Spanien:Regieren im Dampfkessel

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Elf Parteien sind im spanischen Parlament vertreten. Mehrheiten zusammenzubringen, heißt bei jedem Vorhaben Regierungsarbeit für Fortgeschrittene: Premier Pedro Sánchez. (Foto: OSCAR DEL POZO/AFP)

Korruptionsvorwürfe, Gerichtsverfahren, politischer Verrat: Europas derzeit einzige links-sozialistische Regierung arbeitet unter höllischen Bedingungen. Doch Spaniens Premier Pedro Sánchez will bis 2027 weitermachen. Mindestens.

Von Patrick Illinger, Madrid

Was für eine Woche. In den Tagen vor Weihnachten bekam Spaniens Premier Pedro Sánchez noch einmal geballt zu spüren, was ihn seit seiner Wiederwahl vor gut einem Jahr schon plagte. Einer seiner früheren Minister wurde wegen eines Korruptionsskandals vom obersten Gerichtshof befragt. Die Ehefrau von Sánchez, der in anderem Zusammenhang Vorteilsnahme vorgeworfen wird, musste sich ebenfalls vor Gericht rechtfertigen. Zwei der eigentlich Sánchez unterstützenden Parteien im Parlament paktierten schamlos mit der Opposition, um ein geplantes Steuergesetz zu verhindern. Und der Anführer der konservativen Partei Partido Popular forderte zum gefühlt einhundertsten Mal in diesem Jahr den Rücktritt des Regierungschefs. Des derzeit einzigen links-sozialistischen Regierungschefs in Europa.

Sieht man von Staaten ab, in denen Sozialdemokraten mit liberalen oder konservativen Kräften koalieren, so ist Spaniens Premier Pedro Sánchez derzeit der einzige EU-Regierungschef, der noch eine „progressive“ Regierung anführt, wie er es nennt, ein ausnahmslos links-sozialistisches Kabinett.

Der Preis dafür ist enorm. Das Regieren ist für Sánchez und seine 22 Ministerinnen und Minister ein täglicher Hindernislauf und Boxkampf zugleich. Im vergangenen Sommer hatte es kurzzeitig ausgesehen, als hätte der 52-Jährige die Nase voll und würde zurücktreten. Doch nach einer kurzen Bedenkzeit meldete er sich zurück, kämpferischer denn je. Bis 2027, dem turnusgemäßen Ende der Legislaturperiode, werde er auf jeden Fall weitermachen, erklärte Pedro Sánchez vor einigen Tagen bei einem informellen Treffen mit Auslandskorrespondenten. Ob er auch für die Zeit danach noch Energie verspüre? Auf jeden Fall, ließ er mit dem ihm eigenen Lächeln wissen.

Immerhin 21 Gesetze sind beschlossen. Der Haushalt allerdings nicht

Oft wirkt es, als gehöre Sánchez zu jenen Menschen, die aus Problemen und Konflikten geradezu Kraft schöpfen. Probleme und Konflikte, die weit übertreffen, was Olaf Scholz mit seiner Ampelkoalition erleben musste. Christian Lindners Attacken sind eine Petitesse gegen den Schwall an Anwürfen, juristischen Ermittlungen und politischen Tiefschlägen, den Sánchez täglich zu bewältigen hat.

Fast vier Monate hatte es nach den Parlamentswahlen im Sommer 2023 gedauert, bis Sánchez die für seine Ernennung nötigen Stimmen im Parlament zusammenbekam. Sieben der elf im Madrider Kongress vertretenen Parteien mussten zustimmen. Und all diese Parteien, sechs von ihnen mit je kaum einer Handvoll Abgeordneten, muss der Premier nun für jedes Gesetzesvorhaben auf seine Seite bringen. Regieren für Fortgeschrittene.

Immerhin 21 Gesetze habe man in dieser, gut ein Jahr währenden Legislatur beschlossen, betonte Sánchez beim Treffen mit den Journalisten. Auch möchte er mit einer staatlichen Wohnungsbaugesellschaft der Wohnungsnot im Land abhelfen. Tatsächlich sind aber auch wichtige Vorhaben gescheitert, darunter die Nagelprobe jedes Parlaments: die Verabschiedung eines Staatshaushalts.

Momentan sieht es so aus, als würde das auch 2025 nicht gelingen. Als Meisterin des parlamentarischen Querulantentums erweist sich immer wieder die Partei von Carles Puigdemont, dem ehemaligen Präsidenten Kataloniens. Sollte Sánchez geglaubt haben, den vom belgischen Exil aus agierenden Anführer der Separatistenpartei Junts mit dem Amnestiegesetz vom Anfang dieses Jahres besänftigt zu haben, so hatte er sich schwer getäuscht. Junts sei nicht dazu da, „einer spanischen Regierung Stabilität zu verleihen“, sagte die Vorsitzende der Junts-Fraktion im Kongress kürzlich, und verlangte von Sánchez wörtlich, seinen „Arsch zu bewegen“.

Seine Partei Junts erweist sich als Meisterin des Querulantentums im Parlament: der katalanische Separatistenführer Carles Puigdemont. Er agiert vom Brüsseler Exil aus. (Foto: JOHN THYS/AFP)

Puigdemont forderte Sánchez sogar auf, die Vertrauensfrage zu stellen. Was sich der Katalane davon erhofft, ist allerdings unklar. Sollte bei Neuwahlen eine Koalition des konservativen Partido Popular mit den Rechtspopulisten der Partei Vox an die Macht kommen, wäre es das Ende der Zugeständnisse an den katalanischen Separatismus. Doch womöglich versucht Puigdemont mit seiner Blockadehaltung vor allem Krach zu schlagen, um die separatistischen Emotionen in seiner Heimat Katalonien neu zu entfachen. Zuletzt hatten die nationalistischen Kräfte dort deutlich an Zustimmung verloren.

Die weitere im Kongress vertretene Katalanenpartei, die linksgerichtete ERC, hat nach heftigen Flügelkämpfen mit knapper Mehrheit einen neuen Vorsitzenden gewählt: Oriol Junqueras, den ehemaligen Vize-Regierungschef Kataloniens, der aufgrund seiner Beteiligung an den Abspaltungsversuchen im Herbst 2017 im Gefängnis saß. Dass die ERC unter Junqueras Führung auf Kuschelkurs zu Sánchez geht, ist nicht zu erwarten.

Auch die Frau und der Bruder des Regierungschefs werden angegriffen

Neben all den parlamentarischen Querelen muss Spaniens Premier eine ganze Reihe teils unzusammenhängender Korruptionsvorwürfe und Gerichtsverfahren abwettern. Sogar gegen seine Ehefrau Begoña Gómez ermittelt ein Madrider Richter. Um ein Masterprogramm an der Universität von Madrid zu starten, soll Gómez ihre Stellung als First Lady ausgenutzt haben. In der Tat wirkt es befremdlich, dass der Präsident einer renommierten Madrider Universität im Regierungskomplex seine Aufwartung machte, um dort mit Sánchez’ Ehefrau deren akademische Pläne zu besprechen. Andererseits ist nicht alles, was anrüchig wirkt, auch illegal. Bislang jedenfalls ist nichts Justiziables aufgetaucht.

Sánchez Bruder David muss sich gegen den Vorwurf verteidigen, sich in der Stadt Badajoz einen Posten erschlichen zu haben. Eine rechte Lobbygruppe bezichtigte ihn zudem, über ein ungeklärtes Vermögen von 1,4 Millionen Euro zu verfügen – was sich als glatte Lüge erwies. Die Bank BBVA bestätigte dem Ermittlungsgericht, dass der Bruder des Premiers Sánchez über gut 70 000 Euro verfüge. Aufgrund der Anzeige der Lobbygruppe müssen dennoch in den kommenden Wochen mehrere Beschuldigte aus dem Umfeld von David Sánchez vor Gericht aussagen.

Ein für Sánchez durchaus heikler Korruptionsskandal rankt sich indes um einen seiner ehemaligen Minister und Vertrauten. José Luis Ábalos, der von 2018 bis 2021 für Verkehr und Beschaffung zuständig sowie Parteivize der Sozialisten war, hatte beim Ausbruch der Coronakrise 2020 den Ankauf von Gesichtsmasken im Wert von mehr als 50 Millionen Euro gebilligt. Ein Deal, mit dem sich mindestens Ábalos engster Mitarbeiter bereicherte.

Mit der Unschuldsvermutung ist es in Spaniens politischen Kreisen nicht weit her

Dieser, Koldo García, ist eine zwielichtige Figur, der sich vom Leibwächter und Chauffeur zum persönlichen Referenten des Ministers hochgearbeitet hatte. Er fädelte den Maskeneinkauf mit einem Unternehmer namens Victor de Aldama ein. Beide zweigten Millionenbeträge als illegale Kommissionen ab.

Dass der Minister, der zu Amtszeiten Tür an Tür mit Koldo García gearbeitet hatte, nichts von dem Schmuddeldeal mitbekommen haben soll, wird vielerseits bezweifelt. Es existiert ein belastendes Foto, das den damaligen Minister mit Victor de Aldama am Verhandlungstisch in der Parteizentrale der Sozialisten zeigt.

Aldama hat in den vergangenen Tagen vor Gericht Ábalos ebenso wie weitere, teils noch aktive Mitglieder des Kabinetts Sánchez belastet, ebenso wie die Partei der Sozialisten. Doch die Beweise sind bislang spärlich und Aldama, gegen den auch in anderen Betrugsfällen ermittelt wird, ist alles andere als eine glaubwürdige Person.

Konservative Politiker und Medien sehen unterdessen Aldamas unbewiesene Vorwürfe sowie den Rauswurf des ehemaligen Transportministers aus der Sozialisten-Fraktion im Parlament als Beweis für die Verderbtheit der Regierung Sánchez an. Mit der Unschuldsvermutung ist es in politischen Kreisen Spaniens nicht weit her. Aus den täglichen Verlautbarungen des Partido Popular spricht vor allem Wut und Ablehnung gegenüber der Regierung Sánchez. Von konstruktiver Opposition ist in Spanien nicht viel zu spüren.

Der Korruptionsfall sei bedauerlich, bekannte Sánchez beim Treffen mit den Auslandskorrespondenten, aber so etwas komme auch in anderen EU-Staaten vor. Man habe umgehend reagiert und Ex-Minister Ábalos aus der Fraktion entfernt. Er sehe die Sache entspannt, „wir sind eine saubere Regierung“, betonte der Premier und wünschte einen guten Start ins neue Jahr. Das Jahr, in dem dann sicherlich ein Staatshaushalt verabschiedet werde.

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