Süddeutsche Zeitung

Parteitag:AfD will raus aus der EU

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In Dresden verzichtet die Partei auf einen Richtungskampf. Rechtsaußen Björn Höcke aber schaltet sich häufig in die Debatte ein und setzt radikale Anträge mit durch - etwa beim Thema Corona

Von Markus Balser und Jens Schneider, Dresden

Es gehört zu den oft übersehenen Eigenheiten der AfD, dass sie ihre wichtigen Personalentscheidungen oft mithilfe der Geschäftsordnung abräumt - gern durch Nichtbefassung. So war es vor gut vier Jahren in Köln, als die damalige Vorsitzende Frauke Petry die Partei mit inhaltlichen Anträgen auf einen moderateren Kurs verpflichten wollte. Der Parteitag hatte noch gar nicht richtig begonnen, da war schon beschlossen, nicht darüber zu beraten. Man übte sich nach außen in Harmonie. Aber Petry hatte verloren, sie verließ die AfD nach der Bundestagswahl.

Auch auf dem Parteitag in Dresden dauert es einige Stunden, bis es für die 570 Delegierten, die trotz der Pandemie gekommen waren, klar um Inhalte ging. Erst mal wurde über Stunden in Geschäftsordnungsdebatten abgeräumt, was den Burgfrieden der gespaltenen Partei vor der Bundestagswahl stören könnte. Am Ende steht erst mal ein Vakuum.

Da gab es zunächst die umstrittene Suche nach Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, eine Richtungsentscheidung. Lange vor diesem Parteitag hatte AfD-Chef Jörg Meuthen eine Mitgliederbefragung durchgesetzt, in der eine Mehrheit der AfD-Basis dafür votierte, die Galionsfiguren für die Wahl im Herbst in einer Urwahl online zu bestimmen.

Dann aber drängten zum Parteitag mehrere Landesverbände zur Eile, sie wollten die Spitzenkandidaten nun doch schon durch die Delegierten in Dresden bestimmen lassen. Lange wurde gerungen und am Ende sehr knapp entschieden, dass in Dresden nicht entschieden würde. Per Urwahl soll die AfD-Basis, das sind etwa 32 000 Mitglieder, nun zwei Spitzenkandidaten bestimmen.

Als sicherer Anwärter gilt der aus Sachsen stammende Parteichef Tino Chrupalla, der gemeinsam mit Meuthen die Partei führt. Beide reden, so ist aus ihrem Umfeld zu hören, nur noch selten miteinander. Sie sind in zentralen Fragen uneins, aber Chrupallas mögliche Kandidatur unterstützt Meuthen, will aber als Gegengewicht gern eine Vertreterin aus seinem Lager für das Spitzenduo, die etwas moderatere hessische Abgeordnete Joana Cotar.

Offen ist, ob es weitere Bewerber geben wird. Die amtierende Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel hatte zu Beginn des Parteitags erklärt, dass sie für eine Wahl dort nicht zur Verfügung stehen würde. Eine Bewerbung für die Urwahl ließ sie offen. Weidel trat in Dresden kaum in Erscheinung, ihr wird aus der Fraktion im Bundestag fehlende Führung und eine zu geringe Präsenz in Berlin vorgeworfen. In den parteiinternen Fehden steht sie meist an der Seite von Chrupalla, stets aber gegen Meuthen. In dessen Sinne ging in Dresden eine zweite Geschäftsordnungsdebatte aus. Es wurde in - wie Meuthen erfreut betonte - gerade mal 120 Sekunden beschlossen, sich mit einem Antrag nicht zu befassen, mit dem besonders radikale Kritiker seines Kurses eine Abstimmung über ihn durchsetzen wollten. So gab es diesmal keinen Richtungsstreit.

Partei bezweifelt Ausmaß der Pandemie

Auffällig war freilich, dass einige seiner Gegner besonders aktiv waren in Dresden. So oft wie noch nie auf einem Bundesparteitag der AfD schaltete sich Björn Höcke, der Exponent des extremen rechten Flügels, in die inhaltlichen Debatten ein und setzte einige radikale Beschlüsse mit durch. Dazu zählt eine "Corona-Resolution", in der die Partei das Ausmaß der Pandemie anzweifelt und beklagt, dass angesichts einer nach ihrer Darstellung extrem kleinen Zahl von Erkrankten die große Mehrheit der Bürger unter den verordneten Maßnahmen leide.

In der Resolution heißt es auch, dass die PCR-Tests allein kein sicheres Indiz für eine Infektion seien. Die AfD fordert ein Ende des Lockdowns und wendet sich gegen Verordnungen und Pflichten. Es solle "den mündigen Bürgern überlassen bleiben, in welchem Maße sie sich selbst schützen möchten".

Die AfD fordert auch mit Blick auf Impfungen und Tests, "jedweden, auch indirekten, Zwang zur Durchführung von Tests, Impfungen sowie Benachteiligungen für Maskenbefreite zu unterlassen". Höcke und andere Redner stellten die Gefahr der Pandemie infrage. Im Bundestagswahlkampf hofft die AfD, ein Angebot für Bürger zu sein, die ein Ende aller Einschränkungen fordern. Dem Vernehmen nach sind freilich nicht alle in der Spitze glücklich über den Eindruck, man wolle die Pandemie verharmlosen.

Programm verschärft

Das Programm für die Bundestagswahl orientiert sich an bekannten Positionen der AfD, wurde aber in Dresden gegen den Wunsch der Parteiführung an einigen Stellen verschärft. In der Flüchtlingspolitik spricht sich die AfD nach Forderungen der Basis ausdrücklich auch gegen den Nachzug der Familienmitglieder von anerkannten Asylbewerbern aus. Einige Mitglieder wandten ein, dass diese Haltung ihrem christlichen Menschenbild widerspreche - doch die Mehrheit befürwortete die Entscheidung gegen jeglichen Familiennachzug.

Ein besonders scharfer Schnitt wurde in der Europapolitik beschlossen, gegen den Willen des Parteichefs. Bisher hatte die AfD bei aller Kritik an der Europäischen Union einen Austritt aus der EU nicht fordern wollen, weil das auch Teilen ihrer Wähler zu weit gehen könnte. Am Samstagabend beharrten nun zahlreiche Redner darauf, sich einen harten Schnitt zum Ziel zu setzen - und bekamen viel Applaus. "Wir brauchen den Austritt als Signal in unserem Bundestagsprogramm", sagte einer. Es sei an der Zeit, nicht mehr mit Blick auf Wählerstimmen zu taktieren.

Der Parteichef und Europaabgeordnete Meuthen mahnte zur Mäßigung. Auch der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland bat um Zurückhaltung, wegen der Signalwirkung einer solchen Entscheidung. Die entschlossenen EU-Gegner scherten sich nicht darum. Der Austritt müsse sein, "weil die EU sterben muss, wenn Deutschland leben will", sagte ein Redner, der Saal applaudierte. Dann entschied die Mehrheit, dass nach dem Willen der AfD ein "Austritt aus der Europäischen Union und die Gründung einer neuen europäischen Wirtschafts- und Interessengemeinschaft notwendig" sei.

Die Harmonie sah die Führung dadurch nicht erschüttert. Am Sonntagnachmittag, da lief die Tagung noch, verwies sie in einer Erklärung stolz auf den Slogan, der ihre Wahlkampagne bestimmen soll: "Deutschland. Aber normal." Und zog schon zufrieden Bilanz: "Diszipliniert und einig" sei die AfD vorangeschritten.

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