Der nachlässige Umgang mit Regierungsdokumenten hat in einer der ältesten Deomkratien der Welt Tradition. Zumindest in jüngster Zeit. Nachdem in der jüngeren Vergangenheit immer wieder Laptops verschwunden und Dokumente in Zügen vergessen wurden, hat sich der Amtschef des britischen Premierministers David Cameron nun einen besonders peinlichen Lapsus erlaubt: Oliver Letwin wurde dabei beobachtet - und fotografiert -, wie er während seiner Morgenspaziergänge Unterlagen in Papierkörben in einem öffentlichen Park entsorgte.
Die britische Datenschutzbehörde hat dem Guardian bestätigt, dass man die Vorwürfe gegen den konservativen Minister untersuche. Der Amtschef war von einem Fotografen des Daily Mirror fünfmal dabei beobachtet worden, wie er morgens im St. James's Park hinter dem Amtssitz des Premiers Dokumente in Mülleimer neben den Bänken warf.
Mehr als 100 Papiere will das Revolverblatt in den Abfallkörben und im Sack eines Straßenkehrers gefunden haben - darunter Unterlagen über die umstrittene Überstellung von Terrorverdächtigen, die Arbeit der Geheimdienste MI5 und MI6 sowie die Aktivitäten von al-Qaida.
Ein Brief mit der Bitte, vertraulich damit umzugehen
Besonders pikant erscheint ein Brief des konservativen Abgeordneten Andrew Tyrie an Malcolm Rifkind vom Geheimdienstausschuss. Dieser deutet darauf hin, dass der Ausschuss nicht in der Lage war, "die Wahrheit über die Beteiligung Großbritanniens" an der umstrittenen Überstellung möglicher Terroristen herauszufinden. Der Brief enthält die Bitte, vertraulich mit der Angelegenheit umzugehen.
Andere Papiere beziehen sich auf die nationale Sicherheitslage, auf Libyen, Pakistan und Afghanistan. Darüber hinaus fanden die Journalisten private Briefe mit Telefonnummern und Adressen von Abgeordneten und Papiere, in denen es um Ex-Premier Tony Blair von Labour, den amtierenden liberaldemokratischen Vize-Premier Nick Clegg und Tory-Schatzkanzler George Osborne geht. Und dann gibt es offenbar noch Briefe britischer Wähler an Letwin.
Anstatt die Papiere zu schreddern, wie es Anweisungen der britischen Regierung vorsehen, beschränkte sich Letwin darauf, einige Papiere zu zerreißen - allerdings so, dass es für die Journalisten des Daily Mirror kein Problem war, sie wieder zusammenzufügen. Damit seien Sicherheitsbestimmungen gebrochen worden, kritisiert die Zeitung.
Eine Sprecherin der Regierung erklärte dem Guardian zufolge, es würde geprüft, ob von Letwin sensibles Material weggeworfen worden sei. Geheime Dokumente dürften aber eigentlich nicht darunter sein, hieß es. Das habe Letwin selbst bestätigt. "Natürlich ist es kein sehr sensibles Vorgehen, Dokumente auf diese Weise loszuwerden", erklärte die Sprecherin. "Mr. Letwin hat zugesagt, es nicht noch einmal zu tun."
Ein Sprecher des Ministers selbst beteuerte, der Politiker "erledigt einige seiner Korrespondenzen teilweise im Park, bevor er zur Arbeit geht, und manchmal wirft er Kopien von Briefen dort weg". Dabei handele es sich aber nie um geheimes Material.
Wie der Guardian berichtet, wirft Labour-Chef Ed Miliband dem Minister vor, "wichtige Papiere geringschätzig zu behandeln". Das sei ein "sehr seltsames Verhalten." Wenn tatsächlich Briefe von Wählern im Müll gelandet seien, dann sei das kaum der richtige Weg, mit den Anliegen und Sorgen der Menschen umzugehen.
Jeremy Corbyn, ein weiterer Labour-Politiker, fand noch deutlichere Worte: Es sei "wirklich dämlich", mit vertraulichen Dokumenten morgens im Park herumzulaufen - und diese dann auch noch in öffentliche Abfallkörbe zu werfen, erklärte er Radio 5 Live.
Vergessene Aktentaschen, geklaute Computer, verlorene CDs
Schon in der Vergangenheit hatten britische Regierungsbeamte, Politiker und Behörden immer wieder für ähnliche Schlagzeilen gesorgt: So hatte vor zwei Jahren der damalige Kulturminister Andy Burnham eine Aktentasche mit vertraulichen Papieren im Zug vergessen, nachdem kurz zuvor Großbritanniens oberster Terrorfahnder Bob Quick zurückgetreten war, weil er sich mit geheimen Dokumenten unter dem Arm hatte fotografieren lassen. Auf den Fotos waren Informationen über eine laufende Anti-Terror-Überwachung zu erkennen, weshalb Terrorfahnder sofort Razzien einleiten mussten.
2008 hatte ein Fahrgast in einem Londoner Zug einen Umschlag mit der Aufschrift "UK Top Secret" gefunden. Das Dokument enthielt Geheimdienstunterlagen über das Terrornetzwerk al-Qaida in Pakistan und die Lage im Irak.
Ebenfalls vor drei Jahren hatte ein Offizier der Royal Navy einen Computer mit persönlichen Daten von rund 600.000 Angehörigen oder Bewerbern der Marine, der Marineinfanterie und der Luftwaffe im Auto liegenlassen. Der Laptop war aus dem Auto gestohlen worden. Und wie das britische Innenministerium zugeben musste, wurden dort zwei Memory-Sticks mit den persönlichen Daten von 127.000 Strafgefangenen und Kriminellen vermisst.
2007 hatte die britische Steuerbehörde CDs mit Daten von 25 Millionen Bürgern verloren. Dann musste die damalige Verkehrsministerin Ruth Kelly zugeben, dass den Behörden die Daten von drei Millionen Fahrschülern abhandengekommen waren. Kurz darauf erklärte das Gesundheitsministerium eine CD mit Daten zu 160.000 kranken Kindern als vermisst. Das Gleiche galt für Angaben zu Zehntausenden erwachsenen Patienten.
Seit 2001 ein Beamter des britischen Verteidigungsministeriums einen Laptop mit Informationen zu einem neuen Waffensystem in einem Londoner Taxi liegengelassen hatte, sind in Großbritanien laut Daily Mail mehr als 3000 Laptops und Handys mit vertraulichen Informationen verschwunden - davon etwa 1000 aus dem Besitz des Verteidigungsministeriums.
Wirklich dämlich das alles.