Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Grünen:Warum eine kritische Haltung zum Islam den Grünen gut tut

Özdemir macht Islamismus als Ursache für den Terror aus und will nicht mehr hören, der Islam habe damit nichts zu tun. Recht hat er.

Kommentar von Thorsten Denkler

Vielleicht war das die wichtigste Rede dieses Grünen-Bundesparteitages in Halle. Diese Rede von Cem Özdemir am Freitagabend. Er hat stehenden Applaus bekommen danach. Das war noch nicht so oft der Fall.

Özdemirs Leistung: Er hat die Grünen mit dieser einen Rede auf einen neuen Weg im Umgang mit dem Islam geführt. Weg vom diesem verdrucksten "Was kann denn der Islam dafür?"-Gedusel. Es liegt doch nicht an der Religion, wenn irgendwelche Idioten in Paris 130 Menschen erschießen, heißt es dann. Oder wenn eine Maschine mit russischen Urlaubern vom Himmel geholt wird. Oder wenn in Beirut Dutzende von Menschen einer Bombe zum Opfer fallen. Oder die Schlächter des IS ihren Opfern Hände, Brüste und Köpfe abhacken.

Doch, sagt Özdemir, das hat sehr wohl etwas mit dem Islam zu tun. Und wer könnte diese Botschaft besser in die Partei tragen, als Özdemir selbst, dessen Eltern ihn immer zu einem guten Muslim machen wollten.

Ja, es muss möglich sein im Jahr 2015, die Worte des Propheten zeitgemäß auszulegen. Im hier und jetzt, wie Özdemir das fordert. Historisch-kritische Exegese nennen das die Wissenschaftler. Teufelszeug ist das für die meisten Islamgelehrten.

"Kein heiliges Buch steht über der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland"

Und ja: "Kein heiliges Buch steht über den Menschenrechten. Kein heiliges Buch steht über der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland", sagt Özdemir. Manchen mag das Gefühl beschleichen, solche Sätze ähnlich schon einmal auf einer Pegida/AfD-Demo gehört zu haben. Aber gute Argumente werden nicht schlechter, nur weil dumme Menschen sie verwenden.

Niemand muss aufgeklärten Muslimen, und die gibt es zuhauf, sagen, sie müssten sich jetzt mal ganz schnell von dem Terror des IS distanzieren. Diese Muslime haben selbst Angst. Noch mehr als einen aufgeklärten Christen hassen die IS-Schlächter Glaubensbrüder, die in ihren Augen in Sünde leben.

Özdemir erzählt die Geschichte von seinem Vater. Der riet ihm, sich seine Freunde nicht nach dem Glauben, nicht nach der Herkunft, nicht nach der Sprache zu suchen. Sondern nach dem Herzen, nach dem Charakter. Diese Art des Islams sei in der Mehrheit. Diese Art des Islams sei der Normalfall. Aber, warnt er, diese Art des Islams scheint auf dem Rückzug zu sein.

Der Islam muss sich öffnen. Muss vom Rand der Gesellschaft in die Mitte der Gesellschaft kommen wollen. Seinen Glauben zu leben kann nicht bedeuten, die eigene Tochter zu verstoßen, weil sie mit offenem Haar durch die Straßen zieht. Kann nicht bedeuten, die Söhne zu kleinen Paschas heranzuziehen, die Frauen nicht die Hand geben. Es muss eine Debatte geben, was rückständige Kultur ist, gespeist aus überkommenen Rollenbildern von Männern und Frauen, getragen von falschen Vorstellungen über Ehre und Schande. Es muss eine Debatte darüber geben, was Religion ist.

Özdemir hat diese Debatte in die Grünen getragen. Und damit auch klar gemacht, was die Partei an ihm hat. Sollte auch er Spitzenkandidat der Partei für die Bundestagswahl 2017 werden wollen, hat er hier dafür den ersten Schritt getan.

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