Pegida:Verführerisch simpel

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Etwa 200 000 Menschen folgen Pegida auf Facebook. Die SZ hat die Kommentare von 2015 ausgewertet. Fazit: Pauschalisierung ist schlimmer als Hass.

Von Hannes Munzinger, Antonie  Rietzschel und Hauke Bendt, München

Sie hetzen gegen Flüchtlinge, gegen Muslime, gegen Politiker. Seit über einem Jahr demonstrieren in Dresden Menschen, die sich "Patriotische Europäer" nennen. Fernsehbilder übertragen Woche für Woche die wehenden Deutschlandfahnen in die Wohnzimmer der Republik. Was wollen diese Demonstranten? Wissenschaftler versuchten in mehreren Untersuchungen, sich dem Phänomen Pegida zu nähern. Die Erkenntnis war aber begrenzt: Langzeitstudien zur Entwicklung der Bewegung gab es bisher nicht.

Wer erfahren möchte, wie Pegida funktioniert, muss deshalb dahin gehen, wo die Bewegung entstanden ist und wo sie bis heute am aktivsten ist: zu Facebook. Ohne das soziale Netzwerk wäre Pegida undenkbar. Um das Weltbild der Anhänger besser zu verstehen, hat die Süddeutsche Zeitung sämtliche Kommentare und Interaktionen, die auf der Facebook-Seite der Bewegung im vergangenen Jahr stattgefunden haben, analysiert (siehe Infokasten). Hier mobilisieren die Verantwortlichen ihre 200 000 Anhänger, hier setzen sie jeden Tag Hunderte Kommentare ab.

Die Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch und Susanne Flach, die sich mit dem Thema Hassrede im Internet beschäftigen, haben den SZ-Datensatz analysiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass die rassistische Hetze von Pegida oft nicht klar als solche erkennbar ist. Das Vokabular von Pegida-Gründer Lutz Bachmann oder andere offensichtlich rassistische oder diskriminierende Begriffe wie "Pack" oder "Abschaum" finden sich selten. Stattdessen pflegen die Anhänger von Pegida ihre Rolle als besorgte Bürger und nutzen mehrheitlich eine eher neutrale Sprache. "Auf den ersten Blick erscheint das alles gar nicht so radikal und böse, sondern sogar verführerisch logisch. Genau darin liegt die Gefahr", sagt Stefanowitsch. "Wer sich lediglich ein Bild von Pegida machen will, denkt sich: Ist doch gar nicht so schlimm."

Illustration: Jessy Asmus (Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

Die Aussagen über Flüchtlinge, Migranten und Muslime zielten durchgängig auf Ablehnung, Delegitimation und Schuldzuweisungen ab. Die Wortwahl in den Kommentaren sei verallgemeinernd, die Begriffe Flüchtlinge, Migranten, Muslime dienten oft als Synonyme. Damit würden alle als Teil einer homogenen, undifferenzierbaren Gruppe dargestellt. Flüchtlinge würden so zu einem Feindbild: Sie hätten keinen Grund, in Deutschland Zuflucht zu suchen. Ihnen wird etwa vorgeworfen, Teil einer Invasionsmacht zu sein, die Deutschland erobern und islamisieren will. Nach dieser Logik wird es möglich, Angriffe auf Flüchtlinge als Gegenwehr zu werten, so die Wissenschaftler.

Aus der Analyse ergibt sich so das Weltbild von Pegida: Eine Islamisierung Deutschlands oder Europas sei bereits im Gange oder stehe unmittelbar bevor. Diese Islamisierung werde von Staaten aus dem arabischen Raum oder nicht näher genannten Mächten betrieben und von deutschen oder europäischen Regierungen und Medien unterstützt. Die Flüchtlinge seien ein Werkzeug dieser Islamisierung. Sie sollen die Deutschen verdrängen oder als Kämpfer an deren Vernichtung mitarbeiten. Die einzige Lösung bestehe in einer Ausweisung aller muslimischen Flüchtlinge. Pegida müsse einen Volksaufstand gegen die etablierte Politik anführen.

Die Anhänger von Pegida distanzieren sich oft von Nazis. In politischen Diskussionen beziehen sie sich fast ausschließlich auf die Flüchtlingspolitik, die als Verrat am Volk empfunden wird. In der Kritik stehen zunächst hauptsächlich Parteien, wie die Linke und die Grünen und deren Politiker. Ihnen wird vorgeworfen, aus Naivität oder sogar böser Absicht das Land zerstören zu wollen. Im späteren Zeitverlauf fokussiert sich die Kritik auf Merkel und die Regierung. Sie wird als volksfern und teilweise sogar diktatorisch dargestellt. "Die Pegida-Anhänger sehen sich hier häufig als einziges Gegengewicht zu dieser Entwicklung", sagt Flach. Ein Beispiel: "Aus diesem Grund, weil wir belogen, betrogen und bespitzelt wurden, haben wir damals den Ausreiseantrag in der DDR gestellt und sind in den freien Westen übergesiedelt. Und nun stellt sich heraus, wir haben die gleichen Zustände wie in der DDR. Danke, ich habe die Schnauze gestrichen voll."

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(Foto: Illustration: Jessy Asmus/SZ.de)

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Das zeigt sich auch in der Häufigkeit, mit der die Begriffe "Merkel" und "Flüchtling" im gesamten Datensatz auftauchen. Im Mai schrieben die Pegida-Anhänger den Namen der Bundeskanzlerin (die hier im Übrigen häufig auch als "IM Erika" bezeichnet wird) nur 42 Mal in die Kommentarspalten. Seit Merkel sich mit ihrer liberalen Haltung in der Flüchtlingsfrage klar positioniert hat, drehen sich plötzlich fast alle Kommentare um sie. Der Name "Merkel" wird im September fast 3000 Mal genannt, im Oktober noch öfter. Und so ähnlich verhält es sich mit dem Begriff "Flüchtling", der von Juni an deutlich häufiger in Diskussionen fällt. Die Bedeutung des Wortes "Islam" nimmt jedoch ab.

Flüchtlinge und Migranten werden in den Kommentarspalten mit am meisten thematisiert. Hassreden kommen in dem Zusammenhang relativ selten vor, wie die Analyse von Stefanowitsch und Flach zeigt. In vier von insgesamt 228 Aussagen wird Flüchtlingen der Tod gewünscht. In einem Fall wird vorgeschlagen, sie ins Arbeitslager zu stecken. Dass sich kaum drastische Formulierungen finden, könnte auch darauf zurückzuführen sein, dass die Administratoren der Seite Kommentare löschen, die eindeutig als rechtsextrem gelten und juristisch relevant sein könnten. In den Kommentarspalten finden sich Hinweise dafür. Eine Anfrage bei Pegida zu dem Thema blieb bisher unbeantwortet.

Trotzdem wird gegen Flüchtlinge gehetzt: Sie werden als Opportunisten dargestellt, die nicht wirklich vor Krieg oder Armut fliehen. Zum Beispiel: "Das ist richtig so, das sind keine Asylanten, das sind Glücksjäger!" Sie seien faul und primitiv. Es handle sich um Kriminelle, darunter Gewalttäter, Vergewaltiger und Betrüger. In anderen Äußerungen werden Flüchtlinge pauschal als eine Gefahr dargestellt, weil sie "Invasoren" seien oder das Land zerstören wollen. In diesem Zusammenhang ist häufig von "Islamisierung" die Rede. Dass die Menschen verschiedenen Religionsgruppen angehören, wird ignoriert. Muslime und Flüchtlinge - alles das Gleiche, so die Logik von Pegida. Der Islam wird in den Kommentaren als gewalttätig, terroraffin und menschenverachtend dargestellt.

Hier wird ein undifferenziertes Bild von einer Gruppe gezeichnet, vor der man Angst haben muss. "Von Vernichtungsfantasien ist man da nicht mehr weit entfernt", sagt Stefanowitsch. Seiner Meinung nach dürfte sich der Ton nach den Vorkommnissen in Köln verschärft haben. "Jedes Ereignis wird genutzt, um das Feindbild zu stützen. Auf diese Weise werden die Flüchtlinge als Gruppe zum Sündenbock für alle Ressentiments gemacht - wie es in der Geschichte immer wieder mit verschiedenen Gruppen geschehen ist. Das liefert dann ein Rechtfertigungsmuster für Bürgerwehren, Angriffe auf Flüchtlingslager und andere Entwicklungen, die wir derzeit beobachten können." Journalisten und Medienhäuser sind zentrales Feindbild für Pegida-Anhänger. Der häufigste Vorwurf ist die angeblich falsche Berichterstattung über Pegida und ihre Ziele.

© SZ vom 04.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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