Parteitag von Bündnis 90/Die Grünen:Eine Partei auf Kurssuche

Die Grünen haben ein ziemlich erfolgreiches Wahljahr hinter sich - das macht selbstbewusst. Allerdings stellt sich die Frage nach dem künftigen Kurs. Vor dem Parteitag geht es um viele konkrete Themen, aber auch die übliche Grundsatzdebatte zwischen Linken und Realos darf nicht fehlen.

Michael Bauchmüller

Wer wissen will, was mit den Grünen los ist, der muss sich mit den Finanzen befassen. Einen eigenen Antrag haben sie für ihren Parteitag gestellt, er soll vor allem eines suggerieren: Solidität. "Während die Bundesregierung noch weltfremden Steuersenkungsphantasien nachhängt, stellen wir Grüne uns den harten finanzpolitischen Realitäten", heißt es gleich zu Anfang. Wenig später werden Subventionen gestrichen und Steuern erhöht, die Schuldenbremse wird zum Imperativ der Finanzen.

Vorbereitungen zur Bundesdelegiertenkonferenz der Gruenen

Vorbereitungen zur Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen in Kiel: Die Bundesvorsitzenden der Partei, Claudia Roth und Cem Özdemir, wollen bei dem dreitägigen Treffen über einen neuen Kurs sprechen.

(Foto: dapd)

Harte Arbeit am Programm, unbequeme Beschlüsse - so geben sich die Grünen derzeit gern. Beim Parteitag in Kiel wollen sie abermals einen Schritt in Richtung Regierungsbeteiligung im Bund machen, mit Diskussionen über Finanzen, Wirtschaft, die Zukunft Europas. Ein Jahr wie dieses macht selbstbewusst, mit deutlichen Zugewinnen in allen Landtagswahlen, mit Winfried Kretschmann als erstem grünen Ministerpräsidenten, mit Fraktionen in allen deutschen Länderparlamenten. Das schaffen neben den Grünen derzeit nur Union und SPD.

Fragt man dieser Tage im Wendland nach, wo ausgerechnet am Parteitags-Wochenende der nächste Castor-Transport erwartet wird, ist die Stimmung ganz anders. "Von den Grünen sind wir ganz schön enttäuscht", sagt dort Wolfgang Ehmke, Sprecher der ortsansässigen Anti-Atom-Bewegung. Noch vor einem Jahr ließ sich die Grünen-Spitze bei der Castor-Demo ablichten. Jetzt sitzt sie erst einmal in einem Kieler Kongresszentrum, und ihr Ministerpräsident Kretschmann hält die Castor-Proteste neuerdings für überholt, wirbt aber gleichzeitig für eine Endlagersuche unter Einbeziehung Gorlebens. "Das nehmen wir nicht hin", sagt Ehmke.

So fällt nach dem Ja zum schwarz-gelben Atomausstieg bis 2022 mit dem unbedingten Kampf gegen Gorleben noch die zweite sichere Standortbeschreibung der Grünen. Der alte Kurs allein trägt nicht mehr. Und der neue ist noch nicht klar.

Die Zeiten haben sich massiv verändert, in nur einem Jahr. "Einerseits blicken wir auf ein erfolgreiches Wahljahr zurück, andererseits sehen wir dunkle Wolken für die Konjunktur aufziehen", sagt Parteichef Cem Özdemir. Verstärkt stünden Themen im Mittelpunkt, mit denen die Grünen bislang nicht verbunden würden. "Das müssen wir ändern", fordert Özdemir. "Wir können jetzt nicht mehr segeln, wir müssen rudern."

Rudern, aber wohin genau? Eine Art subkutane Unruhe macht sich breit bei den Grünen. Sie betrifft das Programm, das einerseits möglichst breit sein soll, andererseits aber nicht beliebig. Sie tangiert die beiden Doppelspitzen von Partei und Fraktion, die zwar ihren Laden im Griff haben, aber für grüne Verhältnisse mittlerweile schon fast zu etabliert sind, sehr zum Unbehagen mancher junger Parteifreunde.

Und sie berührt latent auch das Verhältnis zur politischen Konkurrenz - wie viel Nähe zur SPD etwa verträgt das Konzept "Eigenständigkeit", das die Partei seit einigen Jahren verfolgt? Sind schwarz-grüne Koalitionen des Teufels oder nicht? Und was ist mit der Piratenpartei, die auch mit Hilfe der grünen Klientel Erfolge feiert? "Die Frage ist, wie gehen wir damit um, dass die Ablehnung des politischen Establishments abnimmt, wir aber immer mehr dazu gezählt werden", sagt der Finanzpolitiker Gerhard Schick.

Es sind Fragen, über die dieser Parteitag nicht diskutieren wird, jedenfalls nicht auf offener Bühne. Sie werden auf Umwegen ausgetragen, etwa beim Thema Finanzen. Da werden die gut 900 Delegierten unter anderem klären müssen, ob sie einen Spitzensteuersatz von 49 Prozent fordern wollen oder einen von 53 Prozent. Hinter solchen Konflikten verbergen sich bei den Grünen gerne auch Grundsatzfragen einer mal mehr, mal weniger solidarischen Gesellschaft, ausgetragen zwischen linkem Flügel und Realos. Und mit aller Leidenschaft.

Auch eine andere Front könnte mit dem Finanzantrag aufbrechen, nämlich die zwischen der Bundespartei und den nach den Wahlerfolgen erstarkten Landesverbänden. Während viele Landesverbände eine Vermögensteuer fordern, die dann auch in den Ländern bliebe, setzt der Bundesvorstand der Partei auf eine Vermögensabgabe. Die ließe sich auch ohne Beteiligung des Bundesrats einführen, sie wäre zeitlich befristet - und landete in den Kassen des künftigen Bundesfinanzministers. Noch läuft die Suche nach einem Kompromiss, noch vor der eigentlichen Debatte. So ließe sich ein offener Konflikt umschiffen. Es soll eben ein Arbeits-Parteitag werden, ohne Flügelkampf und schrille Töne.

Zumindest die Frage einer Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl 2013 scheint erledigt zu sein. Zwar sollen die Delegierten in Kiel einen eigenen Passus in die Satzung aufnehmen, nach dem "Spitzenkandidaturen der Bundespartei aus Anlass allgemeiner Wahlen" per Urwahl entschieden werden können. Doch angesichts sinkender Umfragewerte mag daran niemand ernsthaft denken.

Ein Duo aus den Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin, wie bei der Wahl 2009, scheint nach Künasts vergeblichem Anlauf auf das Berliner Rathaus ebenfalls vom Tisch zu sein. Womit in die nächste Bundestagswahl wohl am ehesten das Quartett aus den Parteichefs Özdemir und Claudia Roth und den Fraktionsspitzen Künast und Trittin ziehen wird. Fragt sich nur noch, mit welchen Zielen.

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