Pegida:So viel Dresden steckt in Deutschland

Lesezeit: 3 Min.

Pegida wird zum Symbol für Fremdenfeindlichkeit in Deutschland. (Foto: AP)
  • Dresden wird durch Pegida deutschlandweit zum Symbol für Fremdenfeindlichkeit
  • Nach dem Tod eines Asylbewerbers berichten viele von der fremdenfeindlichen Stimmung in der Stadt.
  • Doch Xenophobie, Systemhass und die Herabwürdigung von Schwächeren haben in Deutschland viele Gesichter - auch außerhalb Dresdens.

Von Hannah Beitzer, Berlin

Betrunken, die Hand zum Hitlergruß erhoben, in Deutschlandtrikot mit feuchtem Fleck auf der Hose: Die Fotografie eines Mannes, der 1992 gemeinsam mit anderen Passanten hemmungslos denjenigen applaudierte, die in Rostock-Lichtenhagen schreckliche Anschläge auf Asylbewerberheime verübten, ist bis heute das Sinnbild des "hässlichen Deutschen", Symbol für Ausländerfeindlichkeit und Hass.

Anfang 2015 bekommt der "hässliche Deutsche" ein neues Gesicht. Er ist jetzt Dresdner. Seit einigen Wochen demonstrieren in der sächsischen Hauptstadt selbsternannte "patriotische Europäer" gegen eine angebliche "Islamisierung des Abendlandes". Mehr und mehr Pegida-Demonstranten werden es jede Woche, sie eint nicht nur Fremdenfeindlichkeit, sondern eine unbändige Wut auf Politik und Medien. "Wir sind das Volk" brüllen sie in Anlehnung an die friedliche Revolution in der DDR. Die Redner wettern gegen "Asylmissbrauch", Demonstranten skandieren "Lügenpresse" - einen Begriff, den schon die Nazis verwendeten.

Nein, Dresden gibt kein gutes Bild ab gerade, die parallel stattfindenden Gegendemonstrationen bleiben zahlenmäßig weit hinter Pegida zurück. Die sächsische Landesregierung äußerte Verständnis für die wütenden Demonstranten, es dauerte lange, bis sie sich zu einer Toleranzkundgebung durchringen konnte. 35.000 Menschen kamen vor genau einer Woche am Samstag zu der Demonstration in der Dresdner Innenstadt.

Touristen meiden Dresden

Doch das Bild hielt nicht. Erst knackte Pegida die 20.000er-Marke, dann wurde in Dresden ein Asylbewerber ermordet, die Polizei musste Ermittlungsfehler einräumen. Flüchtlinge berichten von der ausländerfeindlichen Stimmung in der sächsischen Hauptstadt, davon, dass sie sich montags nicht mehr vor die Tür trauten. Das alles hat bereits Auswirkungen auf den Tourismus in Dresden. Es gebe täglich Anfragen und Absagen von Besuchern, vor allem aus Deutschland, sagte Matthias Hundt, Leiter der Dresdner Tourist Info, der Nachrichtenagentur AFP. Insbesondere Reisende mit einem ausländischen Partner machten sich Sorgen.

Vieles spricht dafür, dass Pegida in seiner konkreten Ausprägung ein Dresdner Phänomen ist. Überall sonst in Deutschland konnten sich die Ableger der "Patriotischen Europäer" nicht etablieren, die Gegendemonstranten waren bei weitem in der Überzahl. Dem ZDF-Politbarometer zufolge lehnen 74 Prozent der Deutschen Pegida ab, die Ablehnung lässt sich bei den Anhängern aller Parteien feststellen, bis auf die der AfD.

Doch Umfragen, die sich auf einzelne Positionen der Pegida-Demonstranten beziehen, liefern andere Ergebnisse. So glauben gemäß der "Mitte-Studie" der Friedrich-Ebert-Stiftung 42 Prozent der Befragten, die meisten Asylbewerber würden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt. Und der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung ergab, dass 57 Prozent der Deutschen den Islam als bedrohlich empfinden.

Die Ereignisse in Deutschland zeigen: Der Großteil dieser 57 Prozent würde sich trotzdem nicht schwarz-rot-goldene Fahnen schwenkend in einen Demonstrationszug einreihen, der - wie beim Pegida-Ableger in Leipzig - "Deutschland, Deutschland" skandiert oder "Lügenpresse" grölt. Die Pegida-Demonstrationen sind zwar ästhetisch lange nicht so unappetitlich wie der "hässliche Deutsche" von 1992. Dennoch erkennt die Mehrheit der Deutschen, dass hier Populisten am Werk sind, deren Parolen jegliche Grundlage fehlt.

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Pegida nein, Ressentiments ja

Interessanter ist jedoch die Frage: Was passiert, wenn jemand diese Grundlage zu liefern verspricht? Da reicht es, ein paar Jahre zurückzugehen, zu Thilo Sarrazin und seinem "Deutschland schafft sich ab". Welche Erleichterung gerade das gediegene Publikum verspürte, endlich eine Zahlengrundlage für das eigene Unbehagen zu erhalten. Einen vermeintlich unumstößlichen, wissenschaftlich belegten Beweis für das, was man eh schon immer geahnt haben wollte.

Ähnlich wirbt auch die selbsternannte Partei der Vernunft, die AfD, derzeit um Wählerstimmen, erst mit Euro-Kritik und Griechenland-Bashing, dann mit dem Pegida-Thema Asylmissbrauch. Pegida, AfD und Sarrazin eint neben der mehr oder weniger latenten Fremdenfeindlichkeit auch die Wut auf "das System", auf "Altparteien", "Mainstreammedien". Und dass das Vertrauen in diese Institutionen seit Jahren sinkt, ist nun beileibe kein Dresdner Phänomen.

Sicher, die Mehrheit der Deutschen wählt nicht AfD. Doch die Auseinandersetzung mit all jenen Phänomenen, die der New Yorker als "Germany's Strange New Right Wing" betitelt, ist in vollem Gange. Und das zurecht - auch eine lautstarke Minderheit kann Anlass zur Sorge geben.

Bereits vor der Sarrazin-Debatte hatte der Soziologe Wilhelm Heitmeyer eine steigende Islamfeindlichkeit insbesondere gebildeter, wohlhabender Schichten festgestellt - und zwar auch bei Menschen, die sich selbst politisch eher links der Mitte einordnen. Von einer "zunehmend rohen Bürgerlichkeit" sprachen die Forscher damals, von einer Abkehr des Prinzips, Schwächeren zu helfen, sie als Teil der Gesellschaft zu akzeptieren und zu achten.

Der "hässliche Deutsche" hat viele Gesichter. Ihn allein in Dresden zu vermuten, hieße ihn zu unterschätzen.

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