Süddeutsche Zeitung

Parteitag der Grünen:Klartext zum eigenen Wohl

Keine Partei diskutiert auf ihrem Parteitag gern über die eigenen Fehler. Die Grünen haben es getan - kontrovers und selbstkritisch. Am Ende stehen überraschende Selbsteinsichten.

Von Stefan Braun, Hamburg

Parteien wollen auf ihren Parteitagen gut aussehen. Deshalb scheuen sie es, dort über Fehler zu reden. Sie wollen lieber nach vorne schauen und neue Ideen transportieren, als sich auch noch öffentlich über eigene Pannen und das eigene Selbstverständnis auseinanderzusetzen. Bei der Union kann man das seit Ewigkeiten studieren. Bei der FDP kann man sogar den totalen Absturz mit dem jahrelangen Verzicht auf ehrliche Selbstreflexion erklären.

Und die Grünen? Sie haben diesmal den anderen Weg gewählt. Sie haben ihr dreitägiges Treffen in Hamburg am Freitagabend mit einer Diskussion über sich selbst begonnen. Über Fehler im vergangenen Jahr, über Holprigkeiten in diesem. Vor allem aber über die Frage, was sie mit dem Begriff Freiheit verbinden. Und wenn man es an der Stimmung bemisst, dann ist das - trotz aller Gegensätze - kein Fehler gewesen. Es ist immer stiller geworden im Saal. Und es ist so kontrovers wie nachdenklich diskutiert worden.

Bei Parteichef Cem Özdemir kommt das noch ziemlich leise daher. Er beklagt die manchmal schlechte Tonlage untereinander, er räumt ein, dass das Zusammenspiel in der Parteiführung noch nicht optimal ist, er sagt an anderer Stelle, die Grünen seien nun mal nicht ,"bessere Menschen". Und er legt größten Wert darauf, dass die Grünen gerade in heiklen Debatten wie jenen über Krieg und Frieden respektvoller mit der Meinung der anderen umgehen sollten. Das ist keine Selbstgeißelung. Aber es versendet zwischen den Zeilen die Botschaft: Die Grünen zeigen, dass sie auch selbstkritisch übers eigene Tun nachdenken können.

Kretschmann warnt vor Schlaumeierei

Was danach folgt, sind vehemente Plädoyers, bei denen die einen, wie die Landespolitiker Winfried Kretschmann und Robert Habeck, vor Schlaumeierei und falschen Schärfen warnen, während andere, darunter Bundestagsfraktionschef Anton Hofreiter und der Bundestagsabgeordnete Sven-Christian Kindler, fordern, man solle Gegner wie die Agrarlobby oder die Energie-Multis auch weiterhin als Gegner bekämpfen.

Kretschmann betont, niemand nehme es den Grünen heute noch übel, dass sie die Partei der ökologischen Vernunft sein wollen. Das Problem sei der "falsche Sound" der Bevormundung gewesen. "Wir müssen heute Unternehmen nicht mehr dauernd beibiegen, was grün ist", sagt der Ministerpräsident aus dem Südwesten. Nach seinen Erfahrungen gebe es immer mehr Unternehmen, die "das längst im Film" hätten. Es gehe um den ökologischen Ordnungsrahmen, danach würden die Unternehmen mit ihrer Kreativität ganz alleine neue Ideen entfalten. "Ich glaube, wenn wir diesen Sound wieder spielen, werden wir auch wieder nach oben kommen."

Kretschmann bekommt dafür viel Beifall - und erntet harschen Widerspruch. Der Bundestagsabgeordnete Kindler erwidert, er halte diese Aussage "für heillos naiv". Denn: es gebe eben doch noch viele Unternehmen, die auch heute noch einfach nicht grün, nachhaltig, ökologisch handeln würden. Porsche, Eon, Wiesenhof, Monsanto - die würden noch lange nicht "grün denken und grün handeln". Deshalb seien sie keine ökologischen Partner, sondern Gegner.

Nicht viel anders klingt Anton Hofreiter, der Fraktionschef. Für ihn sei der Veggie-Day eine lächerliche Aktion gewesen. Entscheidend sei, ob einer "den Arsch in der Hose habe", gegen mächtige Gegner wie die Agrarlobby wirklich zu kämpfen.

Beide Auftritte zeigen, dass da schon sehr unterschiedliche Auffassungen aufeinander prallen. Trotzdem zeigt die Aufmerksamkeit im Saal, dass es an diesem Abend nicht um Sieg oder Niederlage geht, sondern um den Versuch, sich dem anderen kenntlich zu machen.

Dabei erinnert der Kieler Landwirtschaftsminister Robert Habeck ziemlich schonungslos daran, dass die Grünen manchmal eben doch den "Hang zur Überheblichkeit" hätten. Was für ihn nur heißen kann, sich an der Stelle immer wieder zu hinterfragen.

Wunsch nach Eigenständigkeit und Freiheit

Und der bayrische Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek verweist darauf, dass man sich 2005, 2009 und 2013 jedes Mal vorgenommen habe, einen Kurs der Eigenständigkeit einzuschlagen - und dies trotzdem immer wieder nicht passiert sei. Was er sich wünscht? Eigenständigkeit und Freiheit mit einem "gehörigen Maß an echter Liberalität zu verbinden". Das könnte beispielsweise heißen, beim nächsten Steuerkonzept diejenigen zu belohnen, die sich ökologisch klug verhalten - und nicht jene zu bestrafen, die "sich so verhalten, wie sie sich verhalten möchten".

Und die Berliner Landeschefin Bettina Jarasch fasst auf sehr persönliche Weise noch mal zusammen, was sie an der Veggie-Day-Debatte des Wahlkampfs so gestört habe. "Ja, es ist mir egal, was die Leute essen, weil ich weiß, wie unperfekt mein eigenes privates Leben ist." Aus diesem Grund wolle sie "nicht beurteilen, was bei anderen auf dem Teller ist".

Keine Frage, an diesem ersten Abend von Hamburg haben die Grünen kein neues Wahlprogramm entworfen. Aber sie haben darum gerungen, wie sie Wählern, Unternehmern und politischen Kontrahenten beim nächsten Mal gegenübertreten wollen. Das ist kein schlechter Anfang.

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