Patientenverfügung:Leben und sterben lassen

Das Gesetz über die Patientenverfügung ist historisch, weil es dem Kranken nach vielen Jahrhunderten der finalen Entmündigung ein Recht gibt auf den eigenen Tod.

Heribert Prantl

Nach nichts erkundige ich mich eingehender als danach, wie ein Mensch gestorben sei: mit welchem Gesicht und welcher Haltung, mit welchen letzten Worten. Es ist eine persönliche Angelegenheit, ob und was man zu Mittag isst, wie man sich anzieht und seine Freizeit gestaltet. Es ist eine hochpersönliche Angelegenheit, ob man am Sonntag in die Kirche geht oder den Tag im Bett verbringt. Und es ist eine höchstpersönliche Angelegenheit, wen man heiratet, wie man mit seinem Lebenspartner verkehrt und wem man sein Erbe vermacht.

Patientenverfügung, AP

Eine große Entscheidung des Bundestages: Nach einem Leben in Würde ist jetzt auch ein Sterben in Würde möglich.

(Foto: Foto: AP)

Das Wort "höchstpersönlich" ist das intimste juristische Wort, das es gibt; der Respekt des Rechts vor dem Willen des Menschen kommt darin am schönsten zum Ausdruck. Höchstpersönlich sind die Rechte des Menschen, die ganz eng an ihn gebunden sind. In diese höchstpersönlichen Angelegenheiten soll der Staat sich nicht einmischen; das Recht soll hier nur darauf achten, dass der Wille des Menschen auch wirklich rechtliche Geltung hat. Das nennt man Selbstbestimmungsrecht.

Der Bundestag hat soeben in einer großen Entscheidung das Selbstbestimmungsrecht des Menschen im Sterben gestärkt. Der klare Wunsch eines Menschen, in elender Lage sterben zu dürfen, wird nun als ein Höchstpersönlichkeitsrecht anerkannt - wenn dieser Wille in seiner "Patientenverfügung" zum Ausdruck kommt.

Würde im Sterben

Das Gesetz über die Patientenverfügung ist ein historisches Gesetz: erstens deshalb, weil es das Ergebnis einer Fundamentaldiskussion ist, die in Deutschland vor 31 Jahren begann, als der Jurist Wilhelm Uhlenbruck das erste deutschsprachige "Patiententestament" formulierte. Zweitens deshalb, weil dieses Gesetz dem Kranken nach vielen Jahrhunderten der finalen Entmündigung ein Recht gibt auf den eigenen Tod. Die Medizin und früher die Kirche hatten dem Kranken dieses Recht fürsorglich aus der Hand genommen.

Das Grundgesetz hat vor 60 Jahren die Würde des Menschen für unantastbar erklärt. Nun macht das neue Gesetz deutlich, dass es nicht nur eine Würde im Leben gibt, sondern auch im Sterben; sie schützt den Menschen davor, zum Objekt der Menschenwürde-Definitionen anderer zu werden. Zur Selbstbestimmung der Person gehört die Gewissheit, dass sie ihr auch in hilfloser Lage nicht genommen wird - nicht von Ärzten, nicht von Geistlichen, nicht von Angehörigen.

Autonomie und Rechtssicherheit

Das neue Recht gibt den Menschen diese Gewissheit, so gut es irgend geht. Ärzte- und Kirchenvertreter sowie die unterlegenen Verfechter anderer Gesetzentwürfe sollten deshalb aufhören, am neuen Recht zu kritikastern. Es wäre fatal, wenn man künftig zum Sterben einen Fachanwalt für Sterberecht und einen Sterberichter bräuchte. Das neue Recht stellt klar, was auf Grund von Gerichtsurteilen schon bisher galt, was aber vielen Ärzten nicht klar war: Es gibt ein Recht zum Leben, aber keine Pflicht; und schon gar nicht gibt es eine Pflicht des Schwerstkranken, noch alle möglichen Eingriffe zu erdulden.

Das Recht des Patienten, in jedem Stadium einer Krankheit eine Behandlung ablehnen zu können, gilt auch dann, wenn er sich nicht mehr äußern kann. Der Arzt muss sich also der klaren Patientenverfügung beugen; er muss auf künstliche Ernährung und Beatmung verzichten, wenn der Patient sich das vorab verbeten hat. Natürlich wird kein Arzt gezwungen, gegen sein Gewissen zu handeln.

Aber sein ärztliches Gewissen gibt ihm auch nicht das Recht, eine Behandlung durchzusetzen, die der Kranke nicht will. Im Konfliktfall muss der Arzt dafür sorgen, dass ein anderer die Behandlung übernimmt. Das bedeutet: Das neue Gesetz gibt dem Patienten Autonomie und dem Arzt Rechtssicherheit. Der Arzt muss nicht Strafe fürchten, wenn er - weil der Patient das so will - lebenserhaltende Maßnahmen unterlässt. Er muss aber Strafe fürchten, wenn er den Kranken gegen dessen Willen medizinisch traktiert.

Risiken und Nebenwirkungen

Das Recht hat nicht das Recht, den Menschen das Sterben zu erschweren. Das neue Gesetz ist daher ein gutes Gesetz. Es wird gewiss nicht alle, aber doch viele Zweifelsfälle klären, es wird Unsicherheiten mildern können. Das ist in existentieller Unklarheit nicht wenig. Ohne das neue Gesetz würde der gefährliche Ruf nach aktiver Sterbehilfe, nach straffreier Tötung auf Verlangen, noch lauter als bisher. Aber solche Sterbehilfe wäre der falsche Weg. Das neue Gesetz ist ein Wegweiser in die richtige Richtung: Er zeigt zur palliativen Medizin.

Diese breitet den Mantel (lateinisch pallium) des Beistands und der Schmerzlinderung über den todkranken Menschen. Palliativmedizin ist keine Minimaltherapie, sondern eine andere Therapie; sie hat nicht das Ziel, Leben zu verlängern, sondern Leiden zu verringern. Wer einen Angehörigen auf diese Weise hat sterben sehen, der weiß, dass Medizin den Tod leichter machen kann. Das neue Gesetz ist daher ein Gesetz für den inneren Frieden des Menschen.

Sicherlich gibt es Risiken und Nebenwirkungen der Patientenverfügung: Sie darf nicht zu ökonomischen Zwecken missbraucht, sie darf nicht zur Voraussetzung für die Aufnahme eines Menschen in ein Pflegeheim gemacht, sie darf nicht in eine Einverständniserklärung zum kassenverträglichen Frühableben uminterpretiert werden. Die Zustände in den Pflegeheimen sind leider ein Grund, warum sich die Menschen einen schnellen Tod wünschen. Nicht der pflegebedürftige Mensch, sondern dieser furchtbare Pflegemissstand muss abgestellt werden.

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