Pegida nach den Anschlägen von Paris:Der ganz normale Kriegszustand

Pegida nach den Anschlägen von Paris: Pegida am ersten Montag nach den Anschlägen von Paris.

Pegida am ersten Montag nach den Anschlägen von Paris.

(Foto: AFP)

Haben die Terrorakte von Paris einen Einfluss auf Pegida? Den größeren Einfluss haben die islamistischen Angriffe auf alle anderen.

Ein Kommentar von Hannah Beitzer, Dresden

Pegida-Demonstranten mögen Russlands Präsidenten Wladimir Putin lieber als "die Nato-Huren" ihrer eigenen Regierung. Sie schimpfen über "Volksverräter", rufen "Tod den Islamratten" und "Abschieben!". Auf ihren Plakaten wünschen sie sich "Deutschlandhasser" und "Politiker-Pack" in den "Gulag". Außerdem fordern sie: "Asylantenflut stoppen".

Vielleicht ist das schon Antwort genug auf die Frage: Welchen Einfluss haben die Anschläge von Paris auf Pegida? Haben sie etwas verändert? Denn nein, das haben sie nicht. Der Pegida-Hass ist seit Monaten der gleiche, ihre Wut ist die gleiche, ihre Parolen sind die gleichen. Das Gefühl von Krieg, das uns die Islamisten ja ausdrücklich vermitteln wollen mit ihren Untaten - es ist in den Köpfen der Pegida-Gänger ohnehin schon eine ganze Weile da.

Einfach nur brüllen

Die Redner sprechen zwar in Hinblick auf Paris von einem "Angriff auf die Demokratie" - setzen aber gleich hinterher: "auch wenn es nur eine scheinbare Demokratie ist, wie bei uns". Sie zitieren die französische Rechtspopulistin Marine Le Pen, deren Positionen sie nicht erst seit dem Wochenende teilen: Grenzen dicht, Ausländer raus, Kampf den Feinden des Volkes. Die Menge auf dem Dresdner Theaterplatz skandiert: "Merkel muss weg", manch einer steht einfach da, brüllt ohne Worte, in besinnungsloser Wut, die längst nicht mehr versucht, sich zu rechtfertigen. Immerhin: Es gibt eine Schweigeminute für die Opfer des Terrors - und auch gleich noch für die des russischen Flugzeugabsturzes mit.

Als sie aufbrechen zu ihrem schon traditionellen Spaziergang durch Dresden, mit wehenden Deutschland-Fahnen "Lügenpresse" rufend, will ich auf einmal sehr dringend weg. Nicht wegen der Rufe, die mir, der Reporterin, gelten. Es scheint mir nur so, dass das alles hier mit dem Rest von Deutschland so wenig zu tun hat.

Viele Leute waren nach den Anschlägen von Paris traurig, sehr sogar. Sie hatten Angst, sie waren wütend. Aber sie versicherten sich auch gegenseitig, Werte wie Freiheit, Toleranz und Offenheit verteidigen zu wollen. Sie spendeten sich Trost, zeigten Mitgefühl. Bei Pegida gibt es Ablehnung, Verachtung, Hass.

Ich denke an Springer-Chef Mathias Döpfner, der in einem Artikel forderte, dass die "gesellschaftliche Mitte" sich radikalisieren soll. Wer ist das, frage ich mich? Ich? Und wenn ja - was hieße das an dieser Stelle, zu diesem Zeitpunkt, in Dresden? Zwischen lauter Menschen, die schon radikalisiert sind, sich auch für die gesellschaftliche Mitte halten, merke ich: Ich will mich nicht radikalisieren.

Ich will mich nicht radikalisieren

Ich hole stattdessen mein Smartphone raus und stecke die Ohrstöpsel rein. Ich höre einen Song der wiederentdeckten Alanis Morrissette: "And what it all comes down to - is that everything's gonna be quite alright", singt sie.

Wie schön das ist, dass ich den Pegida-Leuten in ihrer Hasskapsel einfach den Rücken kehren kann. Wie schön das ist, dass ich jetzt ins Hotel gehe und da liegen Kekse auf dem Nachttisch. Ich gehe mit großen Schritten raus aus dem gefühlten Kriegszustand von Pegida.

In einem echten Krieg geht das natürlich nicht, einfach so weggehen. Krieg macht stinknormalen Alltag unmöglich, zerstört die Normalität. Das ist es auch, was die Terroristen in Paris wollten: uns die Normalität nehmen. Und so werde ich mir nach den Angriffen auf Paris nicht so sehr "westlicher Werte" bewusst. Sondern mir wird bewusst, was es für ein Privileg ist, morgen wieder in einer Kneipe in Berlin sitzen und Wein trinken zu können. Ohne dabei an westliche Werte überhaupt zu denken. Einfach, weil es normal ist.

Normalität ist ein Privileg

Die Menschen in Paris haben es schwerer, in diese Normalität zurückzukehren als Menschen in Dresden oder Berlin. Ganz unmöglich ist das für die Menschen in Syrien, die schon seit Jahren jeden Tag Terror und Gewalt ausgesetzt sind. Und die sich deswegen in immer größerer Zahl auf den unsicheren Weg nach Europa machen, auf der Flucht vor einem brutalen Diktator und brutalen Islamisten.

Da muss ich doch wieder an Pegida denken, wo ein Redner auf der Pegida-Bühne eine Geschichte von einem persischen Freund erzählte, der Ende der 70er Jahre aus Iran geflohen sei. "Ihr seid doch bescheuert", sage der Freund immer wieder zu ihm, "lasst jetzt die Leute rein, vor denen ich geflohen bin."

Eigentlich müsste dieser Freund die Flüchtlinge aus Syrien besser verstehen als jeder von uns.

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