Süddeutsche Zeitung

Paulskirche:Schön schlicht

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Ein Denkmal der Demokratie und ein Symbol für den Neuanfang nach der Nazizeit: die Frankfurter Paulskirche. Nun muss sie saniert werden. Die Geister scheiden sich an der Frage, wie viel Glanz dabei erlaubt ist.

Von Susanne Höll, Frankfurt

Zumindest in diesen Tagen ist die Frankfurter Paulskirche sehr gut besucht. Am vergangenen Wochenende besetzten kapitalismuskritische Attac-Anhänger das Symbol der frühen deutschen Demokratiebewegung für eine Nacht. Alles verlief friedlich, die Okkupanten übergaben die Räume beim Abzug besenrein. Anschließend trafen sich Städtebauexperten zu einem großen Kongress. Die Zukunft der Paulskirche war dort kein Thema. Schade eigentlich. Denn sie muss dringend renoviert werden - und dieses Vorhaben löst am Main kontroverse Diskussionen aus.

Jahrelang hat die Stadt das Gebäude, zwischen 1848 und 1849 Sitz der ersten deutschen Nationalversammlung, vernachlässigt, auch aus finanziellen Nöten. Das Dach muss repariert und der Brandschutz dringend verbessert werden. Die Tontechnik ist veraltet, von der inzwischen ziemlich verstaubten Dokumentation über die Geschichte des Sandsteingebäudes nicht zu reden. Wer als Tourist oder Spurensucher das ehemalige evangelische Gotteshaus betritt, findet hier lediglich nicht sonderlich packende Informationen über die wechselvolle Vergangenheit der Paulskirche.

In Frankfurt gibt es eine gewisse Sehnsucht nach Kontrapunkten zu Hochhäusern

Die Schäden des Gebäudes sollen nun gerichtet werden, die Stadtverantwortlichen haben bereits erste Gutachten in Auftrag gegeben. 2023, wenn sich die Revolution von 1848 zum 175. Mal jährt, soll der Bau erstrahlen. Nun wird in Frankfurt darüber diskutiert, wie viel Glanz und wie viel Historie die Paulskirche verdient, die im Zweiten Weltkrieg zerstört und in deutlich schlichterer Form neu aufgebaut wurde. Leute mit Geschichts- und Architekturfaible machen sich seit geraumer Zeit dafür stark, die Paulskirche in der ursprünglichen Vorkriegsform zu rekonstruieren, mitsamt Empore und vielleicht auch einem neuen alten Dach.

Rekonstruktionen haben, wie anderswo in der Republik, auch in Frankfurt Konjunktur. Gerade erst wurde die bundesweit viel und kontrovers diskutierte neue Altstadt eröffnet, die Sehnsucht etlicher Einwohner nach Kontrapunkten zu Nachkriegsbauten und Hochhäusern ist groß. In Berlin wächst das Stadtschloss, in Potsdam wird gerade die Garnisonkirche wieder aufgebaut. Überall gibt es Sehnsucht nach alter Pracht.

Am Main ist der Verein Pro Altstadt dafür, der Paulskirche ihre einstige Form zurückzugeben. Die Vorsitzende Cornelia Bensinger, die sich vehement und schließlich erfolgreich für die neue Altstadt zwischen Dom und Römer eingesetzt hat, verspricht sich davon mehr Interesse an dem Gebäude. Das ist, von großen Veranstaltungen wie etwa der jährlichen Friedenspreisverleihung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels abgesehen, ziemlich leer. Die Touristen machen zwar Fotos, bleiben aber meistens vor der Tür. Bensinger, eine gebürtige Frankfurterin, wünscht sich einen historischen Aufbau, damit die Menschen heutzutage einen nachhaltigen Eindruck von den spannenden Zeiten der Nationalversammlung bekommen können.

Auch der Frankfurter Freidemokrat Georg Wässa findet, es müsse bei der Sanierung mehr getan werden als nur Schadensbeseitigung. Er hat einen Verein namens Demokratiedenkmal Paulskirche gegründet und plädiert für den Einbau der alten Empore, auf der Zuschauer 1848 die Beratungen der Abgeordneten verfolgten. "Der Innenraum mit den hohen Fenstern sagt, ich möchte eine Empore", meint Wässa. Eine komplette Rekonstruktion inklusive Dachaufbau aber will er nicht. Es gehe ihm nicht um ein "Disneyland".

In der Stadtpolitik stoßen solche Rufe bislang auf taube Ohren. Zwar gibt es in fast allen Parteien einzelne Mitglieder, die das Begehren unterstützen. Im Magistrat und der Stadtverordnetenversammlung lehnt man eine Rekonstruktion ab. Die ansonsten konfliktfreudige Römer-Koalition aus CDU, SPD und Grünen ist sich in diesem Punkt sehr einig.

Der ambitionierte Baustadtrat Jan Schneider, ein Christdemokrat, hat, wie er sagt, lange über die Frage Paulskirche nachgedacht. Und kam zu dem Schluss, dass Mängel repariert, das Gebäude aber seinen nüchternen Nachkriegsstil behalten solle. Diese Form erinnere an die demokratischen Hoffnungen der Nachkriegszeit, sagt er. Und er führt zudem ganz praktische Bedenken an. Eine Empore könne man zwar bauen, aus Brandschutzgründen würden Besucher sie aber nicht erklimmen können. "Warum soll man etwas konstruieren, das man hinterher nicht benutzen kann?", fragt Schneider. Das Geld wäre doch besser in einer neuen, multimedialen Dokumentationsstelle angelegt, die unweit der Kirche ihren Platz finden könnte.

Ein Gutachten unterstützt die Gegner einer originalgetreuen Sanierung

Ach, das leidige Geld. Frankfurt gilt gemeinhin als reiche Stadt, ist es aber nicht. Man hat Schulden, der Haushalt ist immer noch nicht ausgeglichen. Die Stadt muss sparen, hat aber noch große Aufgaben vor sich. Die Chefin der SPD-Fraktion im Römer, Ursula Busch, sagt, bei dieser Diskussion gehe es um grundsätzliche Dinge, ein bisschen aber auch um Finanzierungsfragen. Schließlich stehe auch die kostspielige Sanierung der Städtischen Bühnen an. Aber in ihrer Partei sei man, mit Ausnahme von Einzelmeinungen, der Ansicht, die Nachkriegsarchitektur gehöre bewahrt. So sehen es auch die Grünen. Deren Fraktionsvorsitzender Manuel Stock ist überzeugt, dass die Anmutung der heutigen Paulskirche eine schützenswerte Symbolik ist. "Hier steht Form für Inhalt. Es ist ein Zeichen für den Glauben an eine bessere Zukunft nach dem Schrecken der NS-Zeit", lautet sein Credo.

Die Rekonstruktionsskeptiker haben gute Aussichten, sich durchzusetzen. Denn inzwischen sind erste Ergebnisse der Gutachten eingetroffen. Hätte das gesamte Obergeschoss grundlegend renoviert werden müssen, hätten die Stadtpolitiker mit ihren Plänen für eine restriktive Sanierung einen schweren Stand gehabt. Wenn ohnehin groß repariert werden müsste, könnte man sich auch dem Wunsch nach historischen Dächern und Emporen kaum verschließen. Aber die Sachlage ist wohl anders. Stadtbaurat Schneider sagt, der Sanierungsbedarf sei offenbar geringer als zunächst befürchtet. Das gesamte Dach müsse wahrscheinlich nicht grunderneuert werden.

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Quelle:
SZ vom 22.09.2018
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