Paul Kirchhof: Konzept für Steuer-Revolution:Die Freunde und Feinde des Bierdeckels

Alle reden von Paul Kirchhof: Politiker der Regierungsparteien begrüßen das Konzept des Wissenschaftlers für ein radikal vereinfachtes System. Die SPD dagegen sieht Geringverdiener als Verlierer und widerspricht: "Die von Kirchhof behauptete Steuergerechtigkeit ist eine Chimäre."

Die Vorschläge des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof für eine radikale Steuerreform sind bei Politikern der Regierungsparteien auf Zustimmung gestoßen. "Es spricht überhaupt nichts dagegen, dieses Modell aufzugreifen", sagte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) der Mitteldeutschen Zeitung. Kirchhofs Konzept führe zu einer "konsequenten und radikalen Vereinfachung" des Steuerrechts. Es sei wichtiger, das System zu entschlacken als einfach nur die Steuern zu senken.

Ähnlich äußerte sich Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU). Ihm sei allerdings wichtig, dass Steuervereinfachungen nicht zu Mindereinnahmen für die Staatskasse führten, sagte er. Schließlich sanierten die Länder gerade unter großen Anstrengungen ihre Haushalte.

Auch der Vorsitzende des Bundestagsfinanzausschusses, Volker Wissing, zeigte Sympathie für Kirchhofs Konzept. "Das Interesse an den Vorschlägen von Herrn Kirchhof zeigt, dass das Thema Steuervereinfachung nach wie vor für die Menschen ein ganz wichtiges Thema ist", sagte er. Seine Partei, die FDP, sei bereit, an der Umsetzung einer Reform im Sinne Kirchhofs konstruktiv mitzuwirken.

Mit Blick auf die ohnehin laufende Debatte über Steuersenkungen noch in dieser Legislaturperiode übte Wissing zugleich Kritik an der Union: "Ich finde es bemerkenswert, dass die CDU-Ministerpräsidenten, die eine klare Absage an Steuervereinfachung gegenüber der FDP geäußert haben, jetzt plötzlich für Steuervereinfachungen im Sinne von Herrn Kirchhof eintreten", erklärte er.

Kirchhofs Konzept geht über die Steuerdiskussion, die derzeit innerhalb der schwarz-gelben Koalition läuft, weit hinaus. Der 68-jährige Wissenschaftler will alle 32 bundesweit erhobenen Steuern zu nur noch vier Abgaben zusammenfassen: einer Einkommen-, einer Umsatz-, einer Erbschaft- und einer Verbrauchsteuer. Von den mehr als 33.000 Steuerparagraphen, die es heute gibt, sollen am Ende nur 146 übrig bleiben.

Dazu will Kirchhof beinahe alle Ausnahmeregelungen im Steuerrecht streichen und im Gegenzug niedrige Einheitssteuersätze von 25 Prozent (Einkommensteuer), 19 Prozent (Umsatzsteuer) und zehn Prozent (Erbschaftsteuer) einführen. Eine abgespeckte Version seines Modells hatte er bereits im Bundestagswahlkampf 2005 vertreten, als er dem Kompetenzteam der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel angehörte. Dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder war es jedoch gelungen, das Modell als unsozial und den Autor als abgehobenen "Professor aus Heidelberg" zu diskreditieren.

Kirchhof warb am Dienstag erneut für seine Vorschläge. "Wir bieten der Politik den großen Wurf an", sagte er im Bayerischen Rundfunk. Mit seinem Konzept werde jedem Bürger klar, "warum er so viel und der andere vielleicht so wenig Steuern zahlen muss". Die Menschen würden sich mit dem "Klein-Klein" der Parteien nicht mehr begnügen und verlangten nach langfristigen und nachhaltigen Reformen. Kirchhof zeigte sich überzeugt, dass sein Modell gute Realisierungschancen habe. "Ich bin jetzt optimistisch", sagte er im Deutschlandfunk. Es müsse zunächst gelingen, die Bürger und die Medien von den Vorteilen der Idee zu überzeugen. Dann werde auch die Politik "auf dieses Pferd setzen".

"Die Gesamtlast wird gerechter verteilt"

Kirchhof betonte, dass sein Modell für Bund, Länder und Gemeinden aufkommensneutral sei. "Der Staat soll vor und nach der Reform die gleiche Summe bekommen - aber die Gesamtlast wird gerechter auf viele Schultern verteilt", erklärte er.

Genau dies bezweifelte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Joachim Poß. Es sei fraglich, ob das Modell nicht zu milliardenschweren Einnahmeausfällen führen werde, sagte er. Außerdem werde es "gerade im Bereich der Kleinverdiener und mittleren Einkommen wegen des breiten Verzichts auf Steuerpauschalen und Ausnahmetatbestände richtige Verlierer" geben. "Die von Kirchhof behauptete Steuergerechtigkeit ist eine Chimäre", erklärte Poß.

Aus Koalitionskreisen verlautete unterdessen, das für Anfang Juli geplante Spitzentreffen von CDU, CSU und FDP zur Steuerpolitik solle auf den Herbst verschoben werden. Grund ist, dass die Regierungspartner selbst nicht mehr daran glauben, dass sie sich bis Ende kommender Woche auf ein Steuersenkungskonzept verständigen werden. Die Chefin der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, sagte, es sei nicht entscheidend, ob der Beschluss für eine Steuerentlastung im Juli oder im September getroffen werde.

Aus der FDP-Führung hieß es, die genaue Ausgestaltung der Steuerreform gestalte sich schwierig. Das ins Auge gefasste Arbeitstreffen der Partei- und Fraktionschefs werde erst stattfinden, wenn im Anschluss auch Ergebnisse präsentiert werden könnten. Die Koalition hatte sich in der Vergangenheit wiederholt damit blamiert, dass sie nach Spitzentreffen mangels Einigkeit eine Vertagung oder lediglich einen Minimalkonsens verkünden musste.

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