Parteitag:Die SPD schmeichelt den kleinen Leuten

SPD-Bundesparteitag

Parteichef mit Blumenstrauß: Sigmar Gabriel beim Bundesparteitag in Berlin.

(Foto: dpa)
  • Auf dem Parteitag der SPD in Berlin erteilt Sigmar Gabriel der CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge eine klare Absage.
  • Aber er erkennt auch an: Viele Kommunen haben sind stark belastet.
  • Hannelore Kraft fordert derweil sozialen Wohnraum für Wenigverdiener - und bedient damit die klassische Parteiklientel.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Parteitagen der SPD liegt die Gesetzmäßigkeit zugrunde, dass mit dem Vorsitzenden grundsätzlich immer zu rechnen ist. Man weiß vorher nicht genau, wann und wie, aber irgendwann ist Sigmar Gabriel dann doch für eine Intervention gut. Bei diesem Bundesparteitag ist es am späten Donnerstagnachmittag so weit.

Die Delegierten debattieren in einer Veranstaltungshalle auf dem Berliner Messegelände gerade über Flüchtlingspolitik, als sich der Parteichef zu Wort meldet und sogleich mit einer Verve loslegt, als hätte er seine eigentliche große Rede nicht erst an diesem Freitag zu halten. Man könne "keine angemessene Integration sicherstellen", wenn im nächsten und übernächsten Jahr wieder eine Million Flüchtlinge nach Deutschland komme, ruft Gabriel. Man dürfe nicht die Augen davor verschließen, dass täglich Kommunalpolitiker kämen und sagten, dass ihre Grenze erreicht sei.

Eine heikle Intervention zu einem heiklen Thema

Es ist eine heikle Intervention zu einem heiklen Thema, schließlich gibt es in der Flüchtlingsfrage mindestens zwei sozialdemokratische Lager. Es gibt das Lager derjenigen, die warnen, dass es so nicht weitergehe - aber es gibt auch jene Genossen, die davon nichts hören wollen. Jedenfalls hat Gabriel die Debatte bislang wohl nicht gefallen - ihm sei das alles "zu viel Schulterklopfen", sagt er. Stattdessen aber brauche es "absoluten Realismus". Es gebe auch unter engagierten Helfern "die Sorge, dass sie es im nächsten Jahr nicht mehr schaffen".

Zugleich wendet er sich strikt gegen Obergrenzen: Selbst wenn man das Asylrecht änderte, könne man die Menschen nicht aufhalten. Und was dann? Dann, so Gabriel, müsse man eben doch die Grenzen schließen, wenn man sich vorher auf Obergrenzen festgelegt habe. Richtig sei es hingegen, darüber zu reden, wie man die Geschwindigkeit reduziere, in der die Flüchtlinge kämen. Das Land, sagt Gabriel, brauche beide Signale: auf der einen Seite Hilfsbereitschaft und Offenheit, auf der anderen Seite das Bewusstsein, dass die Belastungsfähigkeit nicht grenzenlos sei.

Kontingente, keine Obergrenze

Offenbar ist es Gabriel wichtig, dieses Signal zu setzen, obwohl die echten Kontroversen zum Thema Flüchtlinge zu diesem Zeitpunkt bereits beigelegt sind. Im entsprechenden Antrag findet sich zwar der Satz, dass man nun Flüchtlings-Kontingente anstrebe - dass dies aber keine Obergrenzen bedeute. Entsprechend konzentrieren sich die anderen prominenten Redner vor allem darauf, die Union und damit den Koalitionspartner zu attackieren.

Besonders hervor tut sich hier der hessische SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel, der Innenminister Thomas de Maizière frontal angreift: De Maizière sei "der einzige, der wirklich nix im Griff hat", ruft Schäfer-Gümbel ins Mikrofon. Stattdessen treibe der Innenminister "jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf". Ein bisschen moderater sagt es Aydan Özoğuz, die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung: Manchmal müsse man den Koalitionspartner eben "ein bisschen schütteln".

Hannelore Kraft denkt an die kleinen Leute

Hannelore Kraft hingegen, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, lenkt den Blick auf die Konfliktlinien innerhalb der SPD. Man dürfe nun "nicht nur Wohnungsbau für Flüchtlinge" machen, sondern müsse ganz allgemein dafür Sorge tragen, "dass auch in Zukunft genug günstiger Wohnraum zur Verfügung steht", sagt sie. Dahinter steht die Befürchtung, dass die Kernklientel der SPD, bestehend aus den gern so genannten kleinen Leuten, sich abwenden könnte, wenn sie das Gefühl bekommt, ihre Interessen würden vergessen.

Tatsächlich ist dies der Spagat, den die SPD beim Thema Flüchtlinge dauerhaft hinbekommen muss. Ob das letztlich gelingt, ist noch nicht ausgemacht.

Kein Sozialdemokrat protestiert, als es um den Syrieneinsatz geht

Und sonst? Sonst wird zum Auftakt dieses Parteitags über Außenpolitik debattiert. Außenminister Frank-Walter Steinmeier malt ein Panorama der aktuellen Weltenbrände und preist die deutschen (also vor allem seine eigenen) Bemühungen, sie so friedlich wie möglich zu löschen. Bemerkenswert ist weniger die Rede selbst, sondern das, was folgt. Oder nicht folgt.

Mit Krieg wollen Sozialdemokraten im Allgemeinen nichts zu tun haben, weshalb man eine kontroverse Debatte über die gerade erst beschlossene deutsche Beteiligung am Krieg in Syrien hätte erwarten können. Doch die Debatte bleibt weitgehend aus, abgesehen von Ausnahmen wie Heidemarie Wieczorek-Zeul. Die ehemalige Entwicklungsministerin kritisiert das Fehlen eines UN-Mandats, weshalb sie den Einsatz der deutschen Tornados für falsch halte. Ähnlich klingt die Parteilinke Hilde Mattheis, die das Fehlen einer "Gesamtstrategie" beklagt. Viel mehr kommt nicht.

Und dann gibt es am Donnerstagmorgen noch einen Auftritt mit Seltenheitswert: Der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder, dessen Verhältnis zur SPD nicht immer einfach war, spricht vor dem Parteitag. Er übernimmt die Ehrung dreier Sozialdemokraten, die in diesem Jahr gestorben sind, Helmut Schmidt, Egon Bahr und Günter Grass. Seine Worte über Schmidt klingen, als spräche Schröder da auch über sich selbst: Schmidt sei bereit gewesen, "das Wohl des Landes über das Wohl der Partei zu stellen". Normalerweise hört die Partei so etwas nicht gern. Diesmal nimmt sie es mit Wohlwollen auf.

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