Peer Steinbrück:Ganz der Alte

Prof Dr h c Peer Steinbrück Bundesminister der Finanzen a D SPD in der ARD Talkshow GÜNTHER

Seit der Wahlpleite war es ruhig um Peer Steinbrück geworden. Jetzt meldete er sich wieder zu Wort. (Archivbild)

(Foto: Imago Stock&People)

Als Kanzlerkandidat führte Peer Steinbrück einen Wahlkampf gegen die eigene Überzeugung. Jetzt meldet er sich zurück - und erteilt seiner Partei Ratschläge.

Von Nico Fried, Berlin

Der Abend, an dem Peer Steinbrück wieder Peer Steinbrück wird, fängt eigentlich ganz harmlos an. Die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl hat ihren Genossen eingeladen, über eine erste Bilanz der großen Koalition zu reden. Die Veranstaltung findet in der Moabiter Markthalle statt, der Weg in die Ecke der SPD führt vorbei an Fleisch- und Fischtheken. Wer aber plötzlich Appetit auf Politik verspürt, kann sich an diesem Freitagabend einen gescheiterten Kanzlerkandidaten ansehen.

Man erkennt ihn auch gleich wieder. Ein Tisch, eine Moderatorin, eine SPD-Kulisse und mittendrin Steinbrück. So ähnlich war es ja auch im Wahlkampf 2013, als der Kandidat Tag für Tag an einem anderen Ort im Land seinen aussichtslosen Kampf führte. Im Laufe dieses Abends allerdings merkt man, dass sich doch etwas verändert hat: Der einfache Abgeordnete Peer Steinbrück redet wieder so, wie der ehemalige einfache Abgeordnete Peer Steinbrück geredet hat, bevor er Kanzlerkandidat wurde. Zum Beispiel, als er sagt: "Diese SPD entfacht im Augenblick keinen Enthusiasmus."

Recht hat er ja, wer wollte das bestreiten? In den Umfragen kommen die Sozialdemokraten nicht vom Fleck. Bei den letzten Landtagswahlen gab es mehr Niederlagen als Siege. Die Partei wird ungeduldig und gerät ins Grübeln. Endet diese große Koalition für die SPD so wie die letzte? Keiner gibt diesem Gefühl trefflicher Ausdruck als jener Genosse, der Steinbrück auf die sich verdüsternden Wirtschaftsaussichten anspricht und fragt: "Setzt sich das jetzt in den Köpfen fest, dass es gut ist, wenn die Schwarzen regieren, und es mit den Sozis wieder schlechter wird?"

Das glaubt Steinbrück nicht. Aber das, was er in der Markthalle sonst so anzubieten hat, ist ganz gewiss auch nicht alles aus dem Sortiment, das sich die Parteispitze so vorstellt, um die eigenen Leute bei Laune zu halten. Natürlich habe die SPD in den Koalitionsverhandlungen viel erreicht, sagt Steinbrück. "Bemerkenswert viel", findet er sogar, gemessen daran, dass man nach einem, besser gesagt: nach seinem Ergebnis von 25,7 Prozent nicht mehr auf Augenhöhe mit den knapp 41 Prozent der Union gewesen sei. Ganz besonders lobt er die Außenpolitik und namentlich den Genossen Frank-Walter Steinmeier. Aber mit dem Erreichten hält er sich nur kurz auf.

Lieber redet Steinbrück über das, was ihm an dieser Koalition nicht gefällt. Das Paket zur digitalen Zukunft sei unzureichend. Nun gut, das liegt in der Verantwortung der Schwarzen. Die Energiewende brauche noch weitere Anstrengungen. Die allerdings liegt in der Verantwortung des SPD-Wirtschaftsministers. Das Rentenpaket gehe auf Kosten der jungen Generation. Spätestens da ist die Mehrheit der SPD anderer Ansicht, wobei Steinbrück diese Kritik nicht zum ersten Mal vorbringt.

Die Partei erscheint ihm zu miesepetrig

Wenn man den Ex-Kandidaten recht versteht, hat die Lage der SPD aber ohnehin mehr damit zu tun, dass die Partei sich zu viel um jene kümmere, die Hilfe brauchten, um die Beladenen und Bedürftigen, "um Minderheiten", wie er sich ausdrückt. Er verteidigt zwar sehr wohl den Mindestlohn, fragt aber zugleich, was die SPD zum Beispiel den mehr als vier Millionen Freiberuflern anzubieten habe. "Ich will auch denen die Hand reichen, die etwas unternehmen wollen", sagt Steinbrück.

SPD-Wahlplakat

"Da platzt mir der Kragen": Vergessen der Wahlkampf der schlechten Laune, den Steinbrück führte. Jetzt wirft er der SPD Miesepetrigkeit vor.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Zu miesepetrig erscheint ihm seine Partei, jedenfalls Teile davon. Zum Beispiel, wenn es um das Freihandelsabkommen TTIP geht. Statt die Chancen zu sehen, werde erst gefragt, wo die Gefahren lägen. Nach der Finanzkrise sei man doch einig gewesen, dass es neuer Regeln bedürfe. Genau die könne so ein Abkommen bieten. Stattdessen werde über Chlorhühnchen gejammert, obwohl auch in Deutschland Gemüse mit Chlorwasser gereinigt werde. "Ich kann es nicht mehr hören", sagt Steinbrück, "da platzt mir der Kragen." Man müsse gestalten und nicht immer nur Bedenken vor sich hertragen.

Das ist nun deshalb besonders interessant, weil Steinbrück sich damit auch von Steinbrück verabschiedet. Denn es war eines der Markenzeichen seines Wahlkampfes 2013, schlechte Laune herbeizureden. In einer objektiv guten Lage des Landes sprach er vor allem über die Missstände, über das, was aus dem Lot geraten sei, über die Millionen in prekärer Beschäftigung, kurz, über das, was er heute Minderheiten nennt. Das ist natürlich auch die Aufgabe eines Oppositionellen, zumal eines sozialdemokratischen. Aber was Steinbrück heute moniert, die fehlende positive Ausstrahlung, den mangelnden Optimismus, das Verliebtsein ins Gelingen, wie er das immer nennt, das war genau das, was ihm 2013 selbst am meisten fehlte - politisch wie persönlich.

Damals war es ein Wahlkampf wider manche Überzeugung. Die Partei, vorneweg der Vorsitzende Sigmar Gabriel, wollte einen linken Wahlkampf. Sie bekamen ihn, weil Steinbrück nach den Vorwürfen wegen seiner Honorare zu schwach war, um der Steinbrück zu sein, der Angela Merkel hätte gefährlich werden können. Angeschlagen wie er war, musste sich Steinbrück fügen, weil er plötzlich die Partei brauchte und nicht umgekehrt.

Die Abschaffung der kalten Progression? Ein Affentheater

Zurück in der Markthalle: Anders als er es mit Steinmeier macht, überschüttet Steinbrück den SPD-Chef nicht mit Lob. Er nennt kaum seinen Namen. Stattdessen hält er an manchem fest, was im Wahlprogramm der SPD stand, wovon sich Sigmar Gabriel inzwischen verabschiedet hat. Die Abschaffung der kalten Progression, die sich Gabriel mittlerweile mehr auf die Fahnen geschrieben hat als die Union, sei "ein Affentheater", sagt Steinbrück, weil es bei geringer Inflation keine kalte Progression gebe. Stattdessen sei er weiter dafür, den Spitzensteuersatz zu erhöhen und dafür die Steuerkurve für die geringeren Einkommen abzuflachen. Auch das ist so nicht mehr Gabriels Linie.

Schwer zu sagen, ob Steinbrück an diesem Abend in der Moabiter Markthalle eine Rechnung begleicht, die er noch offen zu haben glaubt. Wahrscheinlicher ist, dass man Steinbrück dabei beobachten kann, wie er zu sich selbst zurückkehrt. 2013 hat er gezeigt, dass er es nicht besser kann. Nun verlegt er sich wieder darauf, dass er es besser weiß.

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