Parteitag der US-Demokraten:"Acht Jahre sind genug"

Barack Obama hat nicht enttäuscht: Bei seiner mit Spannung erwarteten Rede hat er die Samthandschuhe ausgezogen und Tacheles geredet. Er griff Präsident Bush und Herausforderer McCain scharf an und skizzierte seine Pläne für die Zukunft Amerikas.

Verena Wolff

Ein paar Mal musste er tief durchatmen, als er auf die Bühne des Invesco Fields trat. Weißes Hemd, dunkler Anzug, burgunderrote Krawatte - rot, eigentlich die Farbe der Republikaner. Die Menge in dem Stadion, in dem normalerweise American Football gespielt wird, spendete frenetisch Beifall. Obama pustete durch. Der Sunnyboy aus Illinois war hochkonzentriert - ernster wirkte er als bei vielen Auftritten, die ihm sonst so leicht von der Hand zu gehen scheinen.

Parteitag der US-Demokraten: Die bisher wichtigste Rede seines Lebens: Barack Obama spricht in Denver zu den Parteianhängern

Die bisher wichtigste Rede seines Lebens: Barack Obama spricht in Denver zu den Parteianhängern

(Foto: Foto: AP)

Es war das erste Mal seit fast 50 Jahren, dass ein Präsidentschaftsbewerber unter freiem Himmel in einem Stadion die Grundsatzrede hielt, mit der er die Nominierung seiner Partei annimmt. Das erste Mal seit 1960, als John F. Kennedy wegen der erwarteten Menschenmassen aus der Halle in Los Angeles in ein Stadion auswich.

Zeit, Amerika zu ändern

Die Ränge sind bestens gefüllt - nahezu 80.000 Menschen passen in das Stadion. Sie empfingen ihren Kandidaten mit "Change, Change"-Rufen - dem Ruf nach Wechsel, der zum Leitspruch der Vorwahkämpfe Obamas geworden ist. Obama nahm die Nominierung an - "in tiefer Dankbarkeit und großer Bescheidenheit". Und er rief der Menge zu: "Es ist Zeit, Amerika zu ändern."

Die Menschen im Stadion und die vor den Fernsehern und Computern auf der ganzen Welt sahen einen Barack Obama, der die Samthandschuhe abgelegt hat. Scharf ging er die Bush-Regierung an und attackierte das Programm, das John McCain sich für die kommenden vier Jahre vorstellt.

Die vordringlichsten Probleme des Landes seien die Wirtschaft, die Bildungspolitik und die Krankenversicherung. Obama will, dass die Menschen wieder von ihren Jobs leben können. Es müsse eine Wirtschaft geben, die die Arbeit schätzt, betonte Obama, der selbst aus kleinen Verhältnissen kommt. Niemand dürfe Angst um seinen Job haben, nur weil er krank sei oder sich um sein krankes Kind kümmern wolle.

An gute Zeiten anknüpfen

Es gehe bei der Wahl im November nicht darum, dass die Reichen noch reicher werden - sondern: "Alle Amerikaner sollen sich wieder ein gutes Leben leisten können." John McCain sehe das ganz anders: "Er denkt so, wie viele Amerikaner traditionell denken: dass die oberen Zehntausend viel Geld verdienen müssen und das dann schon langsam nach unten tröpfelt.

Es dürfe in Zukunft nicht mehr an der Tagesordnung sein, dass die Amerikaner mit ihren Problemen sich selbst überlassen werden. In Washington nennt man das 'the ownership society', zitiert der Senator, der seit drei Jahren den Staat Illinois in Washington vertritt, ironisch. Man müsse wieder an die guten Zeiten anknüpfen - die Zeiten, in denen Bill Clinton im Weißen Haus saß und für Jobs sorgte.

Das will auch Obama - und neue Jobs will er nicht zuletzt mit dem Umweltschutz schaffen. "In zehn Jahren werden wir nicht mehr auf Öl aus dem Nahen Osten angewiesen sein", versprach er. In saubere Kohletechnik will er investieren und in sichere Atomenergie. "Innerhalb von zehn Jahren werden wir 150 Milliarden Dollar in erneuerbare Energiequellen investieren."

Zudem müsse Geld in die Hand genommen werden, um umweltfreundlichere Autos zu bauen. "Und diese Autos müssen in Amerika gebaut werden", sagt er. Fünf Millionen neue Jobs will der Demokrat so schaffen. "Neue Jobs, die eine Zukunft haben, gut bezahlt werden und nicht in den fernen Osten outgesourct werden können." Denn dieses Problem treibt auch die Amerikaner um: Viele der einst heimischen Jobs sind nach Asien ausgelagert worden - und Fabriken haben überall ihre Tore geschlossen. Und noch eins will Obama: gleiches Geld für gleiche Arbeit: "Ich will, dass meine Töchter die gleichen Chancen haben wie Ihre Söhne", rief er in das Oval des Football-Stadions.

Kinder und Krankenversicherung

Dies sei nicht die Zeit für kleine Pläne, rief Obama der Menge zu. Es sei an der Zeit, die Steuern zu senken. "Denn das letzte, was der Mittelstand jetzt braucht, sind noch mehr Steuern." Stattdessen werden 95 Prozent der Amerikaner von Steuervergünstigungen profitieren. Er wolle das nationale Budget genauestens durchkämmen und streichen, was keine Zukunft habe: "Denn wir können die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts nicht mit Bürokratie aus dem 20. Jahrhundert schaffen."

Zudem will Obama die Kinder fördern - viel mehr noch als bisher. "Ich werde eine Armee neuer Lehrer anstellen - Lehrer, die bessere Gehälter bekommen und mehr Ansehen genießen." Im Gegenzug dafür verlange er eine gute Leistung und das Engagement der Pädagogen, den Kindern jede Chance zu geben.

Und noch ein zentrales Thema sprach er an: die Krankenversicherung. Sie ist Amerika freiwillig - und so teuer, dass viele Millionen Amerikaner ohne sie auskommen müssen. "Ich will eine Krankenversicherung, die sich jeder leisten kann", sagte Obama. Eine Forderung, mit der Hillary Clinton schon seit vielen Jahren um Wählerstimmen wirbt.

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"Acht Jahre sind genug"

Doch eins machte Obama auch ganz deutlich klar: Wer die Demokraten wählt, bekommt nicht das Rundum-Sorglos-Paket für eine bessere Zukunft. "Die Regierung kann uns nicht alles abnehmen - aber sie kann dafür sorgen, dass die Rahmenbedingungen stimmen", sagte er. Politiker sollten den Menschen helfen und ihnen keine Steine in den Weg legen. Es müsse Arbeit und Chancen für all diejenigen geben, die arbeiten wollen - "und nicht nur für die, die ohnehin schon Geld haben."

Parteitag der US-Demokraten: Das Bewerber-Duo: Barack Obama und Joe Biden mit ihren Frauen auf der Bühne.

Das Bewerber-Duo: Barack Obama und Joe Biden mit ihren Frauen auf der Bühne.

(Foto: Foto: Reuters)

Doch jeder Einzelne müsse seinen Teil dazu beitragen. "Die Regierung kann nicht den Fernseher ausschalten und dafür sorgen, dass die Kinder ihre Hausaufgaben machen", sagte er. Und die Regierung könne auch nicht dafür sorgen, dass die Eltern Vorbilder für ihre Kinder seien - ihre ganz eigenen Helden.

Der amerikanische Traum

Es brauche wieder einen Gefühl der Verantwortung - wie sie schon John F. Kennedy vor inzwischen fast einem halben Jahrhundert beschworen hatte. Damals sagte der erste katholische Präsident: "Frage dich nicht, was dein Land für dich tun kann - frage dich, was du für dein Land tun willst." Jeder müsse dazu beitragen, so Obama, dass der amerikanische Traum wieder Wirklichkeit werden könne. Damit ein Leben wie das seine auch in Zukunft möglich sei - dass nämlich ein Junge aus einer einfachen Familie die Chance bekommt, durch harte Arbeit eine gute Bildung und damit die Voraussetzungen für einen guten Job bekommt.

"Amerika, wir sind besser, als wir es in den letzten acht Jahren gezeigt haben", rief der Kandidat den Menschen zu - von denen vielen die Tränen in den Augen standen. "Wir lieben dieses Land zu sehr, als dass wir wollten, dass es noch vier Jahre weiter so regiert wird wie die letzten acht." Nicht alles sei die Schuld der Bush-Administration, sagt Obama. "Aber die Regierung hat es verpasst, auf die Herausforderungen zu reagieren."

Der junge Senator aus Illinois hat nicht nur die Samthandschuhe abgelegt - er hat auch klargemacht, dass er sich sehr wohl gerüstet sieht für den Job als Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte. Auch gegen einen ausgemachten Spezialisten wie John McCain. "Ich bin gerne bereit, mit John McCain über die Rolle des Oberbefehlshabers zu diskutieren", sagte er.

Handeln statt reden

Man komme nicht gegen das Böse in der Welt an, "indem man nur starke Worte und eine schlechte Strategie" benutze. "Wir sind die Partei von Roosevelt und Kennedy - wir wissen, wie man dieses Land verteidigt." Wenn er die Streitkräfte in einen Krieg ziehen lasse, werde er dafür sorgen, dass sie gut ausgerüstet in den Kampf gehen. "Und ich werde für sie sorgen, wenn sie zurückkommen." Zudem werde er neue Partnerschaften in der Welt gründen und die alten wiederbeleben.

Die bis dato wohl wichtigste Rede des Präsidentschaftskandidaten fällt exakt auf den 45. Jahrestag der berühmtesten Rede von Martin Luther King - als er junge Baptistenprediger auf den Stufen des Lincoln Memorial in Washington von seinem Traum einer Welt erzählte, in der alle gleich seien. "Ich weiß, dass ich nicht in das typische Bild passe: Ich habe keinen langen politischen Stammbaum, und ich habe nicht mein Leben in den Hallen von Washington verbracht." Doch in dieser Wahl gehe es nicht um ihn, Obama. "Es geht um Euch."

Der Wandel kommt nicht aus Washington - "er kommt nach Washington." Er wird in die Hauptstadt kommen, weil die Menschen überall im Land ihn verlangten. Zusammen müssten die Amerikaner jetzt in die Zukunft marschieren. "Wir können nicht allein gehen, und wir können nicht zurück", sagte er - in Anlehnung an die Rede des Bürgerrechtlers Martin Luther King und den Marsch auf Washington 1963, der mit dafür sorgte, dass schließlich die Rassentrennung der Vergangenheit angehörte.

44 Minuten lang hat Obama zu "seinen" Demokraten gesprochen. Konzentriert und intensiv. Und er hat etwas geschafft, das ihm von vielen seiner Gegnern oft abgesprochen wurde: Er hat zu den Menschen geredet, mit den Menschen. Er hat den ehrgeizigen Harvard-Absolventen in seinem Hotelzimmer gelassen und in verständliche Worte gefasst, wie er sich seine Amtszeit vorstellt. Keine abgehobenen Ideen, keine komplizierten Worte. Stattdessen Botschaften, die jeder versteht. Und nach denen sich viele Amerikaner sehnen in schwierigen Zeiten.

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