden, sondern sie kann auch grundlegend werden für die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers im Steuerrecht. Am Ende könnten 20 Kilometer Entfernung zur Arbeit den Weg zur weiteren Vereinfachung des Steuerrechts fast unendlich weit machen.

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