Parteitag der US-Demokraten in Charlotte:Präsident Obama kämpft gegen Kandidat Obama

Mit Bill Clinton, ohne Stuhl-Sketch: Drei Tage lang werden die Demokraten die Wähler auf ihrem Parteitag umwerben. Präsident Obama muss weniger Herausforderer Mitt Romney fürchten als Erinnerungen an den Kandidaten Obama, der 2008 die Bürger mitriss. Will er gewählt werden, darf er nicht nur die Republikaner schlechtmachen. Er muss endlich eine positive Botschaft finden.

Matthias Kolb, Charlotte

Es war, abgesehen von Clint Eastwoods bizarrem Dialog mit einem Stuhl, einer der stärksten Momente des Republikaner-Parteitags in Tampa. "College-Absolventen sollten nicht mit Mitte 20 in ihren Kinderzimmern wohnen, vergilbte Obama-Poster anschauen müssen und sich fragen, wann es mit ihrem Leben endlich losgeht", rief Paul Ryan den Delegierten zu.

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Werbematerial seiner Wiederwahl-Kampagne: Barack Obama steht auf dem Parteitag in Charlotte vor großen Herausforderungen.

(Foto: AFP)

Mitt Romneys Vize lieferte damit das passende Bild (es wurde sofort als Wahlkampfvideo umgesetzt) für eine der wichtigsten Strategien der Republikaner im Kampf um die Präsidentschaft: Sie wollen Barack Obamas enttäuschte Anhänger davon überzeugen, dass es in Ordnung ist, sich von ihrem einstigen Idol zu trennen und ihm im November die Stimme zu verweigern. Deswegen ist der größte Gegner des Präsidenten Barack Obama beim heute beginnenden Parteitag in Charlotte nicht der Republikaner Mitt Romney - es ist der Kandidat Barack Obama aus dem Jahr 2008, der in brillanter Rhetorik versprochen hatte, die Gräben in der Gesellschaft und der Washingtoner Politik zu überwinden.

Vor vier Jahren drehte sich Obamas Kampagne um hope und change: Gepaart mit dem Charisma des Kandidaten waren diese Worte dazu geeignet, dass viele gesellschaftliche Gruppen ihre Hoffnungen in den damals 47-Jährigen setzen konnten und gemeinsam "Yes we can" riefen. Nun muss ein neuer Slogan her, der nicht nur den wahlentscheidenden Wechselwählern Zuversicht gibt, sondern auch die Aktivisten mobilisiert und motiviert, die neun Wochen Wahlkampf vor sich haben.

Noch wichtiger allerdings: Nach den wochenlangen Attacken gegen die Blockadepolitik der Republikaner und die vermeintlichen Charakterschwächen des eiskalten Kapitalisten Mitt Romney muss Obama den Millionen vor den Bildschirmen endlich etwas Positives bieten; der Präsident und die anderen Redner brauchen jetzt bessere Argumente als die Warnungen, dass im Nachgang der Finanzkrise alles viel schlimmer hätte kommen können und der Gegner sich nicht um die Mittelklasse und Arbeiter kümmere.

Ehekrise zwischen Amerika und Obama

In der New York Times vergleicht der republikanische Berater Mark McKinnon das Verhältnis vieler Amerikaner zu Obama mit einer Ehekrise: Während die Republikaner darum buhlen, dass die Scheidung eingereicht wird, muss Obama um Vertrauen werben und Argumente finden, weshalb es sich lohnt, die Beziehung vier Jahre zu verlängern. John King von CNN urteilt: "Obama muss wieder Geschichte schreiben, wenn er im Weißen Haus bleiben will."

Doch die Herausforderungen für die Planer in der Wahlkampfzentrale in Chicago sind gewaltig. Einerseits schwächelt die US-Wirtschaft noch immer und alle Umfragen zeigen: Die US-Wähler sind überzeugt, dass Obama deren ökonomische Sorgen besser versteht als Romney. Dennoch trauen sie dem Republikaner eher zu, einen Ausweg aus der Krise zu finden. Offenbar wollen die Demokraten laut New York Times den Wählern deshalb offensiv verdeutlichen, dass es Amerika - anders als von Romney in Tampa behauptet - sehr wohl besser gehe: "Im Gegensatz zu 2008 werden Jobs geschaffen und nicht abgebaut".

Können die Demokraten Wirtschaft?

Andererseits wird es nicht leicht werden, eine neue Obama-Story zu finden, denn die Amerikaner kennen ihren 44. Präsidenten und seine außergewöhnliche Lebensgeschichte sehr genau - und der sichtbar ergraute Demokrat ist nicht mehr der frische, aufregende Kandidat. Allerdings geben die drei Tage in Charlotte den Demokraten die Möglichkeit, Obama bestmöglich zu inszenieren.

Am ersten Abend steht neben dem jungen texanischen Bürgermeister Julian Castro, der die Latino-Wähler begeistern soll, vor allem die First Lady im Mittelpunkt. Michelle Obama wird, ähnlich wie Ann Romney vor einer Woche, sehr persönlich über ihren Gatten sprechen und zugleich deutlich machen, dass sie mit ihrer Erfahrung als arbeitende Mutter den harten Alltag vieler Frauen gut kennt. Auch Obamas Halbschwester Maya und Schwager Craig Robinson, ein exzellenter Basketballspieler, werden Reden halten.

Am Mittwoch steht ein Ex-Präsident im Mittelpunkt, der sich um Popularität nicht sorgen muss: Bill Clinton, so die allgemeine Erwartung, wird den einstigen Widersacher seiner Gattin gegen den Vorwurf verteidigen, in der Wirtschaftspolitik versagt zu haben. Unter Clinton, der von 1993 bis 2001 im Weißen Haus saß, wies der US-amerikanische Haushalt ein Plus aus - er ist also der lebende Beweis dafür, dass Demokraten "Wirtschaft können". Manch ein Obama-Berater sorgt sich jedoch, dass der 42. Präsident der amtierenden Nummer 44 die Schau stehlen könnte.

Die Sorge vor der Niederlage

Der 66-Jährige, dessen loses Mundwerk ebenso bekannt wie gefürchtet ist, wird wie diverse Abgeordnete, Senatoren und Bürgermeister Herausforderer Romney und dessen Vize angreifen und als Bedrohung für Frauen, Arme, Immigranten und Homosexuelle darstellen. Diese Strategie - Attacke des Gegners sowie Betonung der eigenen Popularität - hat George W. Bush 2004 zur Wiederwahl verholfen. Offenbar haben es die Demokraten sogar geschafft, zwei Ex-Mitarbeiter von Bain Capital, der von Romney gegründeten Finanzfirma, als Redner zu gewinnen (Details bei Fox News).

Obama selbst wird, wenn das Wetter mitspielt, nach seinem Stellvertreter Joe Biden am Donnerstag im Bank-of-America-Stadion ans Rednerpult treten. Der Demokrat, dessen politischer Aufstieg 2004 mit einer Rede bei einem Nominierungsparteitag begann, weiß um die Bedeutung dieses Abends: Abgesehen von den drei TV-Debatten hat er nur noch wenige Gelegenheiten, sich einem großen Publikum zu präsentieren. Glaubt man den Vertrauten, die Obama-Biografin Jodi Kantor in der New York Times zitiert, treibt den 51-Jährigen die Sorge vor einer Niederlage an. Egal ob Politik oder ein Ping-Pong-Spiel - der ehrgeizige "Competitor-in-Chief" will immer gewinnen. Auch am 6. November.

Linktipp: Dan Balz von der "Washington Post" beschreibt in einem langen Text, wieso es Obama nicht gelungen ist, die Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern zu überwinden.

Der Autor twittert unter @matikolb aus Charlotte

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