Parteitag in Erfurt:Grüner Rollentausch

Nach sechs Jahren als Grünen-Chef zieht es den oft gering geschätzten Reinhard Bütikofer ins EU-Parlament - von dort wechselt Cem Özdemir an die Parteispitze.

Daniel Brössler

Zwei Männer sind ins Gespräch vertieft. Der eine trägt eine grüne Krawatte, der andere keine. In wenigen Stunden beginnt der Parteitag der Grünen in Erfurt und Reinhard Bütikofer, der Krawattenträger, hat offenbar noch ein paar Ratschläge für Cem Özdemir, den Mann, der ihm nachfolgen soll an der Doppelspitze der Partei.

Parteitag in Erfurt: Nach sechs Jahren als Vorsitzender der Grünen tritt Reinhard Bütikofer ab.

Nach sechs Jahren als Vorsitzender der Grünen tritt Reinhard Bütikofer ab.

(Foto: Foto: dpa)

Nach sechs Jahren als Vorsitzender der Grünen tritt Bütikofer ab, und er wirkt zufrieden dabei: "Ich hatte ja ein Jahr Zeit, mich auf diesen Augenblick vorzubereiten." Genau vor einem Jahr habe er den Entschluss gefasst, den Vorsitz abzugeben und ihn natürlich damals erst einmal für sich behalten.

Erst im März gab Bütikofer bekannt, dass er sich im November nicht erneut um den Posten bewerben werde. Jüngere müssten ran, forderte er. Das konnte ihm als kleine Gemeinheit ausgelegt werden - gegen Claudia Roth etwa, die dem Beispiel Bütikofer keineswegs zu folgen gewillt war.

Aber auch andere Führungsleute in der Partei, Fritz Kuhn etwa, der Fraktionschef im Bundestag, konnten durch die Bemerkung alt aussehen. Kuhn gehört zu der nicht ganz kleinen grünen Schar, die Bütikofer eher nicht zu seinen Freunden zählen kann. Dabei stammen beide aus dem baden-württembergischen Biotop der Realos, die zielstrebig dazu beigetragen haben, die Ökopartei auf Regierungskurs zu trimmen.

Zum Abschied ein Film

Nachdem das 1998 zum Ziel geführt hatte, wurde Bütikofer Bundesgeschäftsführer. Nun zählte es zu seinen Aufgaben, die Partei auf Kurs zu halten, während Joschka Fischer und andere regierten.

Durch die Geringschätzung für Bütikofer, die Fischer offen zur Schau trug, wurde die Aufgabe zumindest nicht erleichtert. Bütikofer komme im Kanzleramt nicht mal am Pförtner vorbei, wurde gelegentlich als Ausspruch von SPD-Kanzler Gerhard Schröders kolportiert. Zum Vorsitzenden wurde Bütikofer dann durch etwas, das zumindest damals als Betriebsunfall beschrieben wurde.

Vergeblich hatte das Vorsitzenden-Duo aus Kuhn und Roth die Delegierten 2002 gebeten, die manchen Grünen bis heute heilige Trennung von Amt und Mandat aufzuheben. Beide wollten auf ihre Sitze im Bundestag nicht verzichten und mussten ihre Vorstandsposten räumen. Angelika Beer trat an die Stelle Roths, Bütikofer an jene Kuhns.

Eine starke Führungsrolle wurde Bütikofer damals eher nicht zugetraut, er galt als geschickter Strippenzieher, nicht aber als Leitwolf. Zur Überraschung auch innerparteilicher Gegner gelang es ihm aber, in der Partei auch unpopuläre Regierungsprogramme wie die Agenda 2010 durchzusetzen. "Ich habe ein Handwerk von der Pike auf gelernt, das Handwerk der Politik - auch wenn es dafür keinen Meisterbrief gibt, sondern nur Gesellenstücke", sagt Bütikofer, der Philosophie, Geschichte und Sinologie ohne Abschluss studiert hat, über sich.

Nicht zuletzt sein Talent, aus hunderten von Änderungsanträgen eine für alle Flügel der Partei akzeptable Position zu zimmern, sicherte ihm eine starke Position. "Er ist ein Schaffer", meint die Ko-Vorsitzende Claudia Roth, "wie ich keinen vergleichbaren kenne." Für Kollegen sei das manchmal mühsam. Vor seinen Anrufen sei man nie sicher, "nicht einmal während Lindenstraße, Tatort oder Bundesliga".

Es liegt auf der Hand, dass sie über den langjährigen Rivalen in der Gunst um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit an seinem letzten Tag nur Gutes zu sagen weiß. Sie spricht von "Klugheit, Fleiß und List", und vielleicht ist das ja doch nicht nur nett gemeint. "Es ist eine positive Erfahrung, dass wir das zusammen hingekriegt haben", sagt sie jedenfalls.

Seinem Handwerk will der 55-Jährige treu bleiben, allerdings in einer Art Rollentausch mit seinem Nachfolger Cem Özdemir, der noch für die Grünen im Europaparlament sitzt.

Nächstes Jahr will Bütikofer als grüner Spitzenkandidat in die Europawahl ziehen. Mit Außenpolitik, vor allem auch mit der EU, hat er sich in den vergangenen Jahren oft beschäftigt. Noch vor seiner Zeit als Vorsitzender hatte er von einem Sitz im Europaparlament geträumt.

Zum Abschied haben die Grünen für Bütikofer ein Filmchen vorbereitet. Freunde und Weggefährten kommen darin zu Wort - keineswegs nur Grüne. Auch Außenminister und SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier würdigt den scheidenden Grünen-Chef. Leute, mit denen Bütikofer nicht so gut ausgekommen sei, habe man nicht um einen Beitrag gebeten, heißt es. Steinmeiers Vorgänger Joschka Fischer zum Beispiel.

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