Pegida & Co:Gefährliche Mixtur aus Angst, Zorn und Vorurteil

Kernphysiker können die kritische Masse genau definieren. Doch was braucht es, um eine politische Kettenreaktion auszulösen? Politik und Gesellschaft müssen Ressentiments bekämpfen, von denen rechte Bewegungen wie Pegida leben - solange es noch geht.

Kommentar von Jan Bielicki

Sieben Grad sagte der Wetterbericht für Montag voraus, eine leichte Brise, wohl keinen Regen und wenn doch, dann nur leicht. Es waren also keine allzu widrigen Verhältnisse für einen Abendspaziergang - und doch muss noch mehr als das milde Wetter locken, wenn Tausende Menschen Montag für Montag gemeinsam durch Dresdens Innenstadt ziehen.

Eines immerhin haben die Organisatoren der sogenannten Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, kurz: Pegida, geschafft: Sie bringen in der sächsischen Landeshauptstadt allwöchentlich eine Menge Menschen auf die Straße. Aber sind die Demonstranten von Dresden schon eine neue, rechte Massenbewegung? Oder zumindest deren Vorhut?

Für Kernphysiker ist die kritische Masse jene Menge eines spaltbaren Objekts, mit dem sich eine Kettenreaktion aufrechterhalten lässt. Wie viel dazu nötig ist, hängt vom Material ab. Beim Uran-Isotop 235, das in der Hiroshima-Bombe steckte, sind es etwa 47 Kilogramm. Was es braucht, um eine politische Kettenreaktion auszulösen, ist so genau nicht zu bestimmen. Das hängt nicht allein von der Masse der demonstrierenden Menschen ab, sondern vor allem davon, welche Elemente daran beteiligt sind.

Vorurteile nicht politisch schüren - sondern sie bekämpfen

Wer die Leute sind, die in Dresden zu Tausenden, in Berlin, Chemnitz, Düsseldorf oder Bonn zu Hunderten und andernorts zu wenigen Dutzenden unterwegs sind, dafür gibt es viele Beschreibungen: Islamhasser, Ausländerfeinde, Nazis in Nadelstreifen, rechtsorientierte Wutbürger oder tatsächlich "besorgte Bürger", die ihrer Angst und ihren Vorurteilen in großer Zahl gemeinsam Ausdruck verleihen.

Es sind ja alle dabei, der Hooligan und der Neonazi - aber eben auch, wenigstens in Dresden, die vielen, die nicht auf eine Stufe mit Rechtsextremen gestellt werden wollen. Diese Mischung ist es, scheinbar neu und potenziell explosiv, die es der Politik lange schwer machte, ihr mit dem richtigen Ton zu begegnen.

Es wäre freilich falsch, nur auf die vielköpfige Menge in Dresden zu blicken. Und erst recht töricht, den Pegida-Propagandisten im Netz zu glauben, die sich schon als bundesweite Massenbewegung sehen, bloß weil von Bogida in Bonn bis Wügida in Würzberg überall Ableger zu sprießen scheinen. Denn was außerhalb Sachsens dem Dresdner Original nachzueifern sucht, ist alles andere als neu: Ob "Hooligans gegen Salafisten" (Hogesa) in Köln Krawall machen oder in Hannover aufmarschieren, ob eine "Bürgerinitiative" in Berlin-Marzahn Stimmung gegen ein Flüchtlingsheim macht oder ob das Gida-Etikett die Transparente von Aufmärschen in Düsseldorf oder Bonn ziert - überall dort stehen rechte Extremisten, den Verfassungsschutzbehörden oft gut bekannt, hinter den Aufrufen.

Bei den Hogesa-Kundgebungen traten Neonazi-Musiker auf die Bühne und ein NPD-Mann, die Dügida stellte in Düsseldorf eine rechtsextreme Pro-NRW-Funktionärin ans Mikrofon. Ungewöhnlich an diesen Treffen war nur, dass sich die rechtsextreme Szene ausnahmsweise einig zeigte - vom sich sonst israelfreundlich gebenden Islamhasser bis zum offen antisemitischen Neonazi.

Vorurteile gegenüber Muslimen bestehen auch in der Mitte der Gesellschaft

Massen freilich mobilisiert sie im Westen so nicht - jedenfalls nicht auf der Straße. In den sozialen Netzwerken des Internets ist zwar zu beobachten, wie sich viele Nutzer längst in eine ungerichtete Wut hineingesteigert haben, die ihr Ziel mal in der EU, mal in den Muslimen, mal in den Flüchtlingen, mal in der Regierung und meistens einfach in der Politik zu finden glauben.

Viele dieser Wütenden sind wohl nur noch schwer zu erreichen, zu sehr haben sie sich abkapselt in geschlossenen Diskussionszirkeln, die alles, was von außen kommt, als Mainstream verteufeln. Doch nur in Dresden ist diese Mixtur aus Angst, Zorn und Vorurteil bisher aus dem virtuellen Raum auf die Straße geschwappt. Das mag damit zu tun haben, dass in Sachsen rechtsextreme Positionen auch bei Wahlen deutlich mehr Stimmen bekommen als anderswo. Vielleicht auch damit, dass die Pegida-Leute selbst nicht aus den Reihen der üblichen rechtsextremen Verdächtigen kommen - auch wenn sie sich Rechtsextremen offen zeigen. Aber das macht es nicht besser.

In seiner Dresdner Version zeigt Pegida nämlich, dass Islamhass und Ausländerfeindlichkeit eben keineswegs nur von den extremistischen Rändern kommen müssen. Vorurteile gegen Asylbewerber oder Muslime bestehen auch in der Mitte der Gesellschaft, nicht nur in Deutschland. Sie können geschürt und politisch ausgenutzt werden. Sie können aber auch von Gesellschaft und Politik bekämpft werden. Am einfachsten noch dann, bevor das Ressentiment seine kritische Masse erreicht.

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