Buch über das Jahr 1925 in der Weimarer RepublikDer Monarchist mit der Zeitbombe

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Rechtsruck 1925: Die Wahl Paul von Hindenburgs (Mitte) zum Reichspräsidenten war eine Zäsur. Rechts Reichskanzler Hans Luther.
Rechtsruck 1925: Die Wahl Paul von Hindenburgs (Mitte) zum Reichspräsidenten war eine Zäsur. Rechts Reichskanzler Hans Luther. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Im April 1925 wurde Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten gewählt, mit dessen Hilfe Rechtsextremisten die Demokratie abschaffen wollten. Für den Historiker Wolfgang Niess ein „Schicksalsjahr“.

Rezension von Cord Aschenbrenner

Im Salonwagen, angehängt an einen regulären Zug, ging es in die Reichshauptstadt. „Überall auf der langen Strecke ein etwa 20 Glieder tiefes Spalier mit großen und kleinen schwarz-weiß-roten Flaggen, alle Häuser in Fahnenschmuck, (…) die Fenster und Dächer besetzt, über den Dächern 8 Flieger, dazu fortgesetztes Hurrarufen.“ So schilderte ein Mitreisender die triumphale Fahrt Paul von Hindenburgs am 11. Mai 1925 von dessen Wohnort Hannover nach Berlin, wo am nächsten Tag die Vereidigung des am 26. April zum Reichspräsidenten Gewählten stattfinden sollte. Millionen Deutsche waren völlig aus dem Häuschen, weil es ihnen gelungen war, ihren Helden, einen so frommen wie phlegmatischen 77-jährigen Feldmarschall a.D. ins höchste Staatsamt des Deutschen Reichs zu befördern.

Der alte Herr aus preußischem Uradel hatte ungeachtet der deutschen Niederlage im Jahr 1918, die er als Chef der obersten Heeresleitung militärisch zu verantworten, von der er sich aber durch die Übernahme der kursierenden „Dolchstoßlegende“ geschickt distanziert hatte, einen gewaltigen Ruf. Der „Sieger von Tannenberg“, einer Schlacht in Ostpreußen gegen eine russische Armee im August 1914, war ein lebender Mythos, dessen Anhänger nichts dabei fanden, einem unverbesserlichen Monarchisten zuzujubeln, der die Demokratie verachtete. Hindenburg war eine tief in der wilhelminischen Vergangenheit Deutschlands verwurzelte Gestalt.

Vordergründig schien sich die Republik gefangen zu haben

Andererseits war das Jahr 1925, vordergründig betrachtet, ein halbwegs gelungenes Jahr für die Weimarer Republik. Die Zeit der bürgerkriegsartigen Unruhen und der politischen Morde, der Umsturz- und Putschversuche, der Hyperinflation war vorbei, das demokratisch ungeübte Deutschland schien allmählich zu sich selbst zu finden. Innenpolitisch stabilisierte sich die junge Republik, außenpolitisch hatte sich unter Außenminister Gustav Stresemann eine Verständigung mit Frankreich angebahnt. Die Annäherung an das Nachbarland wurde im Oktober 1925 im Rahmen der Verträge von Locarno besiegelt. Im Jahr darauf trat Deutschland dem Völkerbund bei.

Das, was man später die „Goldenen Zwanziger“ nennen sollte – es begann erst jetzt. Für ein paar kurze, prägende Jahre gab es einen Aufbruch von Kultur, Literatur, Architektur, Mode, die „Neue Sachlichkeit“ brach sich Bahn, ebenso Jazz und Charleston, die Hauptstadt Berlin erlebte eine kulturelle Blüte. Plötzlich schien das Land in der Nachkriegszeit angekommen zu sein. Warum also das dräuende Wort „Schicksalsjahr“ im Titel des Buchs von Wolfgang Niess? Der Journalist, Historiker und Verfasser profunder, elegant verfasster Bücher zur Geschichte der Weimarer Republik schreibt gleich eingangs, für 1925 träfe in vielerlei Hinsicht dieses Prädikat nicht zu.

Der greise General: Paul von Hindenburg im Garten des Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße. Das Bild entstand nach seiner Wahl 1925.
Der greise General: Paul von Hindenburg im Garten des Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße. Das Bild entstand nach seiner Wahl 1925. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Es gab jedoch Kreise in der Weimarer Republik, die für dieses Jahr den Beginn eines politischen turnaround planten. Die Republikfeinde auf der Rechten, die sich mit der parlamentarischen Demokratie nicht abfinden wollten, suchten für die anstehende Reichspräsidentenwahl einen Kandidaten, der alles wenden sollte. Diesen Mann allerdings, eine Art „zweiten Bismarck“, wie Niess schreibt, hatten sie beim überraschenden Tod des bisherigen Amtsinhabers Friedrich Ebert am 28. Februar 1925 noch nicht gefunden. Die völkische und nationalistische Rechte hatte den Sozialdemokraten Ebert über Jahre gehässig als Vaterlandsverräter verfolgt und verleumdet und so wohl zu seinem frühen Tod im Alter von 54 Jahren beigetragen.

Ein Ständestaat mit einer Art Ersatzkaiser war geplant

Der beliebte, volkstümliche Ebert war im Februar 1919 von der verfassunggebenden Weimarer Nationalversammlung, dem ersten Parlament der jungen Republik, zum Reichspräsidenten gewählt worden. Im Frühjahr 1925 sollte nun erstmals eine Wahl des mit großen verfassungsrechtlichen Befugnissen ausgestatteten Staatsoberhaupts durch das Volk stattfinden. Auf diese Befugnisse setzte die Rechte, um mit dem geeigneten Mann an der Spitze „die parlamentarische Demokratie und den mit ihr verbundenen Parteienstaat aus den Angeln zu heben“, wie Niess es formuliert. Stattdessen sollte eine Art Ständestaat mit dem Reichspräsidenten als Ersatzkaiser an der Spitze entstehen. So schwebte es Friedrich von Loebell vor, einstiger preußischer Staatsrat, Präsident des aggressiv antisozialdemokratischen Reichsbürgerrats und Organisator des bürgerlich-rechten Wahlbündnisses „Reichsblock“, der sich schließlich auf den gemäßigt rechten früheren Reichsinnenminister Karl Jarres von der Stresemann-Partei DVP einigte.

Nach dem Parteiverbot 1923 nach seinem Putsch gründete Adolf Hitler die NSDAP 1925 neu und stellte sich das Mitgliedsbuch mit der Nummer eins aus.
Nach dem Parteiverbot 1923 nach seinem Putsch gründete Adolf Hitler die NSDAP 1925 neu und stellte sich das Mitgliedsbuch mit der Nummer eins aus. (Foto: Scherl/SZ Photo)

Allerdings kam dieser keinesfalls dem, wie Niess spottet, „schwindelerregenden Anforderungsprofil“ nahe, das Loebell und seine Gesinnungsgenossen für den Anführer ihres Putsches von oben für angemessen hielten. So konnten weder Jarres noch der SPD-Kandidat Otto Braun, auch nicht der Kommunist Ernst Thälmann oder der Vorsitzende der katholischen Zentrumspartei und frühere Reichskanzler Wilhelm Marx, ebenso wenig wie Willy Hellpach, der Kandidat der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) im ersten Wahlgang am 29. März 1925 die absolute Mehrheit der Stimmen erringen.

Opportunistischer Nutznießer seines eigenen Mythos

Im zweiten Wahlgang genügte die einfache Mehrheit, alle konnten wieder antreten. Im Reichsblock war es letztlich die reaktionäre Deutschnationale Volkspartei (DNVP), die nach längerem Gezerre und zum Entsetzen aller Demokraten dafür sorgte, dass diesmal der alternde, aber populäre Held Paul von Hindenburg nominiert wurde. Niess nennt dies eine „Verzweiflungstat“, denn „Hindenburg war nicht der kraftvoll zupackende, umfassend kompetente und visionäre Führer“, den Loebell und die Seinen herbeisehnten. Er war vielmehr, wie Niess präzise darlegt, nur der opportunistische Nutznießer eines Mythos, der völlig ohne sein Zutun entstanden war.

Hindenburg wäre ein unbekannter preußischer General geblieben, hätte er nicht immer wieder von Geschick, Können und Klugheit anderer, seiner „Gehilfen“, wie er sie unübertrefflich patriarchalisch nannte, profitieren können. Der entscheidend karrierefördernde Gehilfe war Generalmajor Erich Ludendorff, der die Schlacht bei Tannenberg geplant und gewonnen hatte, während sein Vorgesetzter fernab vom Geschehen beschauliche Tage im Grünen verlebte. Den Feldherrenruhm aber erntete Hindenburg – ein Mann von ausgeprägter Passivität -, der nichts dabei fand, sich über die Jahre immer wieder neue Lorbeerkränze winden zu lassen, die er schließlich ins Amt mitnahm.

Am Ende ließ Hindenburg Hitler freie Hand

Als Reichspräsident agierte Hindenburg in den ersten Jahren entgegen aller Befürchtungen erst einmal unauffällig. Unverändert blieben seine Verachtung des Parlamentarismus und sein Bestreben, die Republik nach rechts zu drängen, was ihm seit Beginn der 1930er-Jahre in der zunehmend krisenhaften innenpolitischen Entwicklung mit der Etablierung von Präsidialkabinetten auch gelang.

Wolfgang Niess: Schicksalsjahr 1925. Als Hindenburg Präsident wurde. Verlag C.H. Beck, München 2025, 304 Seiten, 28 Euro. E-Book: 21,99 Euro.
Wolfgang Niess: Schicksalsjahr 1925. Als Hindenburg Präsident wurde. Verlag C.H. Beck, München 2025, 304 Seiten, 28 Euro. E-Book: 21,99 Euro. (Foto: C. H. Beck)

Wolfgang Niess‘ Urteil über den „altmodischen General“ (Theodor Eschenburg) beschönigt nichts: „Hindenburg hatte als Reichspräsident maßgeblichen Anteil an der Errichtung der NS-Diktatur.“ Er ernannte seinen „lieben Kanzler“ Hitler nicht nur, er legitimierte ihn auch, etwa am „Tag von Potsdam“. Er ließ Hitler bei der Errichtung der Diktatur freie Hand, dem Terror der Nazis gegen politische Gegner und die Juden stellte er sich nicht entgegen – all dies war in seinem Sinne. Wie schon andere verwirft Niess das Jahrzehnte gepflegte Bild des eigentlich wohlmeinenden, aber senilen Alten an der Staatsspitze, dessen Hilflosigkeit Hitler und andere geschickt auszunutzen wussten. Vielmehr sei Hindenburg eine „Zeitbombe“ gewesen, gelegt eben im Schicksalsjahr 1925, die acht Jahre später die deutsche Demokratie zerstörte.

Nach wie vor gibt es im Westen Deutschlands zahlreiche Hindenburgstraßen. Wolfgang Niess stellt am Ende seines wiederum sehr gut geschriebenen, die Geschichte erhellenden Buchs die Frage: Soll das so bleiben?

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