Patientenverfügungen:Zwischen Leben und Tod

Der Bundestag muss sich fragen, ob er ein Gesetz zu den Patientenverfügungen will und wie es aussehen soll.

Heidrun Graupner

"Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.'' Den 90. Psalm sollte sich das Parlament an diesem Tag vor Augen halten. Es wird Klugheit brauchen, nicht nur in der außergewöhnlichen, offenen Debatte über Leben und Tod, sondern auch in allen weiteren Entscheidungen.

Der Bundestag wird sich fragen müssen, ob er ein Gesetz zu den Patientenverfügungen will und wie es aussehen sollte. Zwei bisher unvereinbare Vorschläge liegen vor, auf beiden Seiten kommen die Autoren aus mehreren Parteien. Die Fraktionen werden akzeptieren müssen, dass es in dieser ethischen Frage keine Parteimeinung geben kann, dass nur nach dem Gewissen argumentiert und entschieden wird. Das hat auch für die bayerische Justizministerin zu gelten, die für eine liberalere Regelung plädiert als große Teile der Union.

Seit Jahren wird gefordert, den Willen von Patienten, lebensverlängernde Behandlungen zu beenden, gesetzlich zu verankern. Den Anstoß für die Gesetzesdiskussion gab vor allem eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom März 2003, die gründlich missverstanden wurde. Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten wollte sie stärken, das Gegenteil wurde herausgelesen.

Das Missverständnis aber beweist nicht, dass ein Gesetz fehlt - es fehlt das Wissen. Das Selbstbestimmungsrecht der Patienten, in jedem Stadium einer Krankheit die Behandlung abzulehnen, gilt auch, wenn sie sich nicht mehr äußern können. Der Arzt muss sich der Verfügung beugen, er darf das Beatmungsgerät abstellen, er verstößt gegen kein Gesetz, die Rechtslage ist eindeutig.

Gefährlicher Weg zur Willkür

Das könnte sich ändern, sollte sich der Entwurf durchsetzen, den der CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach federführend verfasst hat: Nur in der letzten Sterbephase soll die Patientenverfügung gelten, abgesehen von Schwerstdementen und Wachkomapatienten. Das Selbstbestimmungsrecht aber lässt sich nicht einfach streichen, es steht in der Verfassung. Konkrete Ausnahmen zu schaffen, ist gefährlich, sie führen zu Willkür.

Dieser Vorschlag wird Leiden verlängern, er wird die Vormundschaftsgerichte mit Klagen überhäufen und den Ruf nach aktiver Sterbehilfe verstärken. Die acht Millionen Patiententestamente, die Menschen geschrieben haben, weil sie nicht leiden wollen, wenn es keine Hoffnung gibt, wären wertlos. Sicher, mit diesem Entwurf wollen die Antragsteller verhindern, dass Leben voreilig aufgeben wird, zu einem Zeitpunkt, zu dem auch nur die geringste Chance auf Besserung besteht. Das werfen sie dem Autor des zweiten Entwurfs, dem SPD-Abgeordneten Joachim Stünker, vor. Dabei verteidigt er nur den Status quo, das Selbstbestimmungsrecht.

Nichts ist einfach in dieser Debatte, die vielen Urteile der Vormundschaftsgerichte und des Bundesgerichtshofs beweisen es. Jeder Kranke steht für sich allein, jede Entscheidung muss das berücksichtigen. Es sind vor allem die Juristen, die ein Gesetz fordern.

Nicht nur das Betreuungsrecht, auch das Strafgesetzbuch wollen sie ändern, und den Paragraphen 216, der Tötung auf Verlangen verbietet. Sie wollen einfügen, unter welchen Umständen Ärzte eine Behandlung abbrechen dürfen. Klarheit wird das nicht bringen, im Gegenteil, weitere Ausnahmen werden folgen. Juristen sagen, ein Gesetz sei notwendig, weil Ärzte Angst hätten, weil sie nicht Bescheid wüssten und glaubten, ein Gerät abzustellen sei aktive Sterbehilfe. Ein Gesetz also, um Ärzten Nachhilfe im geltenden Recht zu geben?

Ende der Zweifel am Krankenbett?

Ein Gesetz kann die Zweifel und Unsicherheiten an einem Krankenbett nicht beseitigen, und es wäre verhängnisvoll, wenn es das täte: Wie sähe eine Behandlung aus, wenn sich Ärzte nach Paragraphen richten und nicht nach Patienten. Ein Gesetz wird keines der Defizite aufheben, die seit Jahren bestehen und die ein Grund sind für diese Debatte über die Patientenverfügungen. Ärzte und Regierung haben sich nicht gekümmert, nicht um die weiten Lücken in der Medizinerausbildung, nicht um die Fortbildung der Ärzte oder um die Pflege und nicht genug - noch immer nicht - um die Palliativmedizin und die Hospize.

Es liegt nicht am fehlenden Gesetz, wenn ein Arzt einen Kranken nicht sterben lässt, obwohl dieser bei lebendigem Leibe verfault. Es liegt an seiner Ignoranz und seinem Nichtwissen. In vielen Pflegeheimen, auch in solchen, die eine Patientenverfügung vorschreiben, wird Menschen eine Magensonde gelegt. Die Pflege soll sie erleichtern. Die Menschen sind nicht Kandidaten für die Patientenverfügung, sie können sich nur nicht wehren. Die Politik aber steht ihnen nicht bei.

Zehn Prozent der Deutschen haben eine Patientenverfügung geschrieben, manche mit sehr vagen Angaben. Hundert Prozent werden es nie sein, manche Menschen haben Angst, sich wegen des Testaments auszuliefern, andere wollen nichts davon wissen, auch das ist ihr Recht. In diesem schwierigen Bereich werden immer Fragen bleiben, nach dem mutmaßlichen Willen, nach dem persönlichen Leben, nach Familie, Glauben und Werten. Es gebe Sachen, schrieb Immanuel Kant, die nie Fall einer Regel werden dürften. Die Entscheidung über Leben und Tod lässt sich nicht zum Fall einer Regel, nicht zum Gesetz machen. Es geht immer um ein Schicksal.

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